Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Erfahrung (denn auch Aerzte sind hypochondrisch)
daß, ehe noch die Gewohnheit eines feigen und trä-
gen Unterwerfens unter solche Gefühle unbesiegbar
geworden ist, ein frischer, und ich möchte sagen ge-
wissenhafter Entschluß die anrückenden Uebel jener
vaporeusen Bedrückung gewaltsam zu zertheilen --
einen weitern Weg zu diesem Zwecke zurücklegen kann.
Possunt quia posse videntur. (Diejenigen können,
welche zu können glauben). Wir wollen demun-
geachtet nicht so extravagant seyn, um zu sagen, daß
eine Person, um gesund zu werden, es nur ernstlich
zu wollen brauche; aber das sind wir überzeugt, daß
ein Mensch oft unter der Last einer Indisposition
unterliegt, der mit einer geist- und muthvollen An-
strengung sie abgeworfen haben würde. Die Lehre
von der Unwiderstehlichkeit des Schicksals ist weder
eine wahre noch nützliche Lehre, und der Hypochonder
sollte bedenken, daß wenn er zur Schwermuth sagt:
Künftig sollst Du mein einziges Gut seyn, er nicht
allein sein eigenes Schicksal feststellt, son-
dern auch das derer, die ihn lieben, mehr
oder weniger mit bestimmt
."

"Melancholie hat überdem etwas Poetisches und
Sentimentales in sich, welches ihr bei allem Schmerz
einen gewissen Reiz gibt -- doch wenn es von allem
äußern Schmuck völlig entblößt, und in seiner Nackt-
heit dargestellt wird, bleibt am Ende nicht viel mehr
übrig als Stolz, Eigennutz, und vor allen Trägheit.
Ich kann mir kein schöneres Schauspiel denken, als
das eines Wesens, dessen constitutionelle Verfassung

Erfahrung (denn auch Aerzte ſind hypochondriſch)
daß, ehe noch die Gewohnheit eines feigen und trä-
gen Unterwerfens unter ſolche Gefühle unbeſiegbar
geworden iſt, ein friſcher, und ich möchte ſagen ge-
wiſſenhafter Entſchluß die anrückenden Uebel jener
vaporeuſen Bedrückung gewaltſam zu zertheilen —
einen weitern Weg zu dieſem Zwecke zurücklegen kann.
Possunt quia posse videntur. (Diejenigen können,
welche zu können glauben). Wir wollen demun-
geachtet nicht ſo extravagant ſeyn, um zu ſagen, daß
eine Perſon, um geſund zu werden, es nur ernſtlich
zu wollen brauche; aber das ſind wir überzeugt, daß
ein Menſch oft unter der Laſt einer Indispoſition
unterliegt, der mit einer geiſt- und muthvollen An-
ſtrengung ſie abgeworfen haben würde. Die Lehre
von der Unwiderſtehlichkeit des Schickſals iſt weder
eine wahre noch nützliche Lehre, und der Hypochonder
ſollte bedenken, daß wenn er zur Schwermuth ſagt:
Künftig ſollſt Du mein einziges Gut ſeyn, er nicht
allein ſein eigenes Schickſal feſtſtellt, ſon-
dern auch das derer, die ihn lieben, mehr
oder weniger mit beſtimmt
.“

„Melancholie hat überdem etwas Poetiſches und
Sentimentales in ſich, welches ihr bei allem Schmerz
einen gewiſſen Reiz gibt — doch wenn es von allem
äußern Schmuck völlig entblößt, und in ſeiner Nackt-
heit dargeſtellt wird, bleibt am Ende nicht viel mehr
übrig als Stolz, Eigennutz, und vor allen Trägheit.
Ich kann mir kein ſchöneres Schauſpiel denken, als
das eines Weſens, deſſen conſtitutionelle Verfaſſung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0284" n="268"/>
Erfahrung (denn auch Aerzte &#x017F;ind hypochondri&#x017F;ch)<lb/>
daß, ehe noch die Gewohnheit eines feigen und trä-<lb/>
gen Unterwerfens unter &#x017F;olche Gefühle unbe&#x017F;iegbar<lb/>
geworden i&#x017F;t, ein fri&#x017F;cher, und ich möchte &#x017F;agen ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;enhafter Ent&#x017F;chluß die anrückenden Uebel jener<lb/>
vaporeu&#x017F;en Bedrückung gewalt&#x017F;am zu zertheilen &#x2014;<lb/>
einen weitern Weg zu die&#x017F;em Zwecke zurücklegen kann.<lb/><hi rendition="#aq">Possunt quia posse videntur.</hi> (Diejenigen <hi rendition="#g">können</hi>,<lb/>
welche zu können <hi rendition="#g">glauben</hi>). Wir wollen demun-<lb/>
geachtet nicht &#x017F;o extravagant &#x017F;eyn, um zu &#x017F;agen, daß<lb/>
eine Per&#x017F;on, um ge&#x017F;und zu werden, es nur ern&#x017F;tlich<lb/>
zu wollen brauche; aber das &#x017F;ind wir überzeugt, daß<lb/>
ein Men&#x017F;ch oft unter der La&#x017F;t einer Indispo&#x017F;ition<lb/>
unterliegt, der mit einer gei&#x017F;t- und muthvollen An-<lb/>
&#x017F;trengung &#x017F;ie abgeworfen haben würde. Die Lehre<lb/>
von der Unwider&#x017F;tehlichkeit des Schick&#x017F;als i&#x017F;t weder<lb/>
eine wahre noch nützliche Lehre, und der Hypochonder<lb/>
&#x017F;ollte bedenken, daß wenn er zur Schwermuth &#x017F;agt:<lb/>
Künftig &#x017F;oll&#x017F;t Du mein einziges Gut &#x017F;eyn, er nicht<lb/>
allein <hi rendition="#g">&#x017F;ein eigenes Schick&#x017F;al fe&#x017F;t&#x017F;tellt, &#x017F;on-<lb/>
dern auch das derer, die ihn lieben, mehr<lb/>
oder weniger mit be&#x017F;timmt</hi>.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Melancholie hat überdem etwas Poeti&#x017F;ches und<lb/>
Sentimentales in &#x017F;ich, welches ihr bei allem Schmerz<lb/>
einen gewi&#x017F;&#x017F;en Reiz gibt &#x2014; doch wenn es von allem<lb/>
äußern Schmuck völlig entblößt, und in &#x017F;einer Nackt-<lb/>
heit darge&#x017F;tellt wird, bleibt am Ende nicht viel mehr<lb/>
übrig als Stolz, Eigennutz, und vor allen Trägheit.<lb/>
Ich kann mir kein &#x017F;chöneres Schau&#x017F;piel denken, als<lb/>
das eines We&#x017F;ens, de&#x017F;&#x017F;en con&#x017F;titutionelle Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0284] Erfahrung (denn auch Aerzte ſind hypochondriſch) daß, ehe noch die Gewohnheit eines feigen und trä- gen Unterwerfens unter ſolche Gefühle unbeſiegbar geworden iſt, ein friſcher, und ich möchte ſagen ge- wiſſenhafter Entſchluß die anrückenden Uebel jener vaporeuſen Bedrückung gewaltſam zu zertheilen — einen weitern Weg zu dieſem Zwecke zurücklegen kann. Possunt quia posse videntur. (Diejenigen können, welche zu können glauben). Wir wollen demun- geachtet nicht ſo extravagant ſeyn, um zu ſagen, daß eine Perſon, um geſund zu werden, es nur ernſtlich zu wollen brauche; aber das ſind wir überzeugt, daß ein Menſch oft unter der Laſt einer Indispoſition unterliegt, der mit einer geiſt- und muthvollen An- ſtrengung ſie abgeworfen haben würde. Die Lehre von der Unwiderſtehlichkeit des Schickſals iſt weder eine wahre noch nützliche Lehre, und der Hypochonder ſollte bedenken, daß wenn er zur Schwermuth ſagt: Künftig ſollſt Du mein einziges Gut ſeyn, er nicht allein ſein eigenes Schickſal feſtſtellt, ſon- dern auch das derer, die ihn lieben, mehr oder weniger mit beſtimmt.“ „Melancholie hat überdem etwas Poetiſches und Sentimentales in ſich, welches ihr bei allem Schmerz einen gewiſſen Reiz gibt — doch wenn es von allem äußern Schmuck völlig entblößt, und in ſeiner Nackt- heit dargeſtellt wird, bleibt am Ende nicht viel mehr übrig als Stolz, Eigennutz, und vor allen Trägheit. Ich kann mir kein ſchöneres Schauſpiel denken, als das eines Weſens, deſſen conſtitutionelle Verfaſſung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/284
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/284>, abgerufen am 23.12.2024.