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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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schenkt worden. Ueber dem Seitenaltar stand: Autel
privilegie
-- d. h. Ablaß ertheilend! die Ideen-Asso-
ciation, welche dieser Anblick hervorbrachte, rief mir
die nahe Menagerie ins Gedächtniß, und ich fuhr
nach dem Jardin des plantes, wo es den Thieren
zu kalt geworden war, daher ich auch alle, lebende
und todte, verschlossen fand, und nur einen großen
Eisbären besuchen konnte. Dieser kehrte, als ich
kam, ohne sich stören zu lassen, wie ein Tagelöhner,
mit großer Geduld und Ruhe seinen Zwinger mit
den Vordertazzen, deren er sich als eines Besens
bediente, brachte dann das Stroh und den trocknen
Schnee in seine Höhle, um ein weiches Lager daraus
zu bereiten, worauf er sich zuletzt auch, behaglich
murrend, langsam ausstreckte. Auch sein Nachbar
Martin, der Landbär, welcher einst eine Schildwache
fraß, befindet sich noch wohl, war aber heute nicht
visible. Auf dem Rückweg besuchte ich noch eine
dritte Kirche, St. Eustache, die im Innern grandio-
ser erscheint als Notre Dame und Pantheon, auch
durch einige bunte Fenster und Gemälde belebt wird.
Von den Letztern war sogar, zu irgend einem Feste,
eine Art Ausstellung in der Kirche veranstaltet, die
jedoch den Kunstsinn nicht sonderlich ansprach. An-
genehmer war die schöne Musik, bei der mehrere
Posaunen ergreifend wirkten. Warum wendet man
ein so erhabnes Instrument nicht weit öfter bei un-
serer Kirchenmusik an?

Als ich über die place des victoires fuhr, schickte
ich einen Stoßseufzer gen Himmel, über die Nich-

ſchenkt worden. Ueber dem Seitenaltar ſtand: Autel
privilegié
— d. h. Ablaß ertheilend! die Ideen-Aſſo-
ciation, welche dieſer Anblick hervorbrachte, rief mir
die nahe Menagerie ins Gedächtniß, und ich fuhr
nach dem Jardin des plantes, wo es den Thieren
zu kalt geworden war, daher ich auch alle, lebende
und todte, verſchloſſen fand, und nur einen großen
Eisbären beſuchen konnte. Dieſer kehrte, als ich
kam, ohne ſich ſtören zu laſſen, wie ein Tagelöhner,
mit großer Geduld und Ruhe ſeinen Zwinger mit
den Vordertazzen, deren er ſich als eines Beſens
bediente, brachte dann das Stroh und den trocknen
Schnee in ſeine Höhle, um ein weiches Lager daraus
zu bereiten, worauf er ſich zuletzt auch, behaglich
murrend, langſam ausſtreckte. Auch ſein Nachbar
Martin, der Landbär, welcher einſt eine Schildwache
fraß, befindet ſich noch wohl, war aber heute nicht
viſible. Auf dem Rückweg beſuchte ich noch eine
dritte Kirche, St. Euſtache, die im Innern grandio-
ſer erſcheint als Notre Dáme und Pantheon, auch
durch einige bunte Fenſter und Gemälde belebt wird.
Von den Letztern war ſogar, zu irgend einem Feſte,
eine Art Ausſtellung in der Kirche veranſtaltet, die
jedoch den Kunſtſinn nicht ſonderlich anſprach. An-
genehmer war die ſchöne Muſik, bei der mehrere
Poſaunen ergreifend wirkten. Warum wendet man
ein ſo erhabnes Inſtrument nicht weit öfter bei un-
ſerer Kirchenmuſik an?

Als ich über die place des victoires fuhr, ſchickte
ich einen Stoßſeufzer gen Himmel, über die Nich-

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[390/0412] ſchenkt worden. Ueber dem Seitenaltar ſtand: Autel privilegié — d. h. Ablaß ertheilend! die Ideen-Aſſo- ciation, welche dieſer Anblick hervorbrachte, rief mir die nahe Menagerie ins Gedächtniß, und ich fuhr nach dem Jardin des plantes, wo es den Thieren zu kalt geworden war, daher ich auch alle, lebende und todte, verſchloſſen fand, und nur einen großen Eisbären beſuchen konnte. Dieſer kehrte, als ich kam, ohne ſich ſtören zu laſſen, wie ein Tagelöhner, mit großer Geduld und Ruhe ſeinen Zwinger mit den Vordertazzen, deren er ſich als eines Beſens bediente, brachte dann das Stroh und den trocknen Schnee in ſeine Höhle, um ein weiches Lager daraus zu bereiten, worauf er ſich zuletzt auch, behaglich murrend, langſam ausſtreckte. Auch ſein Nachbar Martin, der Landbär, welcher einſt eine Schildwache fraß, befindet ſich noch wohl, war aber heute nicht viſible. Auf dem Rückweg beſuchte ich noch eine dritte Kirche, St. Euſtache, die im Innern grandio- ſer erſcheint als Notre Dáme und Pantheon, auch durch einige bunte Fenſter und Gemälde belebt wird. Von den Letztern war ſogar, zu irgend einem Feſte, eine Art Ausſtellung in der Kirche veranſtaltet, die jedoch den Kunſtſinn nicht ſonderlich anſprach. An- genehmer war die ſchöne Muſik, bei der mehrere Poſaunen ergreifend wirkten. Warum wendet man ein ſo erhabnes Inſtrument nicht weit öfter bei un- ſerer Kirchenmuſik an? Als ich über die place des victoires fuhr, ſchickte ich einen Stoßſeufzer gen Himmel, über die Nich-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/412>, abgerufen am 22.11.2024.