dicht daneben, ein öffentliches Gebäude aufzurichten, und ist eben jetzt beschäftigt, den Grund dazu zu gra- ben, wobei man auf die schönsten verschütteten Ueber- reste der alten Abtei gestoßen ist, die kunstreiche Ar- beit noch so wohl erhalten, als wenn sie erst gestern fertig geworden wäre. Ich sah mehrere herrliche Ca- pitäle noch in der Erde, und in einem Hause dane- ben vorzügliche Basreliefs, die man während der Ar- beit dahin gebracht hatte. Wir passirten hierauf den Fluß (die Ouse) in einem Kahn, und setzten unsere Promenade auf der Höhe der alten Stadtmauer fort, ein pittoresker, aber fast unzugänglicher Weg. Die umliegende Gegend ist äußerst frisch und grün, und die vielen gothischen Thürme und Kirchen geben ihr viel Abwechslung und bieten herrliche Prospekte dar. Nach einer Viertelstunde Wegs erreichten wir das sogenannte Micklethor, von dem der alte Barbecan (Seitenwerk) so eben abgerissen worden ist, welches aber im Uebrigen noch seine ursprüngliche Form ganz beibehalten hat. Die bunten und vergoldeten Wap- pen von York und England glänzten ritterlich dar- über in der Sonne. Auf einem nahen Felde hat man vor fünfzehn Jahren ein römisches Grab entdeckt, und der Hausbesitzer, der es gefunden hat, zeigt es jetzt Fremden für Geld in seinem Keller. Das Ge- wölbe, von römischen Ziegeln, ist so frisch wie mög- lich, und das Gerippe im Steinsarge darunter, wel- ches die Zeit dunkelbraun gefärbt, ist nach Aussage der Anatomen eine junge Frau, und was nach zwei- tausend Jahren viel sagen will, sie hat noch einige
dicht daneben, ein öffentliches Gebäude aufzurichten, und iſt eben jetzt beſchäftigt, den Grund dazu zu gra- ben, wobei man auf die ſchönſten verſchütteten Ueber- reſte der alten Abtei geſtoßen iſt, die kunſtreiche Ar- beit noch ſo wohl erhalten, als wenn ſie erſt geſtern fertig geworden wäre. Ich ſah mehrere herrliche Ca- pitäle noch in der Erde, und in einem Hauſe dane- ben vorzügliche Basreliefs, die man während der Ar- beit dahin gebracht hatte. Wir paſſirten hierauf den Fluß (die Ouſe) in einem Kahn, und ſetzten unſere Promenade auf der Höhe der alten Stadtmauer fort, ein pittoresker, aber faſt unzugänglicher Weg. Die umliegende Gegend iſt äußerſt friſch und grün, und die vielen gothiſchen Thürme und Kirchen geben ihr viel Abwechslung und bieten herrliche Proſpekte dar. Nach einer Viertelſtunde Wegs erreichten wir das ſogenannte Micklethor, von dem der alte Barbecan (Seitenwerk) ſo eben abgeriſſen worden iſt, welches aber im Uebrigen noch ſeine urſprüngliche Form ganz beibehalten hat. Die bunten und vergoldeten Wap- pen von York und England glänzten ritterlich dar- über in der Sonne. Auf einem nahen Felde hat man vor fünfzehn Jahren ein römiſches Grab entdeckt, und der Hausbeſitzer, der es gefunden hat, zeigt es jetzt Fremden für Geld in ſeinem Keller. Das Ge- wölbe, von römiſchen Ziegeln, iſt ſo friſch wie mög- lich, und das Gerippe im Steinſarge darunter, wel- ches die Zeit dunkelbraun gefärbt, iſt nach Ausſage der Anatomen eine junge Frau, und was nach zwei- tauſend Jahren viel ſagen will, ſie hat noch einige
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dicht daneben, ein öffentliches Gebäude aufzurichten,
und iſt eben jetzt beſchäftigt, den Grund dazu zu gra-
ben, wobei man auf die ſchönſten verſchütteten Ueber-
reſte der alten Abtei geſtoßen iſt, die kunſtreiche Ar-
beit noch ſo wohl erhalten, als wenn ſie erſt geſtern
fertig geworden wäre. Ich ſah mehrere herrliche Ca-
pitäle noch in der Erde, und in einem Hauſe dane-
ben vorzügliche Basreliefs, die man während der Ar-
beit dahin gebracht hatte. Wir paſſirten hierauf den
Fluß (die Ouſe) in einem Kahn, und ſetzten unſere
Promenade auf der Höhe der alten Stadtmauer fort,
ein pittoresker, aber faſt unzugänglicher Weg. Die
umliegende Gegend iſt äußerſt friſch und grün, und
die vielen gothiſchen Thürme und Kirchen geben ihr
viel Abwechslung und bieten herrliche Proſpekte dar.
Nach einer Viertelſtunde Wegs erreichten wir das
ſogenannte Micklethor, von dem der alte Barbecan
(Seitenwerk) ſo eben abgeriſſen worden iſt, welches
aber im Uebrigen noch ſeine urſprüngliche Form ganz
beibehalten hat. Die bunten und vergoldeten Wap-
pen von York und England glänzten ritterlich dar-
über in der Sonne. Auf einem nahen Felde hat man
vor fünfzehn Jahren ein römiſches Grab entdeckt,
und der Hausbeſitzer, der es gefunden hat, zeigt es
jetzt Fremden für Geld in ſeinem Keller. Das Ge-
wölbe, von römiſchen Ziegeln, iſt ſo friſch wie mög-
lich, und das Gerippe im Steinſarge darunter, wel-
ches die Zeit dunkelbraun gefärbt, iſt nach Ausſage
der Anatomen eine junge Frau, und was nach zwei-
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/194>, abgerufen am 22.12.2024.
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