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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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in der Mitte, ohne bestimmte Wohnung, bin dabei
auch eben so ätherischer und munterer Geistesstim-
mung, aber, ich muß es gestehen, mit schläfrigem
Körper, denn es ist 3 Uhr nach Mitternacht. Also
küsse ich Dir die Hände zur guten Nacht. Uebrigens
bitte ich doch im Traumbuch nachzusehen, was jene
Gesichte bedeuten mögen. -- Du kennst einmal mei-
nen lieben Aberglauben, der mir viel zu werth ist,
um mich durch schale Raisonnements davon abwen-
dig machen zu lassen -- z. B. wenn ein starker Geist
über Alles die Achseln zuckt, woran er nicht unmit-
telbar selbst mit der Nase stößt, oder ein salbungs-
reicher Priester sagt: "Es ist doch merkwürdig in-
consequent, wie mancher Mensch an die Religion (d. h.
dann immer Kirche und ihre Satzung) nicht glauben
will, und doch in andern Dingen der unvernünftigsten
Leichtgläubigkeit Raum giebt!" "O lieber Herr Pa-
stor," frage ich dann, "worin bestehen denn diese
unvernünftigen Dinge?" "Nun, der Glaube an
Sympathie, z. B. an Träume, an den Einfluß der
Sterne." Aber verehrtester Herr Pastor, darin finde
ich ganz und gar keine Inconsequenz! Jeder den-
kende Mensch muß eingestehen, daß es eine Menge
geheimnißvoller Kräfte in der Natur, terrestrische und
cosmische Einflüsse und Beziehungen giebt, von de-
nen wir selbst bereits schon manche entdeckt, die frü-
her für Fabel passirten, andere aber bis jetzt viel-
leicht nur ahnen, noch nicht erkennen können. Es
ist also keineswegs gegen die Vernunft, sich darüber
seine Hypothesen zu machen, und mehr oder weniger

in der Mitte, ohne beſtimmte Wohnung, bin dabei
auch eben ſo ätheriſcher und munterer Geiſtesſtim-
mung, aber, ich muß es geſtehen, mit ſchläfrigem
Körper, denn es iſt 3 Uhr nach Mitternacht. Alſo
küſſe ich Dir die Hände zur guten Nacht. Uebrigens
bitte ich doch im Traumbuch nachzuſehen, was jene
Geſichte bedeuten mögen. — Du kennſt einmal mei-
nen lieben Aberglauben, der mir viel zu werth iſt,
um mich durch ſchale Raiſonnements davon abwen-
dig machen zu laſſen — z. B. wenn ein ſtarker Geiſt
über Alles die Achſeln zuckt, woran er nicht unmit-
telbar ſelbſt mit der Naſe ſtößt, oder ein ſalbungs-
reicher Prieſter ſagt: „Es iſt doch merkwürdig in-
conſequent, wie mancher Menſch an die Religion (d. h.
dann immer Kirche und ihre Satzung) nicht glauben
will, und doch in andern Dingen der unvernünftigſten
Leichtgläubigkeit Raum giebt!“ „O lieber Herr Pa-
ſtor,“ frage ich dann, „worin beſtehen denn dieſe
unvernünftigen Dinge?“ „Nun, der Glaube an
Sympathie, z. B. an Träume, an den Einfluß der
Sterne.“ Aber verehrteſter Herr Paſtor, darin finde
ich ganz und gar keine Inconſequenz! Jeder den-
kende Menſch muß eingeſtehen, daß es eine Menge
geheimnißvoller Kräfte in der Natur, terreſtriſche und
cosmiſche Einflüſſe und Beziehungen giebt, von de-
nen wir ſelbſt bereits ſchon manche entdeckt, die frü-
her für Fabel paſſirten, andere aber bis jetzt viel-
leicht nur ahnen, noch nicht erkennen können. Es
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ſeine Hypotheſen zu machen, und mehr oder weniger

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[383/0429] in der Mitte, ohne beſtimmte Wohnung, bin dabei auch eben ſo ätheriſcher und munterer Geiſtesſtim- mung, aber, ich muß es geſtehen, mit ſchläfrigem Körper, denn es iſt 3 Uhr nach Mitternacht. Alſo küſſe ich Dir die Hände zur guten Nacht. Uebrigens bitte ich doch im Traumbuch nachzuſehen, was jene Geſichte bedeuten mögen. — Du kennſt einmal mei- nen lieben Aberglauben, der mir viel zu werth iſt, um mich durch ſchale Raiſonnements davon abwen- dig machen zu laſſen — z. B. wenn ein ſtarker Geiſt über Alles die Achſeln zuckt, woran er nicht unmit- telbar ſelbſt mit der Naſe ſtößt, oder ein ſalbungs- reicher Prieſter ſagt: „Es iſt doch merkwürdig in- conſequent, wie mancher Menſch an die Religion (d. h. dann immer Kirche und ihre Satzung) nicht glauben will, und doch in andern Dingen der unvernünftigſten Leichtgläubigkeit Raum giebt!“ „O lieber Herr Pa- ſtor,“ frage ich dann, „worin beſtehen denn dieſe unvernünftigen Dinge?“ „Nun, der Glaube an Sympathie, z. B. an Träume, an den Einfluß der Sterne.“ Aber verehrteſter Herr Paſtor, darin finde ich ganz und gar keine Inconſequenz! Jeder den- kende Menſch muß eingeſtehen, daß es eine Menge geheimnißvoller Kräfte in der Natur, terreſtriſche und cosmiſche Einflüſſe und Beziehungen giebt, von de- nen wir ſelbſt bereits ſchon manche entdeckt, die frü- her für Fabel paſſirten, andere aber bis jetzt viel- leicht nur ahnen, noch nicht erkennen können. Es iſt alſo keineswegs gegen die Vernunft, ſich darüber ſeine Hypotheſen zu machen, und mehr oder weniger

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/429>, abgerufen am 24.11.2024.