Rechtlichkeit und Treue mit hinübergenommen -- (ein seltner Fall!) unterbrach mich hier, um mich zu über- morgen zu Tisch einzuladen. Das hat mich aufgehal- ten, zum Reiten ist es zu spät, Club-Gesellschaft zu besuchen habe ich keine Lust, ich werde also lieber noch einen zweiten Schlafrock überziehen, von Dir und M. träumen, deine Briefe wieder einmal überlesen, und geduldig dabei in meiner Stube frieren, bis ich zu Bett gehe, denn mehr wie 8 Grad Wärme kann ich in mei- nem luftigen und fensterreichen Lokal, durch bloßes Ka- minfeuer nicht hervorbringen. Also au revoir.
Den 10ten.
Es war billig, daß ich mich heute für den gestrigen Stubenarrest entschädigte, und viele Stunden in der Gegend umherirrte, um so mehr, da ich Abends mich executiren mußte, um einem großen Subscriptionsball beizuwohnen.
Die hiesige Umgegend ist gewiß sehr eigenthümlich, denn während vier Stunden Umherreitens fand ich immer noch keinen ausgewachsenen Baum. Die vie- len Hügel jedoch, die große Stadt in der Ferne, meh- rere kleinere in der Nähe, das Meer und seine Schiffe nebst einer häufig wechselnden Beleuchtung, belebten die Landschaft hinlänglich, und selbst der Contrast mit dem überall sonst so baumreichen England war nicht ohne Reize. Die Sonne gieng endlich incognito zur
Briefe eines Verstorbenen. III. 23
Rechtlichkeit und Treue mit hinübergenommen — (ein ſeltner Fall!) unterbrach mich hier, um mich zu über- morgen zu Tiſch einzuladen. Das hat mich aufgehal- ten, zum Reiten iſt es zu ſpät, Club-Geſellſchaft zu beſuchen habe ich keine Luſt, ich werde alſo lieber noch einen zweiten Schlafrock überziehen, von Dir und M. träumen, deine Briefe wieder einmal überleſen, und geduldig dabei in meiner Stube frieren, bis ich zu Bett gehe, denn mehr wie 8 Grad Wärme kann ich in mei- nem luftigen und fenſterreichen Lokal, durch bloßes Ka- minfeuer nicht hervorbringen. Alſo au revoir.
Den 10ten.
Es war billig, daß ich mich heute für den geſtrigen Stubenarreſt entſchädigte, und viele Stunden in der Gegend umherirrte, um ſo mehr, da ich Abends mich executiren mußte, um einem großen Subſcriptionsball beizuwohnen.
Die hieſige Umgegend iſt gewiß ſehr eigenthümlich, denn während vier Stunden Umherreitens fand ich immer noch keinen ausgewachſenen Baum. Die vie- len Hügel jedoch, die große Stadt in der Ferne, meh- rere kleinere in der Nähe, das Meer und ſeine Schiffe nebſt einer häufig wechſelnden Beleuchtung, belebten die Landſchaft hinlänglich, und ſelbſt der Contraſt mit dem überall ſonſt ſo baumreichen England war nicht ohne Reize. Die Sonne gieng endlich incognito zur
Briefe eines Verſtorbenen. III. 23
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0399"n="353"/>
Rechtlichkeit und Treue mit hinübergenommen — (ein<lb/>ſeltner Fall!) unterbrach mich hier, um mich zu über-<lb/>
morgen zu Tiſch einzuladen. Das hat mich aufgehal-<lb/>
ten, zum Reiten iſt es zu ſpät, Club-Geſellſchaft zu<lb/>
beſuchen habe ich keine Luſt, ich werde alſo lieber noch<lb/>
einen zweiten Schlafrock überziehen, von Dir und M.<lb/>
träumen, deine Briefe wieder einmal überleſen, und<lb/>
geduldig dabei in meiner Stube frieren, bis ich zu Bett<lb/>
gehe, denn mehr wie 8 Grad Wärme kann ich in mei-<lb/>
nem luftigen und fenſterreichen Lokal, durch bloßes Ka-<lb/>
minfeuer nicht hervorbringen. Alſo <hirendition="#aq">au revoir.</hi></p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Den 10ten.</hi></dateline></opener><lb/><p>Es war billig, daß ich mich heute für den geſtrigen<lb/>
Stubenarreſt entſchädigte, und viele Stunden in der<lb/>
Gegend umherirrte, um ſo mehr, da ich Abends mich<lb/>
executiren mußte, um einem großen Subſcriptionsball<lb/>
beizuwohnen.</p><lb/><p>Die hieſige Umgegend iſt gewiß ſehr eigenthümlich,<lb/>
denn während vier Stunden Umherreitens fand ich<lb/>
immer noch keinen ausgewachſenen Baum. Die vie-<lb/>
len Hügel jedoch, die große Stadt in der Ferne, meh-<lb/>
rere kleinere in der Nähe, das Meer und ſeine Schiffe<lb/>
nebſt einer häufig wechſelnden Beleuchtung, belebten<lb/>
die Landſchaft hinlänglich, und ſelbſt der Contraſt mit<lb/>
dem überall ſonſt ſo baumreichen England war nicht<lb/>
ohne Reize. Die Sonne gieng endlich incognito zur<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Briefe eines Verſtorbenen. <hirendition="#aq">III.</hi> 23</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[353/0399]
Rechtlichkeit und Treue mit hinübergenommen — (ein
ſeltner Fall!) unterbrach mich hier, um mich zu über-
morgen zu Tiſch einzuladen. Das hat mich aufgehal-
ten, zum Reiten iſt es zu ſpät, Club-Geſellſchaft zu
beſuchen habe ich keine Luſt, ich werde alſo lieber noch
einen zweiten Schlafrock überziehen, von Dir und M.
träumen, deine Briefe wieder einmal überleſen, und
geduldig dabei in meiner Stube frieren, bis ich zu Bett
gehe, denn mehr wie 8 Grad Wärme kann ich in mei-
nem luftigen und fenſterreichen Lokal, durch bloßes Ka-
minfeuer nicht hervorbringen. Alſo au revoir.
Den 10ten.
Es war billig, daß ich mich heute für den geſtrigen
Stubenarreſt entſchädigte, und viele Stunden in der
Gegend umherirrte, um ſo mehr, da ich Abends mich
executiren mußte, um einem großen Subſcriptionsball
beizuwohnen.
Die hieſige Umgegend iſt gewiß ſehr eigenthümlich,
denn während vier Stunden Umherreitens fand ich
immer noch keinen ausgewachſenen Baum. Die vie-
len Hügel jedoch, die große Stadt in der Ferne, meh-
rere kleinere in der Nähe, das Meer und ſeine Schiffe
nebſt einer häufig wechſelnden Beleuchtung, belebten
die Landſchaft hinlänglich, und ſelbſt der Contraſt mit
dem überall ſonſt ſo baumreichen England war nicht
ohne Reize. Die Sonne gieng endlich incognito zur
Briefe eines Verſtorbenen. III. 23
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/399>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.