Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Mittags hatte ich beim Grafen M. ein deutsches
Dine eingenommen, der uns immer von Zeit zu Zeit
wilde Hannovraner auftischt. Heute war es ein herr-
licher Eber mit jener königlichen Sauce, von der Er-
findung Georg IV., von der im Almanach des gour-
mands
steht: qu'avec une telle Sauce on mangerait
son pere.
Außer dieser Delikatesse wurde eine gute
Anekdote von W. Scott zum Besten gegeben. Die-
ser begegnete auf der Straße einem irländischen Bett-
ler, der ihn um einen Sixpence (halben Schilling) bat.
Sir Walter konnte keinen finden, und gab ihm end-
lich einen ganzen Schilling, indem er scherzend sagte:
aber merkt Euch nun, daß Ihr mir einen Sixpence
schuldig seyd. "O gewiß!" rief der Bettler, "und
möge Gott Euch so lange leben lassen, bis ich ihn
wieder bezahle."

Ehe ich zu Bette ging, hielt ich noch eine Nachlese
Deiner letzten Briefe. Meine Ansicht der Rolle des
Macbeth hast Du sehr wohl verstanden, und sprichst
Dich in wenig Worten meisterhaft darüber aus, so
wie über die Leistung der dortigen Schauspieler. Es
ist wohl sonderbar, aber wahr, daß beinahe überall
die Bühne gegen sonst degenerirt. Gewiß liegt es
auch in der überegoistischen, mehr mechanischen als
poetischen Zeit.

Eben so wahr ist Deine Bemerkung über die B. ..
höhere Gesellschaft, und daß der Witz, ja selbst das
Wissen, welches dort sich brüstet, nichts von dem
gutmüthig Anschmiegenden habe, das beiden eigentlich
den wahren gesellschaftlichen Reiz allein verleihen kann.

Mittags hatte ich beim Grafen M. ein deutſches
Diné eingenommen, der uns immer von Zeit zu Zeit
wilde Hannovraner auftiſcht. Heute war es ein herr-
licher Eber mit jener königlichen Sauce, von der Er-
findung Georg IV., von der im Almanach des gour-
mands
ſteht: qu’avec une telle Sauce on mangerait
son père.
Außer dieſer Delikateſſe wurde eine gute
Anekdote von W. Scott zum Beſten gegeben. Die-
ſer begegnete auf der Straße einem irländiſchen Bett-
ler, der ihn um einen Sixpence (halben Schilling) bat.
Sir Walter konnte keinen finden, und gab ihm end-
lich einen ganzen Schilling, indem er ſcherzend ſagte:
aber merkt Euch nun, daß Ihr mir einen Sixpence
ſchuldig ſeyd. „O gewiß!“ rief der Bettler, „und
möge Gott Euch ſo lange leben laſſen, bis ich ihn
wieder bezahle.“

Ehe ich zu Bette ging, hielt ich noch eine Nachleſe
Deiner letzten Briefe. Meine Anſicht der Rolle des
Macbeth haſt Du ſehr wohl verſtanden, und ſprichſt
Dich in wenig Worten meiſterhaft darüber aus, ſo
wie über die Leiſtung der dortigen Schauſpieler. Es
iſt wohl ſonderbar, aber wahr, daß beinahe überall
die Bühne gegen ſonſt degenerirt. Gewiß liegt es
auch in der überegoiſtiſchen, mehr mechaniſchen als
poetiſchen Zeit.

Eben ſo wahr iſt Deine Bemerkung über die B. ..
höhere Geſellſchaft, und daß der Witz, ja ſelbſt das
Wiſſen, welches dort ſich brüſtet, nichts von dem
gutmüthig Anſchmiegenden habe, das beiden eigentlich
den wahren geſellſchaftlichen Reiz allein verleihen kann.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0316" n="298"/>
          <p>Mittags hatte ich beim Grafen M. ein deut&#x017F;ches<lb/>
Din<hi rendition="#aq">é</hi> eingenommen, der uns immer von Zeit zu Zeit<lb/>
wilde Hannovraner aufti&#x017F;cht. Heute war es ein herr-<lb/>
licher Eber mit jener königlichen Sauce, von der Er-<lb/>
findung Georg <hi rendition="#aq">IV.,</hi> von der im <hi rendition="#aq">Almanach des gour-<lb/>
mands</hi> &#x017F;teht: <hi rendition="#aq">qu&#x2019;avec une telle Sauce on mangerait<lb/>
son père.</hi> Außer die&#x017F;er Delikate&#x017F;&#x017F;e wurde eine gute<lb/>
Anekdote von W. Scott zum Be&#x017F;ten gegeben. Die-<lb/>
&#x017F;er begegnete auf der Straße einem irländi&#x017F;chen Bett-<lb/>
ler, der ihn um einen Sixpence (halben Schilling) bat.<lb/>
Sir Walter konnte keinen finden, und gab ihm end-<lb/>
lich einen ganzen Schilling, indem er &#x017F;cherzend &#x017F;agte:<lb/>
aber merkt Euch nun, daß Ihr mir einen Sixpence<lb/>
&#x017F;chuldig &#x017F;eyd. &#x201E;O gewiß!&#x201C; rief der Bettler, &#x201E;und<lb/>
möge Gott Euch &#x017F;o lange leben la&#x017F;&#x017F;en, bis ich ihn<lb/>
wieder bezahle.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ehe ich zu Bette ging, hielt ich noch eine Nachle&#x017F;e<lb/>
Deiner letzten Briefe. Meine An&#x017F;icht der Rolle des<lb/>
Macbeth ha&#x017F;t Du &#x017F;ehr wohl ver&#x017F;tanden, und &#x017F;prich&#x017F;t<lb/>
Dich in wenig Worten mei&#x017F;terhaft darüber aus, &#x017F;o<lb/>
wie über die Lei&#x017F;tung der dortigen Schau&#x017F;pieler. Es<lb/>
i&#x017F;t wohl &#x017F;onderbar, aber wahr, daß beinahe überall<lb/>
die Bühne gegen &#x017F;on&#x017F;t degenerirt. Gewiß liegt es<lb/>
auch in der überegoi&#x017F;ti&#x017F;chen, mehr mechani&#x017F;chen als<lb/>
poeti&#x017F;chen Zeit.</p><lb/>
          <p>Eben &#x017F;o wahr i&#x017F;t Deine Bemerkung über die B. ..<lb/>
höhere Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, und daß der Witz, ja &#x017F;elb&#x017F;t das<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en, welches dort &#x017F;ich brü&#x017F;tet, nichts von dem<lb/>
gutmüthig An&#x017F;chmiegenden habe, das beiden eigentlich<lb/>
den wahren ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Reiz allein verleihen kann.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[298/0316] Mittags hatte ich beim Grafen M. ein deutſches Diné eingenommen, der uns immer von Zeit zu Zeit wilde Hannovraner auftiſcht. Heute war es ein herr- licher Eber mit jener königlichen Sauce, von der Er- findung Georg IV., von der im Almanach des gour- mands ſteht: qu’avec une telle Sauce on mangerait son père. Außer dieſer Delikateſſe wurde eine gute Anekdote von W. Scott zum Beſten gegeben. Die- ſer begegnete auf der Straße einem irländiſchen Bett- ler, der ihn um einen Sixpence (halben Schilling) bat. Sir Walter konnte keinen finden, und gab ihm end- lich einen ganzen Schilling, indem er ſcherzend ſagte: aber merkt Euch nun, daß Ihr mir einen Sixpence ſchuldig ſeyd. „O gewiß!“ rief der Bettler, „und möge Gott Euch ſo lange leben laſſen, bis ich ihn wieder bezahle.“ Ehe ich zu Bette ging, hielt ich noch eine Nachleſe Deiner letzten Briefe. Meine Anſicht der Rolle des Macbeth haſt Du ſehr wohl verſtanden, und ſprichſt Dich in wenig Worten meiſterhaft darüber aus, ſo wie über die Leiſtung der dortigen Schauſpieler. Es iſt wohl ſonderbar, aber wahr, daß beinahe überall die Bühne gegen ſonſt degenerirt. Gewiß liegt es auch in der überegoiſtiſchen, mehr mechaniſchen als poetiſchen Zeit. Eben ſo wahr iſt Deine Bemerkung über die B. .. höhere Geſellſchaft, und daß der Witz, ja ſelbſt das Wiſſen, welches dort ſich brüſtet, nichts von dem gutmüthig Anſchmiegenden habe, das beiden eigentlich den wahren geſellſchaftlichen Reiz allein verleihen kann.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/316
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/316>, abgerufen am 23.12.2024.