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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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an diese zu glauben. So bestreite ich auch ihnen
weder ihre Wunder, noch ihre Symbole, aber der
Vernunft, dem Verstande und Herzen, allen zusam-
men gleich unfaßbar, bleiben gewisse andere Dinge,
die viele von ihnen lehren, z. B. ein Gott, der lei-
denschaftlicher und partheilicher ist als der gebrech-
lichste Mensch; von der ewigen Liebe verhangene,
unendliche Martern für zeitliche Sünden, willkühr-
liche Vergebung und Verdammung nach Prädestina-
tion u. s. w. Diese Dinge werden nur dann möglich
seyn, wenn zwei mal zwei fünf geworden ist, und
kein Aberglaube reicht an den Wahnsinn dieses
Glaubens.

A propos, noch eins. Es fällt mir eben auf's Herz,
daß ich ganz vergessen, Dir für den schönen Neujahrs-
wunsch zu danken, jenen Schwan, der zwischen Ro-
senhecken dahin schwimmt, und Dir so ähnlich er-
scheint, eben so vortreffliche, frische, weiße Toilette
gemacht hat, eben so behaglich und zierlich aussieht.
Weißt Du, wie ich den Neujahrswunsch übersetze?
Er spricht so zu mir: Julie ist Deine Fortuna, und
wird Dich einst noch unter Rosen betten, nachdem
wir Beide uns jedoch vorher noch oft an den Dornen
blutig geritzt haben werden. Singt sie endlich ihren
Schwanengesang, so soll dieser auch ihren Freund
mit zur Ruhe singen.


an dieſe zu glauben. So beſtreite ich auch ihnen
weder ihre Wunder, noch ihre Symbole, aber der
Vernunft, dem Verſtande und Herzen, allen zuſam-
men gleich unfaßbar, bleiben gewiſſe andere Dinge,
die viele von ihnen lehren, z. B. ein Gott, der lei-
denſchaftlicher und partheilicher iſt als der gebrech-
lichſte Menſch; von der ewigen Liebe verhangene,
unendliche Martern für zeitliche Sünden, willkühr-
liche Vergebung und Verdammung nach Prädeſtina-
tion u. ſ. w. Dieſe Dinge werden nur dann möglich
ſeyn, wenn zwei mal zwei fünf geworden iſt, und
kein Aberglaube reicht an den Wahnſinn dieſes
Glaubens.

A propos, noch eins. Es fällt mir eben auf’s Herz,
daß ich ganz vergeſſen, Dir für den ſchönen Neujahrs-
wunſch zu danken, jenen Schwan, der zwiſchen Ro-
ſenhecken dahin ſchwimmt, und Dir ſo ähnlich er-
ſcheint, eben ſo vortreffliche, friſche, weiße Toilette
gemacht hat, eben ſo behaglich und zierlich ausſieht.
Weißt Du, wie ich den Neujahrswunſch überſetze?
Er ſpricht ſo zu mir: Julie iſt Deine Fortuna, und
wird Dich einſt noch unter Roſen betten, nachdem
wir Beide uns jedoch vorher noch oft an den Dornen
blutig geritzt haben werden. Singt ſie endlich ihren
Schwanengeſang, ſo ſoll dieſer auch ihren Freund
mit zur Ruhe ſingen.


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[384/0430] an dieſe zu glauben. So beſtreite ich auch ihnen weder ihre Wunder, noch ihre Symbole, aber der Vernunft, dem Verſtande und Herzen, allen zuſam- men gleich unfaßbar, bleiben gewiſſe andere Dinge, die viele von ihnen lehren, z. B. ein Gott, der lei- denſchaftlicher und partheilicher iſt als der gebrech- lichſte Menſch; von der ewigen Liebe verhangene, unendliche Martern für zeitliche Sünden, willkühr- liche Vergebung und Verdammung nach Prädeſtina- tion u. ſ. w. Dieſe Dinge werden nur dann möglich ſeyn, wenn zwei mal zwei fünf geworden iſt, und kein Aberglaube reicht an den Wahnſinn dieſes Glaubens. A propos, noch eins. Es fällt mir eben auf’s Herz, daß ich ganz vergeſſen, Dir für den ſchönen Neujahrs- wunſch zu danken, jenen Schwan, der zwiſchen Ro- ſenhecken dahin ſchwimmt, und Dir ſo ähnlich er- ſcheint, eben ſo vortreffliche, friſche, weiße Toilette gemacht hat, eben ſo behaglich und zierlich ausſieht. Weißt Du, wie ich den Neujahrswunſch überſetze? Er ſpricht ſo zu mir: Julie iſt Deine Fortuna, und wird Dich einſt noch unter Roſen betten, nachdem wir Beide uns jedoch vorher noch oft an den Dornen blutig geritzt haben werden. Singt ſie endlich ihren Schwanengeſang, ſo ſoll dieſer auch ihren Freund mit zur Ruhe ſingen.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/430>, abgerufen am 24.11.2024.