sinken. Graf Assefeldt öffnet das Papier, liest laut die Begnadigung Friedrichs, und kündigt zugleich dem ersten Magistrat vorläufige augenblickliche Dis- pensation seines Amtes an. Tief gerührt umarmt er den Befreiten, und der Vorhang fällt. --
Ich weiß recht gut, welche lange Litaney Kunstrich- ter hier hören lassen können, von gemeinen Verhält- nissen, Theater-Coups, Unwahrscheinlichkeiten u. s. w. Man bedenke, ich wiederhole es, daß nur von einem Melodram die Rede ist, an das man keine großen Forderungen machen darf, aber dennoch bin ich über- zeugt, daß kein unbefangner frischer Sinn diese Vor- stellung ohne lebhaft erregtes Interesse sehen wird. Laß uns um zu dem theatre francais übergehen, das ich, der Bekanntheit der Stücke wegen, kürzer abfertigen kann.
Nach einem griechisch-französischen Trauerspiel, in- dem die antiken Gewänder vergebens Franzosen zu Griechen stempeln sollten, der alte Held der Provin- zen, Joanny, vergebens eine schwache Copie des gött- lichen Talma aufzustellen versuchte, und auch die (wahrlich jetzt au del a de la permission häßliche) Duchesnois mit weinerlicher, veralteter und verstei- nerter Manier am Ende jeder Phrase vergebens mit den Händen in der Luft, ebenfalls a la Talma, ge- zittert, die Uebrigen aber eine wahrhaft trostlose Mittelmäßigkeit abgehaspelt hatten, wurde, zum Schluß, der Mercure galant aufgeführt. Die abge- tragenen gestickten Seidenkleider verriethen die längst
ſinken. Graf Aſſefeldt öffnet das Papier, liest laut die Begnadigung Friedrichs, und kündigt zugleich dem erſten Magiſtrat vorläufige augenblickliche Dis- penſation ſeines Amtes an. Tief gerührt umarmt er den Befreiten, und der Vorhang fällt. —
Ich weiß recht gut, welche lange Litaney Kunſtrich- ter hier hören laſſen können, von gemeinen Verhält- niſſen, Theater-Coups, Unwahrſcheinlichkeiten u. ſ. w. Man bedenke, ich wiederhole es, daß nur von einem Melodram die Rede iſt, an das man keine großen Forderungen machen darf, aber dennoch bin ich über- zeugt, daß kein unbefangner friſcher Sinn dieſe Vor- ſtellung ohne lebhaft erregtes Intereſſe ſehen wird. Laß uns um zu dem théâtre français übergehen, das ich, der Bekanntheit der Stücke wegen, kürzer abfertigen kann.
Nach einem griechiſch-franzöſiſchen Trauerſpiel, in- dem die antiken Gewänder vergebens Franzoſen zu Griechen ſtempeln ſollten, der alte Held der Provin- zen, Joanny, vergebens eine ſchwache Copie des gött- lichen Talma aufzuſtellen verſuchte, und auch die (wahrlich jetzt au del à de la permission häßliche) Duchesnois mit weinerlicher, veralteter und verſtei- nerter Manier am Ende jeder Phraſe vergebens mit den Händen in der Luft, ebenfalls à la Talma, ge- zittert, die Uebrigen aber eine wahrhaft troſtloſe Mittelmäßigkeit abgehaspelt hatten, wurde, zum Schluß, der Mercure galant aufgeführt. Die abge- tragenen geſtickten Seidenkleider verriethen die längſt
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ſinken. Graf Aſſefeldt öffnet das Papier, liest laut
die Begnadigung Friedrichs, und kündigt zugleich
dem erſten Magiſtrat vorläufige augenblickliche Dis-
penſation ſeines Amtes an. Tief gerührt umarmt
er den Befreiten, und der Vorhang fällt. —
Ich weiß recht gut, welche lange Litaney Kunſtrich-
ter hier hören laſſen können, von gemeinen Verhält-
niſſen, Theater-Coups, Unwahrſcheinlichkeiten u. ſ. w.
Man bedenke, ich wiederhole es, daß nur von einem
Melodram die Rede iſt, an das man keine großen
Forderungen machen darf, aber dennoch bin ich über-
zeugt, daß kein unbefangner friſcher Sinn dieſe Vor-
ſtellung ohne lebhaft erregtes Intereſſe ſehen wird.
Laß uns um zu dem théâtre français übergehen,
das ich, der Bekanntheit der Stücke wegen, kürzer
abfertigen kann.
Nach einem griechiſch-franzöſiſchen Trauerſpiel, in-
dem die antiken Gewänder vergebens Franzoſen zu
Griechen ſtempeln ſollten, der alte Held der Provin-
zen, Joanny, vergebens eine ſchwache Copie des gött-
lichen Talma aufzuſtellen verſuchte, und auch die
(wahrlich jetzt au del à de la permission häßliche)
Duchesnois mit weinerlicher, veralteter und verſtei-
nerter Manier am Ende jeder Phraſe vergebens mit
den Händen in der Luft, ebenfalls à la Talma, ge-
zittert, die Uebrigen aber eine wahrhaft troſtloſe
Mittelmäßigkeit abgehaspelt hatten, wurde, zum
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/399>, abgerufen am 22.11.2024.
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