es zum Melancholischen hinneigt, und das mit sei- nem Temperament herzhaft kämpfend, durch Willens- kraft sich zwingt, Theil an der Heiterkeit der es um- gebenden Welt und der wechselnden Scenen des ge- sellschaftlichen Lebens zu nehmen. In diesem Fall behält es allen Reiz der Melancholie ohne seine Qual."
Ist das nicht sehr schön und einleuchtend? und wird es Dich nicht eben so bekehren, als es mich in meiner Bekehrung bestärkt hat? Ich hoffe, Du wirst mir bei der nächsten hypochondrischen Anwandlung antworten: Lieber Freund, bitte, kein Wort weiter, ich will heiter seyn.
Du wunderst Dich gewiß, daß ich in dieser un- dankbaren Jahreszeit noch immer in London verweile, aber Lady R..... ist noch hier -- überdem habe ich mich in das einsame Leben eingerichtet, das blos von dem Lärm der kleinen Heerde Putzmacherinnen im Hause manchmal unterbrochen wird, das Theater hat auch angefangen mich zu interessiren, und die Friedlichkeit dieses Stilllebens bekömmt mir wohl nach dem frühern trouble. Es ist wirklich so still, daß, gleich dem be- rühmten Gefangenen in der Bastille, ich seit Kurzem eine Liaison mit einer Maus begonnen habe, ein allerliebstes kleines Thierchen, und ohne Zweifel eine verwünschte Lady, die, wenn ich arbeite, schüchtern hervorschleicht, mich von weitem mit ihren Aeuglein, gleich blinkenden Sternchen, anblickt, immer zahmer wird, und angelockt durch Kuchenstückchen, die ihr jeden Tag sechs Zoll entfernter von ihrer Residenz in der rechten Stubenecke hingelegt werden -- eben jetzt
es zum Melancholiſchen hinneigt, und das mit ſei- nem Temperament herzhaft kämpfend, durch Willens- kraft ſich zwingt, Theil an der Heiterkeit der es um- gebenden Welt und der wechſelnden Scenen des ge- ſellſchaftlichen Lebens zu nehmen. In dieſem Fall behält es allen Reiz der Melancholie ohne ſeine Qual.“
Iſt das nicht ſehr ſchön und einleuchtend? und wird es Dich nicht eben ſo bekehren, als es mich in meiner Bekehrung beſtärkt hat? Ich hoffe, Du wirſt mir bei der nächſten hypochondriſchen Anwandlung antworten: Lieber Freund, bitte, kein Wort weiter, ich will heiter ſeyn.
Du wunderſt Dich gewiß, daß ich in dieſer un- dankbaren Jahreszeit noch immer in London verweile, aber Lady R..... iſt noch hier — überdem habe ich mich in das einſame Leben eingerichtet, das blos von dem Lärm der kleinen Heerde Putzmacherinnen im Hauſe manchmal unterbrochen wird, das Theater hat auch angefangen mich zu intereſſiren, und die Friedlichkeit dieſes Stilllebens bekömmt mir wohl nach dem frühern trouble. Es iſt wirklich ſo ſtill, daß, gleich dem be- rühmten Gefangenen in der Baſtille, ich ſeit Kurzem eine Liaison mit einer Maus begonnen habe, ein allerliebſtes kleines Thierchen, und ohne Zweifel eine verwünſchte Lady, die, wenn ich arbeite, ſchüchtern hervorſchleicht, mich von weitem mit ihren Aeuglein, gleich blinkenden Sternchen, anblickt, immer zahmer wird, und angelockt durch Kuchenſtückchen, die ihr jeden Tag ſechs Zoll entfernter von ihrer Reſidenz in der rechten Stubenecke hingelegt werden — eben jetzt
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es zum Melancholiſchen hinneigt, und das mit ſei-
nem Temperament herzhaft kämpfend, durch Willens-
kraft ſich zwingt, Theil an der Heiterkeit der es um-
gebenden Welt und der wechſelnden Scenen des ge-
ſellſchaftlichen Lebens zu nehmen. In dieſem Fall
behält es allen Reiz der Melancholie ohne ſeine Qual.“
Iſt das nicht ſehr ſchön und einleuchtend? und
wird es Dich nicht eben ſo bekehren, als es mich in
meiner Bekehrung beſtärkt hat? Ich hoffe, Du wirſt
mir bei der nächſten hypochondriſchen Anwandlung
antworten: Lieber Freund, bitte, kein Wort weiter,
ich will heiter ſeyn.
Du wunderſt Dich gewiß, daß ich in dieſer un-
dankbaren Jahreszeit noch immer in London verweile,
aber Lady R..... iſt noch hier — überdem habe ich
mich in das einſame Leben eingerichtet, das blos von
dem Lärm der kleinen Heerde Putzmacherinnen im Hauſe
manchmal unterbrochen wird, das Theater hat auch
angefangen mich zu intereſſiren, und die Friedlichkeit
dieſes Stilllebens bekömmt mir wohl nach dem frühern
trouble. Es iſt wirklich ſo ſtill, daß, gleich dem be-
rühmten Gefangenen in der Baſtille, ich ſeit Kurzem
eine Liaison mit einer Maus begonnen habe, ein
allerliebſtes kleines Thierchen, und ohne Zweifel eine
verwünſchte Lady, die, wenn ich arbeite, ſchüchtern
hervorſchleicht, mich von weitem mit ihren Aeuglein,
gleich blinkenden Sternchen, anblickt, immer zahmer
wird, und angelockt durch Kuchenſtückchen, die ihr
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/285>, abgerufen am 23.12.2024.
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