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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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Als mich auf dem Wege die Schwermuth, welche
allen Gegenständen einen so trüben Anstrich gibt,
ganz überwältigen wollte, suchte ich eine Art Hülfe
bei Deiner Sevigne, deren Verhältniß mit ihrer Toch-
ter in der That viel Aehnliches mit dem unsrigen hat,
mit der Ausnahme jedoch: "que j'ai plus de votre sang"
als Frau von Grignan von dem ihrer Mutter. Du aber
gleichst der liebenswürdigen Sevigne, wie dem Portrait
einer Ahnfrau. Die Vorzüge, welche sie vor Dir hat,
gehören ihrer Zeit und Erziehung an, Du hast an-
dere vor ihr voraus, und was dort vollendeter und
abgeschlossener als klassisch erscheint, wird bei Dir --
reicher und sich in das Unendliche versenkend -- ro-
mantisch. Ich schlug das Buch au hazard auf. Ar-
tig genug war es, daß ich gerade auf diese Stelle
traf:
"N'aimons jamais ou n'aimons gueres
"Il est dangereux d'aimer tant!

worauf sie gefühlvoll hinzusetzt:
"Pour moi j'aime encore mieux le mal que le remede,
"et je trouve plus doux d'avoir de la peine a quitter
"les gens que j'aime, que de les aimer mediocrement."

Ein wahrer Trost ist es mir schon jetzt, Dir ein
Paar Zeilen geschrieben zu haben. Seit ich mich wie-
der mit Dir unterhalte, glaube ich Dir auch wieder
näher zu seyn.

Reiseabentheuer kann ich Dir noch nicht mittheilen,
ich war so sehr mit meinen innern Empfindungen
beschäftigt, daß ich kaum weiß, durch welche Orte ich
gekommen bin.

Als mich auf dem Wege die Schwermuth, welche
allen Gegenſtänden einen ſo trüben Anſtrich gibt,
ganz überwältigen wollte, ſuchte ich eine Art Hülfe
bei Deiner Sévigné, deren Verhältniß mit ihrer Toch-
ter in der That viel Aehnliches mit dem unſrigen hat,
mit der Ausnahme jedoch: „que j’ai plus de votre sang“
als Frau von Grignan von dem ihrer Mutter. Du aber
gleichſt der liebenswürdigen Sévigné, wie dem Portrait
einer Ahnfrau. Die Vorzüge, welche ſie vor Dir hat,
gehören ihrer Zeit und Erziehung an, Du haſt an-
dere vor ihr voraus, und was dort vollendeter und
abgeſchloſſener als klaſſiſch erſcheint, wird bei Dir —
reicher und ſich in das Unendliche verſenkend — ro-
mantiſch. Ich ſchlug das Buch au hazard auf. Ar-
tig genug war es, daß ich gerade auf dieſe Stelle
traf:
„N’aimons jamais ou n’aimons guėres
„Il est dangéreux d’aimer tant!

worauf ſie gefühlvoll hinzuſetzt:
„Pour moi j’aime encore mieux le mal que le remėde,
„et je trouve plus doux d’avoir de la peine à quitter
„les gens que j’ȧime, que de les aimer médiocrement.“

Ein wahrer Troſt iſt es mir ſchon jetzt, Dir ein
Paar Zeilen geſchrieben zu haben. Seit ich mich wie-
der mit Dir unterhalte, glaube ich Dir auch wieder
näher zu ſeyn.

Reiſeabentheuer kann ich Dir noch nicht mittheilen,
ich war ſo ſehr mit meinen innern Empfindungen
beſchäftigt, daß ich kaum weiß, durch welche Orte ich
gekommen bin.

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[2/0042] Als mich auf dem Wege die Schwermuth, welche allen Gegenſtänden einen ſo trüben Anſtrich gibt, ganz überwältigen wollte, ſuchte ich eine Art Hülfe bei Deiner Sévigné, deren Verhältniß mit ihrer Toch- ter in der That viel Aehnliches mit dem unſrigen hat, mit der Ausnahme jedoch: „que j’ai plus de votre sang“ als Frau von Grignan von dem ihrer Mutter. Du aber gleichſt der liebenswürdigen Sévigné, wie dem Portrait einer Ahnfrau. Die Vorzüge, welche ſie vor Dir hat, gehören ihrer Zeit und Erziehung an, Du haſt an- dere vor ihr voraus, und was dort vollendeter und abgeſchloſſener als klaſſiſch erſcheint, wird bei Dir — reicher und ſich in das Unendliche verſenkend — ro- mantiſch. Ich ſchlug das Buch au hazard auf. Ar- tig genug war es, daß ich gerade auf dieſe Stelle traf: „N’aimons jamais ou n’aimons guėres „Il est dangéreux d’aimer tant! worauf ſie gefühlvoll hinzuſetzt: „Pour moi j’aime encore mieux le mal que le remėde, „et je trouve plus doux d’avoir de la peine à quitter „les gens que j’ȧime, que de les aimer médiocrement.“ Ein wahrer Troſt iſt es mir ſchon jetzt, Dir ein Paar Zeilen geſchrieben zu haben. Seit ich mich wie- der mit Dir unterhalte, glaube ich Dir auch wieder näher zu ſeyn. Reiſeabentheuer kann ich Dir noch nicht mittheilen, ich war ſo ſehr mit meinen innern Empfindungen beſchäftigt, daß ich kaum weiß, durch welche Orte ich gekommen bin.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/42>, abgerufen am 21.11.2024.