chem vor geraumer Zeit der junge Erbe dieses Hauses als einjähriges Kind gestohlen, und lange nichts weiter von ihm gehört ward. Nach acht Jahren vergeblicher Nachforschungen der trostlosen Mutter, schickte einst der Schornsteinfeger des Stadtviertels einen kleinen Knaben zum Fegen des Kamins in das Schlafzimmer der Lady Montague, in welchem man durch einen glücklichen Zufall, vermöge eines Maals am Auge und den darauf gegründeten Nachforschungen den verlornen Sohn erkannte; eine Anekdote die später zu einem bekannten französischen Vaudeville Anlaß gegeben hat. Aus Dankbarkeit für ein so unverhoff- tes Glück gab Lady Montague viele Jahre lang, und ich glaube noch jetzt geschieht etwas Aehnliches, in dem großen Garten, der an ihr Palais stößt, der ganzen Schornsteinfeger-Innung von London am Tage des Wiederfindens ein Fest, wo sie selbst, mit aller ihrer Dienerschaft in Staatskleidung, für die Bewirthung dieser Leute Sorge trug.
Der Knabe ward später ein sehr ausgezeichneter, aber auch eben so excentrischer und wilder Jüngling, der sein Hauptvergnügen in ungewöhnlichen Wagstücken suchte, wozu er bei fortwährenden Reisen in fremde und unbekannte Länder die beste Gelegenheit fand. Auf diesen begleitete ihn stets ein sehr geliebter Freund, ein gewisser M. Barnett.
So hatte er in mehreren Welttheilen die entfern- testen Gegenden gesehen, als im Jahr 90 Tournier, seiner Aussage nach, ihn als Kammerdiener nach der
chem vor geraumer Zeit der junge Erbe dieſes Hauſes als einjähriges Kind geſtohlen, und lange nichts weiter von ihm gehört ward. Nach acht Jahren vergeblicher Nachforſchungen der troſtloſen Mutter, ſchickte einſt der Schornſteinfeger des Stadtviertels einen kleinen Knaben zum Fegen des Kamins in das Schlafzimmer der Lady Montague, in welchem man durch einen glücklichen Zufall, vermöge eines Maals am Auge und den darauf gegründeten Nachforſchungen den verlornen Sohn erkannte; eine Anekdote die ſpäter zu einem bekannten franzöſiſchen Vaudeville Anlaß gegeben hat. Aus Dankbarkeit für ein ſo unverhoff- tes Glück gab Lady Montague viele Jahre lang, und ich glaube noch jetzt geſchieht etwas Aehnliches, in dem großen Garten, der an ihr Palais ſtößt, der ganzen Schornſteinfeger-Innung von London am Tage des Wiederfindens ein Feſt, wo ſie ſelbſt, mit aller ihrer Dienerſchaft in Staatskleidung, für die Bewirthung dieſer Leute Sorge trug.
Der Knabe ward ſpäter ein ſehr ausgezeichneter, aber auch eben ſo excentriſcher und wilder Jüngling, der ſein Hauptvergnügen in ungewöhnlichen Wagſtücken ſuchte, wozu er bei fortwährenden Reiſen in fremde und unbekannte Länder die beſte Gelegenheit fand. Auf dieſen begleitete ihn ſtets ein ſehr geliebter Freund, ein gewiſſer M. Barnett.
So hatte er in mehreren Welttheilen die entfern- teſten Gegenden geſehen, als im Jahr 90 Tournier, ſeiner Ausſage nach, ihn als Kammerdiener nach der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0104"n="64"/>
chem vor geraumer Zeit der junge Erbe dieſes Hauſes<lb/>
als einjähriges Kind geſtohlen, und lange nichts weiter<lb/>
von ihm gehört ward. Nach acht Jahren vergeblicher<lb/>
Nachforſchungen der troſtloſen Mutter, ſchickte einſt<lb/>
der Schornſteinfeger des Stadtviertels einen kleinen<lb/>
Knaben zum Fegen des Kamins in das Schlafzimmer<lb/>
der Lady Montague, in welchem man durch einen<lb/>
glücklichen Zufall, vermöge eines Maals am Auge<lb/>
und den darauf gegründeten Nachforſchungen den<lb/>
verlornen Sohn erkannte; eine Anekdote die ſpäter<lb/>
zu einem bekannten franzöſiſchen Vaudeville Anlaß<lb/>
gegeben hat. Aus Dankbarkeit für ein ſo unverhoff-<lb/>
tes Glück gab Lady Montague viele Jahre lang, und<lb/>
ich glaube noch jetzt geſchieht etwas Aehnliches, in<lb/>
dem großen Garten, der an ihr Palais ſtößt, der<lb/>
ganzen Schornſteinfeger-Innung von London am<lb/>
Tage des Wiederfindens ein Feſt, wo ſie ſelbſt, mit<lb/>
aller ihrer Dienerſchaft in Staatskleidung, für die<lb/>
Bewirthung dieſer Leute Sorge trug.</p><lb/><p>Der Knabe ward ſpäter ein ſehr ausgezeichneter,<lb/>
aber auch eben ſo excentriſcher und wilder Jüngling,<lb/>
der ſein Hauptvergnügen in ungewöhnlichen Wagſtücken<lb/>ſuchte, wozu er bei fortwährenden Reiſen in fremde<lb/>
und unbekannte Länder die beſte Gelegenheit fand.<lb/>
Auf dieſen begleitete ihn ſtets ein ſehr geliebter<lb/>
Freund, ein gewiſſer M. Barnett.</p><lb/><p>So hatte er in mehreren Welttheilen die entfern-<lb/>
teſten Gegenden geſehen, als im Jahr 90 Tournier,<lb/>ſeiner Ausſage nach, ihn als Kammerdiener nach der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[64/0104]
chem vor geraumer Zeit der junge Erbe dieſes Hauſes
als einjähriges Kind geſtohlen, und lange nichts weiter
von ihm gehört ward. Nach acht Jahren vergeblicher
Nachforſchungen der troſtloſen Mutter, ſchickte einſt
der Schornſteinfeger des Stadtviertels einen kleinen
Knaben zum Fegen des Kamins in das Schlafzimmer
der Lady Montague, in welchem man durch einen
glücklichen Zufall, vermöge eines Maals am Auge
und den darauf gegründeten Nachforſchungen den
verlornen Sohn erkannte; eine Anekdote die ſpäter
zu einem bekannten franzöſiſchen Vaudeville Anlaß
gegeben hat. Aus Dankbarkeit für ein ſo unverhoff-
tes Glück gab Lady Montague viele Jahre lang, und
ich glaube noch jetzt geſchieht etwas Aehnliches, in
dem großen Garten, der an ihr Palais ſtößt, der
ganzen Schornſteinfeger-Innung von London am
Tage des Wiederfindens ein Feſt, wo ſie ſelbſt, mit
aller ihrer Dienerſchaft in Staatskleidung, für die
Bewirthung dieſer Leute Sorge trug.
Der Knabe ward ſpäter ein ſehr ausgezeichneter,
aber auch eben ſo excentriſcher und wilder Jüngling,
der ſein Hauptvergnügen in ungewöhnlichen Wagſtücken
ſuchte, wozu er bei fortwährenden Reiſen in fremde
und unbekannte Länder die beſte Gelegenheit fand.
Auf dieſen begleitete ihn ſtets ein ſehr geliebter
Freund, ein gewiſſer M. Barnett.
So hatte er in mehreren Welttheilen die entfern-
teſten Gegenden geſehen, als im Jahr 90 Tournier,
ſeiner Ausſage nach, ihn als Kammerdiener nach der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/104>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.