Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

beaux restes -- nämlich herrliche Zähne, und dazu
einen der schönsten cranologischen Schädel. Ich un-
tersuchte ihre Organe sorgfältig, und fand die wün-
schenswerthesten Eigenschaften, ja in solchem Maße,
daß ich es sehr bedauerte, sie zweitausend Jahre zu
spät kennen gelernt zu haben, sonst hätte ich sie ge-
heirathet. Einen besser organisirten Schädel finde
ich gewiß nie. Reich scheint sie indessen nicht gewe-
sen zu seyn, denn es haben sich nur zwei Glas-Fla-
cons in ihrem steinernen Sarge gefunden -- an sich
jedoch höchst merkwürdige Gegenstände, deren Glei-
chen man, so vollkommen erhalten und unserm Glase
so ähnlich, so viel ich weiß, außer Pompeji noch nir-
gends angetroffen. Das Glas unterscheidet sich von
unserm nur durch einen silberartigen Schein, und
hat, was am meisten auffällt, nirgends eine Marke,
die anzeigt, daß es geblasen sey, welche Marke man
bei allen unsern ungeschliffenen Gläsern nicht verber-
gen kann. Die Direktion des Londoner Museums
hat dem Besitzer schon große Summen für diese Glä-
ser geboten. Er findet es aber vortheilhafter, für ei-
nen Thaler unseres Geldes die Merkwürdigkeit Frem-
den zu zeigen.

Nachdem wir zum Micklethor zurückgekehrt wa-
ren, ging es nun noch mühsamer auf der zerbröckel-
ten Stadtmauer weiter, bis wir nach halbstündigem
Klettern eine schöne Ruine, Cliffords Thurm ge-
nannt, erreichten. Dieser alte feste Thurm spielt
eine Rolle in der englischen Geschichte. Einmal un-
ter andern wurden tausend Juden bis auf Einen

12*

beaux restes — nämlich herrliche Zähne, und dazu
einen der ſchönſten cranologiſchen Schädel. Ich un-
terſuchte ihre Organe ſorgfältig, und fand die wün-
ſchenswertheſten Eigenſchaften, ja in ſolchem Maße,
daß ich es ſehr bedauerte, ſie zweitauſend Jahre zu
ſpät kennen gelernt zu haben, ſonſt hätte ich ſie ge-
heirathet. Einen beſſer organiſirten Schädel finde
ich gewiß nie. Reich ſcheint ſie indeſſen nicht gewe-
ſen zu ſeyn, denn es haben ſich nur zwei Glas-Fla-
cons in ihrem ſteinernen Sarge gefunden — an ſich
jedoch höchſt merkwürdige Gegenſtände, deren Glei-
chen man, ſo vollkommen erhalten und unſerm Glaſe
ſo ähnlich, ſo viel ich weiß, außer Pompeji noch nir-
gends angetroffen. Das Glas unterſcheidet ſich von
unſerm nur durch einen ſilberartigen Schein, und
hat, was am meiſten auffällt, nirgends eine Marke,
die anzeigt, daß es geblaſen ſey, welche Marke man
bei allen unſern ungeſchliffenen Gläſern nicht verber-
gen kann. Die Direktion des Londoner Muſeums
hat dem Beſitzer ſchon große Summen für dieſe Glä-
ſer geboten. Er findet es aber vortheilhafter, für ei-
nen Thaler unſeres Geldes die Merkwürdigkeit Frem-
den zu zeigen.

Nachdem wir zum Micklethor zurückgekehrt wa-
ren, ging es nun noch mühſamer auf der zerbröckel-
ten Stadtmauer weiter, bis wir nach halbſtündigem
Klettern eine ſchöne Ruine, Cliffords Thurm ge-
nannt, erreichten. Dieſer alte feſte Thurm ſpielt
eine Rolle in der engliſchen Geſchichte. Einmal un-
ter andern wurden tauſend Juden bis auf Einen

12*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0195" n="179"/><hi rendition="#aq">beaux restes</hi> &#x2014; nämlich herrliche Zähne, und dazu<lb/>
einen der &#x017F;chön&#x017F;ten cranologi&#x017F;chen Schädel. Ich un-<lb/>
ter&#x017F;uchte ihre Organe &#x017F;orgfältig, und fand die wün-<lb/>
&#x017F;chenswerthe&#x017F;ten Eigen&#x017F;chaften, ja in &#x017F;olchem Maße,<lb/>
daß ich es &#x017F;ehr bedauerte, &#x017F;ie zweitau&#x017F;end Jahre zu<lb/>
&#x017F;pät kennen gelernt zu haben, &#x017F;on&#x017F;t hätte ich &#x017F;ie ge-<lb/>
heirathet. Einen be&#x017F;&#x017F;er organi&#x017F;irten Schädel finde<lb/>
ich gewiß nie. Reich &#x017F;cheint &#x017F;ie inde&#x017F;&#x017F;en nicht gewe-<lb/>
&#x017F;en zu &#x017F;eyn, denn es haben &#x017F;ich nur zwei Glas-Fla-<lb/>
cons in ihrem &#x017F;teinernen Sarge gefunden &#x2014; an &#x017F;ich<lb/>
jedoch höch&#x017F;t merkwürdige Gegen&#x017F;tände, deren Glei-<lb/>
chen man, &#x017F;o vollkommen erhalten und un&#x017F;erm Gla&#x017F;e<lb/>
&#x017F;o ähnlich, &#x017F;o viel ich weiß, außer Pompeji noch nir-<lb/>
gends angetroffen. Das Glas unter&#x017F;cheidet &#x017F;ich von<lb/>
un&#x017F;erm nur durch einen &#x017F;ilberartigen Schein, und<lb/>
hat, was am mei&#x017F;ten auffällt, nirgends eine Marke,<lb/>
die anzeigt, daß es gebla&#x017F;en &#x017F;ey, welche Marke man<lb/>
bei allen un&#x017F;ern unge&#x017F;chliffenen Glä&#x017F;ern nicht verber-<lb/>
gen kann. Die Direktion des Londoner Mu&#x017F;eums<lb/>
hat dem Be&#x017F;itzer &#x017F;chon große Summen für die&#x017F;e Glä-<lb/>
&#x017F;er geboten. Er findet es aber vortheilhafter, für ei-<lb/>
nen Thaler un&#x017F;eres Geldes die Merkwürdigkeit Frem-<lb/>
den zu zeigen.</p><lb/>
          <p>Nachdem wir zum Micklethor zurückgekehrt wa-<lb/>
ren, ging es nun noch müh&#x017F;amer auf der zerbröckel-<lb/>
ten Stadtmauer weiter, bis wir nach halb&#x017F;tündigem<lb/>
Klettern eine &#x017F;chöne Ruine, Cliffords Thurm ge-<lb/>
nannt, erreichten. Die&#x017F;er alte fe&#x017F;te Thurm &#x017F;pielt<lb/>
eine Rolle in der engli&#x017F;chen Ge&#x017F;chichte. Einmal un-<lb/>
ter andern wurden tau&#x017F;end Juden bis auf Einen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">12*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0195] beaux restes — nämlich herrliche Zähne, und dazu einen der ſchönſten cranologiſchen Schädel. Ich un- terſuchte ihre Organe ſorgfältig, und fand die wün- ſchenswertheſten Eigenſchaften, ja in ſolchem Maße, daß ich es ſehr bedauerte, ſie zweitauſend Jahre zu ſpät kennen gelernt zu haben, ſonſt hätte ich ſie ge- heirathet. Einen beſſer organiſirten Schädel finde ich gewiß nie. Reich ſcheint ſie indeſſen nicht gewe- ſen zu ſeyn, denn es haben ſich nur zwei Glas-Fla- cons in ihrem ſteinernen Sarge gefunden — an ſich jedoch höchſt merkwürdige Gegenſtände, deren Glei- chen man, ſo vollkommen erhalten und unſerm Glaſe ſo ähnlich, ſo viel ich weiß, außer Pompeji noch nir- gends angetroffen. Das Glas unterſcheidet ſich von unſerm nur durch einen ſilberartigen Schein, und hat, was am meiſten auffällt, nirgends eine Marke, die anzeigt, daß es geblaſen ſey, welche Marke man bei allen unſern ungeſchliffenen Gläſern nicht verber- gen kann. Die Direktion des Londoner Muſeums hat dem Beſitzer ſchon große Summen für dieſe Glä- ſer geboten. Er findet es aber vortheilhafter, für ei- nen Thaler unſeres Geldes die Merkwürdigkeit Frem- den zu zeigen. Nachdem wir zum Micklethor zurückgekehrt wa- ren, ging es nun noch mühſamer auf der zerbröckel- ten Stadtmauer weiter, bis wir nach halbſtündigem Klettern eine ſchöne Ruine, Cliffords Thurm ge- nannt, erreichten. Dieſer alte feſte Thurm ſpielt eine Rolle in der engliſchen Geſchichte. Einmal un- ter andern wurden tauſend Juden bis auf Einen 12*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/195
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/195>, abgerufen am 22.12.2024.