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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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ter, und die Liberalität, welche den Zugang stets
offen läßt, ist nicht genug zu loben.

Wenn ich bedenke, wie noch erbärmlicher es um
die Malerei in England steht, wie Italien und Deutsch-
land ebenfalls nichts Großes mehr bieten, *) so
möchte man fürchten, daß es mit dieser Kunst bald
wie mit der Glasmalerei gehen wird, ja ihr tiefstes
Geheimniß wirklich schon verloren gegangen sey. Die
Fülle, Kraft, Wahrheit und Leben der alten Maler,
wie ihre technische Farbenkenntniß -- wo werden sie
noch angetroffen? Thorwaldsen, Rauch, Danneker,
Canova wetteifern mit der Antike, aber welcher Ma-
ler ist auch nur neben die Künstler zweiten Ranges
aus der Blüthezeit der Malerei zu stellen? Nur die
schon erwähnte Genre-Arbeit prosperirt, obgleich
auch in ihr die forgsame, treue Natur-Copie der
Niederländer nie entfernt erreicht wird.

In einem Seitenhofe des Museums steht jetzt
der colossale Sphynx aus Drovettis Sammlung,
für den Hof des Louvre bestimmt. Er ist aus ro-
senfarbnem Granit und von eben so grandio-
ser Sculptur, als stupender Masse, auch ganz in-
takt, bis auf die Nase, welche man eben durch
eine weiße Gypsnase ersetzte, die noch nicht die letzte

*) Macht hier nicht München eine ruhmvolle Ausnahme,
wo ein wahrhaft großer Künstler einen noch größern
Kunstbeschützer gefunden hat?
A. d. H.

ter, und die Liberalität, welche den Zugang ſtets
offen läßt, iſt nicht genug zu loben.

Wenn ich bedenke, wie noch erbärmlicher es um
die Malerei in England ſteht, wie Italien und Deutſch-
land ebenfalls nichts Großes mehr bieten, *) ſo
möchte man fürchten, daß es mit dieſer Kunſt bald
wie mit der Glasmalerei gehen wird, ja ihr tiefſtes
Geheimniß wirklich ſchon verloren gegangen ſey. Die
Fülle, Kraft, Wahrheit und Leben der alten Maler,
wie ihre techniſche Farbenkenntniß — wo werden ſie
noch angetroffen? Thorwaldſen, Rauch, Danneker,
Canova wetteifern mit der Antike, aber welcher Ma-
ler iſt auch nur neben die Künſtler zweiten Ranges
aus der Blüthezeit der Malerei zu ſtellen? Nur die
ſchon erwähnte Genre-Arbeit prosperirt, obgleich
auch in ihr die forgſame, treue Natur-Copie der
Niederländer nie entfernt erreicht wird.

In einem Seitenhofe des Muſeums ſteht jetzt
der coloſſale Sphynx aus Drovettis Sammlung,
für den Hof des Louvre beſtimmt. Er iſt aus ro-
ſenfarbnem Granit und von eben ſo grandio-
ſer Sculptur, als ſtupender Maſſe, auch ganz in-
takt, bis auf die Naſe, welche man eben durch
eine weiße Gypsnaſe erſetzte, die noch nicht die letzte

*) Macht hier nicht München eine ruhmvolle Ausnahme,
wo ein wahrhaft großer Künſtler einen noch größern
Kunſtbeſchützer gefunden hat?
A. d. H.
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[348/0370] ter, und die Liberalität, welche den Zugang ſtets offen läßt, iſt nicht genug zu loben. Wenn ich bedenke, wie noch erbärmlicher es um die Malerei in England ſteht, wie Italien und Deutſch- land ebenfalls nichts Großes mehr bieten, *) ſo möchte man fürchten, daß es mit dieſer Kunſt bald wie mit der Glasmalerei gehen wird, ja ihr tiefſtes Geheimniß wirklich ſchon verloren gegangen ſey. Die Fülle, Kraft, Wahrheit und Leben der alten Maler, wie ihre techniſche Farbenkenntniß — wo werden ſie noch angetroffen? Thorwaldſen, Rauch, Danneker, Canova wetteifern mit der Antike, aber welcher Ma- ler iſt auch nur neben die Künſtler zweiten Ranges aus der Blüthezeit der Malerei zu ſtellen? Nur die ſchon erwähnte Genre-Arbeit prosperirt, obgleich auch in ihr die forgſame, treue Natur-Copie der Niederländer nie entfernt erreicht wird. In einem Seitenhofe des Muſeums ſteht jetzt der coloſſale Sphynx aus Drovettis Sammlung, für den Hof des Louvre beſtimmt. Er iſt aus ro- ſenfarbnem Granit und von eben ſo grandio- ſer Sculptur, als ſtupender Maſſe, auch ganz in- takt, bis auf die Naſe, welche man eben durch eine weiße Gypsnaſe erſetzte, die noch nicht die letzte *) Macht hier nicht München eine ruhmvolle Ausnahme, wo ein wahrhaft großer Künſtler einen noch größern Kunſtbeſchützer gefunden hat? A. d. H.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/370>, abgerufen am 22.11.2024.