Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

einen Toast zugetrunken. L. und ich führten dabei
die deutsche Mode ein, die Damen zu küssen, was sie
sich auch, nach dem erforderlichen Sträuben, recht
gern gefallen ließen.

Heute speiste ich dagegen ein hanövrisches Reh
(hier gibt es keine) beim Grafen Münster auf dem
Lande, dem man zum Weihnachtsgeschenk ein Blun-
derbuß (Cacafoco im Italienischen) in das große
Fenster der Wohnstube abgeschossen hat, grade wäh-
rend die Gräfin ihren Kindern den heiligen Christ
bescheerte. Das Schrot war durch die Spiegelschei-
ben, wie durch Pappe, in hundert kleinen Löchern
eingedrungen, ohne auch nur eine Scheibe zu zer-
schmettern. Glücklicherweise war die Christbescheerung
so entfernt vom Fenster, daß die Schrote nicht so
weit reichten. Man begreift nicht, wer der Urheber
einer solchen Infamie seyn kann!

Die Anwesenheit Don Miguels macht London leb-
hast. Eine Soiree beim Herzog von Clarence fand
diesen Abend statt, und morgen wird ein großer
Ball bei Lady K. seyn. Der Prinz scheint allgemein
zu gefallen, und zeigt jetzt, nachdem er mehr hier zu
Hause ist, etwas recht Gemessenes und Vornehmes
in seiner Tournüre, wiewohl es so aussieht, als ruhe
im Hintergrunde seiner großen Affabilität doch mehr
als eine arriere-pensee. Die Etikette ist übrigens
für die Portugiesen so streng, daß unser guter Mar-
quis P.... jeden Morgen, wenn er den Prinzen zuerst
ansichtig wird, auf seine Kniee niederfallen muß.


einen Toaſt zugetrunken. L. und ich führten dabei
die deutſche Mode ein, die Damen zu küſſen, was ſie
ſich auch, nach dem erforderlichen Sträuben, recht
gern gefallen ließen.

Heute ſpeiste ich dagegen ein hanövriſches Reh
(hier gibt es keine) beim Grafen Münſter auf dem
Lande, dem man zum Weihnachtsgeſchenk ein Blun-
derbuß (Cacafoco im Italieniſchen) in das große
Fenſter der Wohnſtube abgeſchoſſen hat, grade wäh-
rend die Gräfin ihren Kindern den heiligen Chriſt
beſcheerte. Das Schrot war durch die Spiegelſchei-
ben, wie durch Pappe, in hundert kleinen Löchern
eingedrungen, ohne auch nur eine Scheibe zu zer-
ſchmettern. Glücklicherweiſe war die Chriſtbeſcheerung
ſo entfernt vom Fenſter, daß die Schrote nicht ſo
weit reichten. Man begreift nicht, wer der Urheber
einer ſolchen Infamie ſeyn kann!

Die Anweſenheit Don Miguels macht London leb-
haſt. Eine Soirée beim Herzog von Clarence fand
dieſen Abend ſtatt, und morgen wird ein großer
Ball bei Lady K. ſeyn. Der Prinz ſcheint allgemein
zu gefallen, und zeigt jetzt, nachdem er mehr hier zu
Hauſe iſt, etwas recht Gemeſſenes und Vornehmes
in ſeiner Tournüre, wiewohl es ſo ausſieht, als ruhe
im Hintergrunde ſeiner großen Affabilität doch mehr
als eine arrière-pensée. Die Etikette iſt übrigens
für die Portugieſen ſo ſtreng, daß unſer guter Mar-
quis P.... jeden Morgen, wenn er den Prinzen zuerſt
anſichtig wird, auf ſeine Kniee niederfallen muß.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0311" n="293"/>
einen Toa&#x017F;t zugetrunken. L. und ich führten dabei<lb/>
die deut&#x017F;che Mode ein, die Damen zu kü&#x017F;&#x017F;en, was &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich auch, nach dem erforderlichen Sträuben, recht<lb/>
gern gefallen ließen.</p><lb/>
          <p>Heute &#x017F;peiste ich dagegen ein hanövri&#x017F;ches Reh<lb/>
(hier gibt es keine) beim Grafen Mün&#x017F;ter auf dem<lb/>
Lande, dem man zum Weihnachtsge&#x017F;chenk ein Blun-<lb/>
derbuß (<hi rendition="#aq">Cacafoco</hi> im Italieni&#x017F;chen) in das große<lb/>
Fen&#x017F;ter der Wohn&#x017F;tube abge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en hat, grade wäh-<lb/>
rend die Gräfin ihren Kindern den heiligen Chri&#x017F;t<lb/>
be&#x017F;cheerte. Das Schrot war durch die Spiegel&#x017F;chei-<lb/>
ben, wie durch Pappe, in hundert kleinen Löchern<lb/>
eingedrungen, ohne auch nur <hi rendition="#g">eine</hi> Scheibe zu zer-<lb/>
&#x017F;chmettern. Glücklicherwei&#x017F;e war die Chri&#x017F;tbe&#x017F;cheerung<lb/>
&#x017F;o entfernt vom Fen&#x017F;ter, daß die Schrote nicht &#x017F;o<lb/>
weit reichten. Man begreift nicht, wer der Urheber<lb/>
einer &#x017F;olchen Infamie &#x017F;eyn kann!</p><lb/>
          <p>Die Anwe&#x017F;enheit Don Miguels macht London leb-<lb/>
ha&#x017F;t. Eine Soir<hi rendition="#aq">é</hi>e beim Herzog von Clarence fand<lb/>
die&#x017F;en Abend &#x017F;tatt, und morgen wird ein großer<lb/>
Ball bei Lady K. &#x017F;eyn. Der Prinz &#x017F;cheint allgemein<lb/>
zu gefallen, und zeigt jetzt, nachdem er mehr hier zu<lb/>
Hau&#x017F;e i&#x017F;t, etwas recht Geme&#x017F;&#x017F;enes und Vornehmes<lb/>
in &#x017F;einer Tournüre, wiewohl es &#x017F;o aus&#x017F;ieht, als ruhe<lb/>
im Hintergrunde &#x017F;einer großen Affabilität doch mehr<lb/>
als eine <hi rendition="#aq">arrière-pensée.</hi> Die Etikette i&#x017F;t übrigens<lb/>
für die Portugie&#x017F;en &#x017F;o &#x017F;treng, daß un&#x017F;er guter Mar-<lb/>
quis P.... jeden Morgen, wenn er den Prinzen zuer&#x017F;t<lb/>
an&#x017F;ichtig wird, auf &#x017F;eine Kniee niederfallen muß.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293/0311] einen Toaſt zugetrunken. L. und ich führten dabei die deutſche Mode ein, die Damen zu küſſen, was ſie ſich auch, nach dem erforderlichen Sträuben, recht gern gefallen ließen. Heute ſpeiste ich dagegen ein hanövriſches Reh (hier gibt es keine) beim Grafen Münſter auf dem Lande, dem man zum Weihnachtsgeſchenk ein Blun- derbuß (Cacafoco im Italieniſchen) in das große Fenſter der Wohnſtube abgeſchoſſen hat, grade wäh- rend die Gräfin ihren Kindern den heiligen Chriſt beſcheerte. Das Schrot war durch die Spiegelſchei- ben, wie durch Pappe, in hundert kleinen Löchern eingedrungen, ohne auch nur eine Scheibe zu zer- ſchmettern. Glücklicherweiſe war die Chriſtbeſcheerung ſo entfernt vom Fenſter, daß die Schrote nicht ſo weit reichten. Man begreift nicht, wer der Urheber einer ſolchen Infamie ſeyn kann! Die Anweſenheit Don Miguels macht London leb- haſt. Eine Soirée beim Herzog von Clarence fand dieſen Abend ſtatt, und morgen wird ein großer Ball bei Lady K. ſeyn. Der Prinz ſcheint allgemein zu gefallen, und zeigt jetzt, nachdem er mehr hier zu Hauſe iſt, etwas recht Gemeſſenes und Vornehmes in ſeiner Tournüre, wiewohl es ſo ausſieht, als ruhe im Hintergrunde ſeiner großen Affabilität doch mehr als eine arrière-pensée. Die Etikette iſt übrigens für die Portugieſen ſo ſtreng, daß unſer guter Mar- quis P.... jeden Morgen, wenn er den Prinzen zuerſt anſichtig wird, auf ſeine Kniee niederfallen muß.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/311
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/311>, abgerufen am 23.12.2024.