Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Schweiz begleitete. In Schaffhausen angelangt, faßte
der Lord die unglückliche Idee, mit einem Boote den
Rheinfall hinunterzufahren. Der erste Geistliche des
Orts, so wie viele andere Bekannte baten den jungen
Brausekopf um des Himmelswillen, ein so rasendes
Unternehmen zu unterlassen, jedoch vergebens. Man
wollte ihn sogar durch Aufbieten der Schaffhäuser
Stadtsoldaten daran verhindern, es scheint aber, daß
sie ihm nicht mehr Furcht als die weiland Leipziger
den dortigen Studiosen einflößten, oder täuschte er
ihre Wachsamkeit, kurz, nachdem er vorher einen
leeren Kahn gleichsam zur Probe als avantcoureur
voraus geschickt hatte, der auch glücklich mit seinem
hölzernen Leben davon kam, folgte er selbst in Ge-
sellschaft seines Freundes. Mr. Barnett hatte zwar
ebenfalls alles angewandt, dem entetirten Lord sein
Vorhaben auszureden, als ihm dieser aber zurief:
"Wie Barnett, Du bist mit mir über den ganzen Erd-
ball gezogen, hast jede Gefahr treulich mit bestanden,
und willst mich nun bei dieser Kinderei verlassen? so
gab er gezwungen nach und setzte sich, die Achseln
zuckend, in den verhängnißvollen Kahn.

Sie schwammen erst sanft und langsam, dann mit
immer reißenderer Schnelle dem Sturze zu, während
Hunderte von Zuschauern zagend den Wagehälsen
nachschauten.

Was indessen Jeder vorhergesagt, geschah. Die
Kante der Felsen berührend, schlug der Kahn um,
die beiden Männer erschienen nur noch einmal zwi-

Briefe eines Verstorbenen III. 5

Schweiz begleitete. In Schaffhauſen angelangt, faßte
der Lord die unglückliche Idee, mit einem Boote den
Rheinfall hinunterzufahren. Der erſte Geiſtliche des
Orts, ſo wie viele andere Bekannte baten den jungen
Brauſekopf um des Himmelswillen, ein ſo raſendes
Unternehmen zu unterlaſſen, jedoch vergebens. Man
wollte ihn ſogar durch Aufbieten der Schaffhäuſer
Stadtſoldaten daran verhindern, es ſcheint aber, daß
ſie ihm nicht mehr Furcht als die weiland Leipziger
den dortigen Studioſen einflößten, oder täuſchte er
ihre Wachſamkeit, kurz, nachdem er vorher einen
leeren Kahn gleichſam zur Probe als avantcoureur
voraus geſchickt hatte, der auch glücklich mit ſeinem
hölzernen Leben davon kam, folgte er ſelbſt in Ge-
ſellſchaft ſeines Freundes. Mr. Barnett hatte zwar
ebenfalls alles angewandt, dem entetirten Lord ſein
Vorhaben auszureden, als ihm dieſer aber zurief:
„Wie Barnett, Du biſt mit mir über den ganzen Erd-
ball gezogen, haſt jede Gefahr treulich mit beſtanden,
und willſt mich nun bei dieſer Kinderei verlaſſen? ſo
gab er gezwungen nach und ſetzte ſich, die Achſeln
zuckend, in den verhängnißvollen Kahn.

Sie ſchwammen erſt ſanft und langſam, dann mit
immer reißenderer Schnelle dem Sturze zu, während
Hunderte von Zuſchauern zagend den Wagehälſen
nachſchauten.

Was indeſſen Jeder vorhergeſagt, geſchah. Die
Kante der Felſen berührend, ſchlug der Kahn um,
die beiden Männer erſchienen nur noch einmal zwi-

Briefe eines Verſtorbenen III. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0105" n="65"/>
Schweiz begleitete. In Schaffhau&#x017F;en angelangt, faßte<lb/>
der Lord die unglückliche Idee, mit einem Boote den<lb/>
Rheinfall hinunterzufahren. Der er&#x017F;te Gei&#x017F;tliche des<lb/>
Orts, &#x017F;o wie viele andere Bekannte baten den jungen<lb/>
Brau&#x017F;ekopf um des Himmelswillen, ein &#x017F;o ra&#x017F;endes<lb/>
Unternehmen zu unterla&#x017F;&#x017F;en, jedoch vergebens. Man<lb/>
wollte ihn &#x017F;ogar durch Aufbieten der Schaffhäu&#x017F;er<lb/>
Stadt&#x017F;oldaten daran verhindern, es &#x017F;cheint aber, daß<lb/>
&#x017F;ie ihm nicht mehr Furcht als die weiland Leipziger<lb/>
den dortigen Studio&#x017F;en einflößten, oder täu&#x017F;chte er<lb/>
ihre Wach&#x017F;amkeit, kurz, nachdem er vorher einen<lb/>
leeren Kahn gleich&#x017F;am zur Probe als <hi rendition="#aq">avantcoureur</hi><lb/>
voraus ge&#x017F;chickt hatte, der auch glücklich mit &#x017F;einem<lb/>
hölzernen Leben davon kam, folgte er &#x017F;elb&#x017F;t in Ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;eines Freundes. Mr. Barnett hatte zwar<lb/>
ebenfalls alles angewandt, dem entetirten Lord &#x017F;ein<lb/>
Vorhaben auszureden, als ihm die&#x017F;er aber zurief:<lb/>
&#x201E;Wie Barnett, Du bi&#x017F;t mit mir über den ganzen Erd-<lb/>
ball gezogen, ha&#x017F;t jede Gefahr treulich mit be&#x017F;tanden,<lb/>
und will&#x017F;t mich nun bei die&#x017F;er Kinderei verla&#x017F;&#x017F;en? &#x017F;o<lb/>
gab er gezwungen nach und &#x017F;etzte &#x017F;ich, die Ach&#x017F;eln<lb/>
zuckend, in den verhängnißvollen Kahn.</p><lb/>
          <p>Sie &#x017F;chwammen er&#x017F;t &#x017F;anft und lang&#x017F;am, dann mit<lb/>
immer reißenderer Schnelle dem Sturze zu, während<lb/>
Hunderte von Zu&#x017F;chauern zagend den Wagehäl&#x017F;en<lb/>
nach&#x017F;chauten.</p><lb/>
          <p>Was inde&#x017F;&#x017F;en Jeder vorherge&#x017F;agt, ge&#x017F;chah. Die<lb/>
Kante der Fel&#x017F;en berührend, &#x017F;chlug der Kahn um,<lb/>
die beiden Männer er&#x017F;chienen nur noch einmal zwi-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Briefe eines Ver&#x017F;torbenen <hi rendition="#aq">III.</hi> 5</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0105] Schweiz begleitete. In Schaffhauſen angelangt, faßte der Lord die unglückliche Idee, mit einem Boote den Rheinfall hinunterzufahren. Der erſte Geiſtliche des Orts, ſo wie viele andere Bekannte baten den jungen Brauſekopf um des Himmelswillen, ein ſo raſendes Unternehmen zu unterlaſſen, jedoch vergebens. Man wollte ihn ſogar durch Aufbieten der Schaffhäuſer Stadtſoldaten daran verhindern, es ſcheint aber, daß ſie ihm nicht mehr Furcht als die weiland Leipziger den dortigen Studioſen einflößten, oder täuſchte er ihre Wachſamkeit, kurz, nachdem er vorher einen leeren Kahn gleichſam zur Probe als avantcoureur voraus geſchickt hatte, der auch glücklich mit ſeinem hölzernen Leben davon kam, folgte er ſelbſt in Ge- ſellſchaft ſeines Freundes. Mr. Barnett hatte zwar ebenfalls alles angewandt, dem entetirten Lord ſein Vorhaben auszureden, als ihm dieſer aber zurief: „Wie Barnett, Du biſt mit mir über den ganzen Erd- ball gezogen, haſt jede Gefahr treulich mit beſtanden, und willſt mich nun bei dieſer Kinderei verlaſſen? ſo gab er gezwungen nach und ſetzte ſich, die Achſeln zuckend, in den verhängnißvollen Kahn. Sie ſchwammen erſt ſanft und langſam, dann mit immer reißenderer Schnelle dem Sturze zu, während Hunderte von Zuſchauern zagend den Wagehälſen nachſchauten. Was indeſſen Jeder vorhergeſagt, geſchah. Die Kante der Felſen berührend, ſchlug der Kahn um, die beiden Männer erſchienen nur noch einmal zwi- Briefe eines Verſtorbenen III. 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/105
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/105>, abgerufen am 21.11.2024.