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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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(wenigstens auf dem Lande) auch Kutscher und Reit-
knechte oft mit bei Tafel, wobei sie nicht immer vom
Pferdegeruch ganz frei sind, und beim zweiten Früh-
stück, dem Cuncheon, das ein paar Stunden nach
dem ersten statt findet, und in der Regel nur von
den Damen benutzt wird (die bei Tisch gern la petite
bouche
machen und sich daher beim Cuncheon vorher
ganz ordentlich satt essen) erhält man keine Serviet-
ten, ein gebrauchtes Tischtuch, und oft gar nicht sehr
appetitliche Ueberreste des vorigen Tages.

Dies als Parenthese. Ich kehre jetzt zur "Tagesord-
nung" zurück. Haben also die Herren endlich hinläng-
lich getrunken, und den übrigen Bedürfnissen in pa-
triarchalischer Sitteneinfalt genügt, so suchen sie Thee,
Caffee, und das weibliche Geschlecht wieder auf, und
bleiben nun noch einige Stunden zusammen, ohne
sich deshalb doch sehr zu vereinigen. Heute z. B.,
als ich zur Beobachtung aufblickte, fand ich die Ge-
sellschaft folgendermassen vertheilt. Der kranke Herr
des Hauses lag auf dem Sopha und war ein wenig
eingeschlummert; fünf andere Herren und Damen la-
sen eifrig in sehr verschiedenen Werken und Akten-
stücken; (zu dieser Zahl gehörte auch ich, mit einem
Cahier Parkansichten vor mir) ein Andrer spielte schon
seit einer Viertelstunde mit einem geduldigen Hunde;
zwei alte Parlamentsglieder stritten sich heftig über
die Cornbill, und der Rest der Gesellschaft befand sich
im dunkeln Nebenzimmer, wo ein hübsches Mädchen
Clavier spielte, und eine Andere ohrenzerreißende,
schmachtende Balladen dazu sang, worüber die lie-

(wenigſtens auf dem Lande) auch Kutſcher und Reit-
knechte oft mit bei Tafel, wobei ſie nicht immer vom
Pferdegeruch ganz frei ſind, und beim zweiten Früh-
ſtück, dem Cuncheon, das ein paar Stunden nach
dem erſten ſtatt findet, und in der Regel nur von
den Damen benutzt wird (die bei Tiſch gern la petite
bouche
machen und ſich daher beim Cuncheon vorher
ganz ordentlich ſatt eſſen) erhält man keine Serviet-
ten, ein gebrauchtes Tiſchtuch, und oft gar nicht ſehr
appetitliche Ueberreſte des vorigen Tages.

Dies als Parentheſe. Ich kehre jetzt zur „Tagesord-
nung“ zurück. Haben alſo die Herren endlich hinläng-
lich getrunken, und den übrigen Bedürfniſſen in pa-
triarchaliſcher Sitteneinfalt genügt, ſo ſuchen ſie Thee,
Caffee, und das weibliche Geſchlecht wieder auf, und
bleiben nun noch einige Stunden zuſammen, ohne
ſich deshalb doch ſehr zu vereinigen. Heute z. B.,
als ich zur Beobachtung aufblickte, fand ich die Ge-
ſellſchaft folgendermaſſen vertheilt. Der kranke Herr
des Hauſes lag auf dem Sopha und war ein wenig
eingeſchlummert; fünf andere Herren und Damen la-
ſen eifrig in ſehr verſchiedenen Werken und Akten-
ſtücken; (zu dieſer Zahl gehörte auch ich, mit einem
Cahier Parkanſichten vor mir) ein Andrer ſpielte ſchon
ſeit einer Viertelſtunde mit einem geduldigen Hunde;
zwei alte Parlamentsglieder ſtritten ſich heftig über
die Cornbill, und der Reſt der Geſellſchaft befand ſich
im dunkeln Nebenzimmer, wo ein hübſches Mädchen
Clavier ſpielte, und eine Andere ohrenzerreißende,
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[343/0389] (wenigſtens auf dem Lande) auch Kutſcher und Reit- knechte oft mit bei Tafel, wobei ſie nicht immer vom Pferdegeruch ganz frei ſind, und beim zweiten Früh- ſtück, dem Cuncheon, das ein paar Stunden nach dem erſten ſtatt findet, und in der Regel nur von den Damen benutzt wird (die bei Tiſch gern la petite bouche machen und ſich daher beim Cuncheon vorher ganz ordentlich ſatt eſſen) erhält man keine Serviet- ten, ein gebrauchtes Tiſchtuch, und oft gar nicht ſehr appetitliche Ueberreſte des vorigen Tages. Dies als Parentheſe. Ich kehre jetzt zur „Tagesord- nung“ zurück. Haben alſo die Herren endlich hinläng- lich getrunken, und den übrigen Bedürfniſſen in pa- triarchaliſcher Sitteneinfalt genügt, ſo ſuchen ſie Thee, Caffee, und das weibliche Geſchlecht wieder auf, und bleiben nun noch einige Stunden zuſammen, ohne ſich deshalb doch ſehr zu vereinigen. Heute z. B., als ich zur Beobachtung aufblickte, fand ich die Ge- ſellſchaft folgendermaſſen vertheilt. Der kranke Herr des Hauſes lag auf dem Sopha und war ein wenig eingeſchlummert; fünf andere Herren und Damen la- ſen eifrig in ſehr verſchiedenen Werken und Akten- ſtücken; (zu dieſer Zahl gehörte auch ich, mit einem Cahier Parkanſichten vor mir) ein Andrer ſpielte ſchon ſeit einer Viertelſtunde mit einem geduldigen Hunde; zwei alte Parlamentsglieder ſtritten ſich heftig über die Cornbill, und der Reſt der Geſellſchaft befand ſich im dunkeln Nebenzimmer, wo ein hübſches Mädchen Clavier ſpielte, und eine Andere ohrenzerreißende, ſchmachtende Balladen dazu ſang, worüber die lie-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/389>, abgerufen am 22.11.2024.