Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

F. hat sehr Unrecht, das auszuschlagen, was ihm
geboten wird. Es wäre Wahnsinn, als Schiffbrüchi-
ger im Meere schwimmend, und schon bedeutend er-
schöpft, ein Fischerboot zu verschmähen, das sich zur
Rettung darböte, um auf einen Dreidecker zu war-
ten. Möglich allerdings, daß ein solcher bereits hin-
ter dem Felsen nahet, und in dem Augenblick, wo
das Boot den Hülflosen für eine geringere Bestim-
mung entführt hat, mit vollen Segeln ankömmt --
aber allwissend sind wir nicht, wir müssen die Chan-
cen, welche die Verbindung der Begebenheiten uns
darbietet, nach der Probabilität, nicht nach der Mög-
lichkeit behandeln.

Meine Geschenke haben Dir also gefallen? Nun
so segne sie Gott! die kleinen Freuden sind so gut
als die großen, und man sollte die Kunst ordentlich
studieren, sich dergleichen noch weit öfter zu machen.
Es giebt viel sehr wohlfeile Materialien dazu. Kein
Aberglaube muß sich aber darein mischen, wie Du
bei der übersandten Scheere äusserst. Gute Julie,
die Scheere soll noch erfunden werden, die unsre
Freundschaft entzweischneiden kann, das könnte nur
eine Krebsscheere seyn, die rückwärts agirend die
Vergangenheit wegschnitte. Aber über etwas anderes
muß ich schmälen. Wofür habe ich Dir so viel schön-
farbiges blotting paper geschickt, wenn Du wieder in
die abscheuliche Mode des Sandstreuens verfällst,
welche die Engländer schon längst nicht mehr kennen,
eben so wenig wie mit Sand bestreute Fußböden.
Mehrere Loth dieses Ingredienz flogen mir ins Ge-

F. hat ſehr Unrecht, das auszuſchlagen, was ihm
geboten wird. Es wäre Wahnſinn, als Schiffbrüchi-
ger im Meere ſchwimmend, und ſchon bedeutend er-
ſchöpft, ein Fiſcherboot zu verſchmähen, das ſich zur
Rettung darböte, um auf einen Dreidecker zu war-
ten. Möglich allerdings, daß ein ſolcher bereits hin-
ter dem Felſen nahet, und in dem Augenblick, wo
das Boot den Hülfloſen für eine geringere Beſtim-
mung entführt hat, mit vollen Segeln ankömmt —
aber allwiſſend ſind wir nicht, wir müſſen die Chan-
cen, welche die Verbindung der Begebenheiten uns
darbietet, nach der Probabilität, nicht nach der Mög-
lichkeit behandeln.

Meine Geſchenke haben Dir alſo gefallen? Nun
ſo ſegne ſie Gott! die kleinen Freuden ſind ſo gut
als die großen, und man ſollte die Kunſt ordentlich
ſtudieren, ſich dergleichen noch weit öfter zu machen.
Es giebt viel ſehr wohlfeile Materialien dazu. Kein
Aberglaube muß ſich aber darein miſchen, wie Du
bei der überſandten Scheere äuſſerſt. Gute Julie,
die Scheere ſoll noch erfunden werden, die unſre
Freundſchaft entzweiſchneiden kann, das könnte nur
eine Krebsſcheere ſeyn, die rückwärts agirend die
Vergangenheit wegſchnitte. Aber über etwas anderes
muß ich ſchmälen. Wofür habe ich Dir ſo viel ſchön-
farbiges blotting paper geſchickt, wenn Du wieder in
die abſcheuliche Mode des Sandſtreuens verfällſt,
welche die Engländer ſchon längſt nicht mehr kennen,
eben ſo wenig wie mit Sand beſtreute Fußböden.
Mehrere Loth dieſes Ingredienz flogen mir ins Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0330" n="312"/>
          <p>F. hat &#x017F;ehr Unrecht, das auszu&#x017F;chlagen, was ihm<lb/>
geboten wird. Es wäre Wahn&#x017F;inn, als Schiffbrüchi-<lb/>
ger im Meere &#x017F;chwimmend, und &#x017F;chon bedeutend er-<lb/>
&#x017F;chöpft, ein Fi&#x017F;cherboot zu ver&#x017F;chmähen, das &#x017F;ich zur<lb/>
Rettung darböte, um auf einen Dreidecker zu war-<lb/>
ten. Möglich allerdings, daß ein &#x017F;olcher bereits hin-<lb/>
ter dem Fel&#x017F;en nahet, und in dem Augenblick, wo<lb/>
das Boot den Hülflo&#x017F;en für eine geringere Be&#x017F;tim-<lb/>
mung entführt hat, mit vollen Segeln ankömmt &#x2014;<lb/>
aber allwi&#x017F;&#x017F;end &#x017F;ind wir nicht, wir mü&#x017F;&#x017F;en die Chan-<lb/>
cen, welche die Verbindung der Begebenheiten uns<lb/>
darbietet, nach der Probabilität, nicht nach der Mög-<lb/>
lichkeit behandeln.</p><lb/>
          <p>Meine Ge&#x017F;chenke haben Dir al&#x017F;o gefallen? Nun<lb/>
&#x017F;o &#x017F;egne &#x017F;ie Gott! die kleinen Freuden &#x017F;ind &#x017F;o gut<lb/>
als die großen, und man &#x017F;ollte die Kun&#x017F;t ordentlich<lb/>
&#x017F;tudieren, &#x017F;ich dergleichen noch weit öfter zu machen.<lb/>
Es giebt viel &#x017F;ehr wohlfeile Materialien dazu. Kein<lb/>
Aberglaube muß &#x017F;ich aber darein mi&#x017F;chen, wie Du<lb/>
bei der über&#x017F;andten Scheere äu&#x017F;&#x017F;er&#x017F;t. Gute Julie,<lb/><hi rendition="#g">die</hi> Scheere &#x017F;oll noch erfunden werden, die un&#x017F;re<lb/>
Freund&#x017F;chaft entzwei&#x017F;chneiden kann, das könnte nur<lb/>
eine Krebs&#x017F;cheere &#x017F;eyn, die rückwärts agirend die<lb/>
Vergangenheit weg&#x017F;chnitte. Aber über etwas anderes<lb/>
muß ich &#x017F;chmälen. Wofür habe ich Dir &#x017F;o viel &#x017F;chön-<lb/>
farbiges <hi rendition="#aq">blotting paper</hi> ge&#x017F;chickt, wenn Du wieder in<lb/>
die ab&#x017F;cheuliche Mode des Sand&#x017F;treuens verfäll&#x017F;t,<lb/>
welche die Engländer &#x017F;chon läng&#x017F;t nicht mehr kennen,<lb/>
eben &#x017F;o wenig wie mit Sand be&#x017F;treute Fußböden.<lb/>
Mehrere Loth die&#x017F;es Ingredienz flogen mir ins Ge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[312/0330] F. hat ſehr Unrecht, das auszuſchlagen, was ihm geboten wird. Es wäre Wahnſinn, als Schiffbrüchi- ger im Meere ſchwimmend, und ſchon bedeutend er- ſchöpft, ein Fiſcherboot zu verſchmähen, das ſich zur Rettung darböte, um auf einen Dreidecker zu war- ten. Möglich allerdings, daß ein ſolcher bereits hin- ter dem Felſen nahet, und in dem Augenblick, wo das Boot den Hülfloſen für eine geringere Beſtim- mung entführt hat, mit vollen Segeln ankömmt — aber allwiſſend ſind wir nicht, wir müſſen die Chan- cen, welche die Verbindung der Begebenheiten uns darbietet, nach der Probabilität, nicht nach der Mög- lichkeit behandeln. Meine Geſchenke haben Dir alſo gefallen? Nun ſo ſegne ſie Gott! die kleinen Freuden ſind ſo gut als die großen, und man ſollte die Kunſt ordentlich ſtudieren, ſich dergleichen noch weit öfter zu machen. Es giebt viel ſehr wohlfeile Materialien dazu. Kein Aberglaube muß ſich aber darein miſchen, wie Du bei der überſandten Scheere äuſſerſt. Gute Julie, die Scheere ſoll noch erfunden werden, die unſre Freundſchaft entzweiſchneiden kann, das könnte nur eine Krebsſcheere ſeyn, die rückwärts agirend die Vergangenheit wegſchnitte. Aber über etwas anderes muß ich ſchmälen. Wofür habe ich Dir ſo viel ſchön- farbiges blotting paper geſchickt, wenn Du wieder in die abſcheuliche Mode des Sandſtreuens verfällſt, welche die Engländer ſchon längſt nicht mehr kennen, eben ſo wenig wie mit Sand beſtreute Fußböden. Mehrere Loth dieſes Ingredienz flogen mir ins Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/330
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/330>, abgerufen am 23.12.2024.