Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Am glücklichsten und achtungswürdigsten ist in
dieser Hinsicht ohne Zweifel die wohlhabende
mittlere Classe
in England, deren active Po-
litik sich nur auf das Gedeihen ihrer Provinz be-
schränkt, und unter der überhaupt ziemlich gleiche
Ansichten und Grundsätze herrschen. Diese unmo-
dische Classe allein ist auch wahrhaft gastfrei und
kennt keinen Dünkel. Sie recherchirt den Fremden
nicht, aber kömmt er in ihren Weg, so behandelt sie
ihn freundlich und mit Theilnahme. Ihr eignes Va-
terland liebt sie leidenschaftlich, aber ohne zu persön-
liches Interesse, ohne Hoffnung auf Sinecuren, und
ohne Intrigue. Diese Art Leute sind zwar auch
manchmal lächerlich, aber immer achtungswerth, und
ihr National-Egoismus in billigere Schranken ge-
bannt.

Wie ehemals in Frankreich kann man daher mit
vollkommenem Rechte auch in England sagen: que
les deux bouts du fruit sont gates,
die Aristokratie
und der Pöbel. Die erste hat allerdings eine be-
wunderungswürdig herrliche Stellung -- aber ohne
große Mäßigung, ohne große, der Vernunft
und der Zeit gebrachte Concessionen
, wird
sie diese Stellung vielleicht kein halbes Jahrhundert
mehr inne haben. Ich sagte dies einmal dem Für-
sten E..., und er lachte mich aus, mais nous
verrons!

Schlüßlich excerpire ich Dir noch einige Stellen
aus den hiesigen Journalen, um Dir einen Begriff
von der Freiheit der Presse zu geben.

Am glücklichſten und achtungswürdigſten iſt in
dieſer Hinſicht ohne Zweifel die wohlhabende
mittlere Claſſe
in England, deren active Po-
litik ſich nur auf das Gedeihen ihrer Provinz be-
ſchränkt, und unter der überhaupt ziemlich gleiche
Anſichten und Grundſätze herrſchen. Dieſe unmo-
diſche Claſſe allein iſt auch wahrhaft gaſtfrei und
kennt keinen Dünkel. Sie recherchirt den Fremden
nicht, aber kömmt er in ihren Weg, ſo behandelt ſie
ihn freundlich und mit Theilnahme. Ihr eignes Va-
terland liebt ſie leidenſchaftlich, aber ohne zu perſön-
liches Intereſſe, ohne Hoffnung auf Sinecuren, und
ohne Intrigue. Dieſe Art Leute ſind zwar auch
manchmal lächerlich, aber immer achtungswerth, und
ihr National-Egoismus in billigere Schranken ge-
bannt.

Wie ehemals in Frankreich kann man daher mit
vollkommenem Rechte auch in England ſagen: que
les deux bouts du fruit sont gatés,
die Ariſtokratie
und der Pöbel. Die erſte hat allerdings eine be-
wunderungswürdig herrliche Stellung — aber ohne
große Mäßigung, ohne große, der Vernunft
und der Zeit gebrachte Conceſſionen
, wird
ſie dieſe Stellung vielleicht kein halbes Jahrhundert
mehr inne haben. Ich ſagte dies einmal dem Für-
ſten E…, und er lachte mich aus, mais nous
verrons!

Schlüßlich excerpire ich Dir noch einige Stellen
aus den hieſigen Journalen, um Dir einen Begriff
von der Freiheit der Preſſe zu geben.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0025" n="9"/>
          <p>Am glücklich&#x017F;ten und achtungswürdig&#x017F;ten i&#x017F;t in<lb/>
die&#x017F;er Hin&#x017F;icht ohne Zweifel <hi rendition="#g">die wohlhabende<lb/>
mittlere Cla&#x017F;&#x017F;e</hi> in England, deren active Po-<lb/>
litik &#x017F;ich nur auf das Gedeihen ihrer Provinz be-<lb/>
&#x017F;chränkt, und unter der überhaupt ziemlich gleiche<lb/>
An&#x017F;ichten und Grund&#x017F;ätze herr&#x017F;chen. Die&#x017F;e unmo-<lb/>
di&#x017F;che Cla&#x017F;&#x017F;e allein i&#x017F;t auch wahrhaft ga&#x017F;tfrei und<lb/>
kennt keinen Dünkel. Sie recherchirt den Fremden<lb/>
nicht, aber kömmt er in ihren Weg, &#x017F;o behandelt &#x017F;ie<lb/>
ihn freundlich und mit Theilnahme. Ihr eignes Va-<lb/>
terland liebt &#x017F;ie leiden&#x017F;chaftlich, aber ohne zu per&#x017F;ön-<lb/>
liches Intere&#x017F;&#x017F;e, ohne Hoffnung auf Sinecuren, und<lb/>
ohne Intrigue. Die&#x017F;e Art Leute &#x017F;ind zwar auch<lb/>
manchmal lächerlich, aber immer achtungswerth, und<lb/>
ihr National-Egoismus in billigere Schranken ge-<lb/>
bannt.</p><lb/>
          <p>Wie ehemals in Frankreich kann man daher mit<lb/>
vollkommenem Rechte auch in England &#x017F;agen: <hi rendition="#aq">que<lb/>
les deux bouts du fruit sont gatés,</hi> die Ari&#x017F;tokratie<lb/>
und der Pöbel. Die er&#x017F;te hat allerdings eine be-<lb/>
wunderungswürdig herrliche Stellung &#x2014; aber ohne<lb/>
große Mäßigung, ohne <hi rendition="#g">große, der Vernunft<lb/>
und der Zeit gebrachte Conce&#x017F;&#x017F;ionen</hi>, wird<lb/>
&#x017F;ie die&#x017F;e Stellung vielleicht kein halbes Jahrhundert<lb/>
mehr inne haben. Ich &#x017F;agte dies einmal dem Für-<lb/>
&#x017F;ten E&#x2026;, und er lachte mich aus, <hi rendition="#aq">mais nous<lb/>
verrons!</hi></p><lb/>
          <p>Schlüßlich excerpire ich Dir noch einige Stellen<lb/>
aus den hie&#x017F;igen Journalen, um Dir einen Begriff<lb/>
von der Freiheit der Pre&#x017F;&#x017F;e zu geben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0025] Am glücklichſten und achtungswürdigſten iſt in dieſer Hinſicht ohne Zweifel die wohlhabende mittlere Claſſe in England, deren active Po- litik ſich nur auf das Gedeihen ihrer Provinz be- ſchränkt, und unter der überhaupt ziemlich gleiche Anſichten und Grundſätze herrſchen. Dieſe unmo- diſche Claſſe allein iſt auch wahrhaft gaſtfrei und kennt keinen Dünkel. Sie recherchirt den Fremden nicht, aber kömmt er in ihren Weg, ſo behandelt ſie ihn freundlich und mit Theilnahme. Ihr eignes Va- terland liebt ſie leidenſchaftlich, aber ohne zu perſön- liches Intereſſe, ohne Hoffnung auf Sinecuren, und ohne Intrigue. Dieſe Art Leute ſind zwar auch manchmal lächerlich, aber immer achtungswerth, und ihr National-Egoismus in billigere Schranken ge- bannt. Wie ehemals in Frankreich kann man daher mit vollkommenem Rechte auch in England ſagen: que les deux bouts du fruit sont gatés, die Ariſtokratie und der Pöbel. Die erſte hat allerdings eine be- wunderungswürdig herrliche Stellung — aber ohne große Mäßigung, ohne große, der Vernunft und der Zeit gebrachte Conceſſionen, wird ſie dieſe Stellung vielleicht kein halbes Jahrhundert mehr inne haben. Ich ſagte dies einmal dem Für- ſten E…, und er lachte mich aus, mais nous verrons! Schlüßlich excerpire ich Dir noch einige Stellen aus den hieſigen Journalen, um Dir einen Begriff von der Freiheit der Preſſe zu geben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/25
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/25>, abgerufen am 22.12.2024.