Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

sicht, als ich Deinen Brief öffnete. Willst Du mir
denn auch Sand in die Augen streuen, liebe Julie,
und hat Dir Jeremias vielleicht eine neufromme Streu-
büchse aus B ... dazu mitgebracht?

Ich bin sehr fleißig, und benutze meine Muße,
mehrere Bände meines Lebensatlasses in Ordnung
zu bringen. Den ganzen Tag über hefte ich ein,
beschneide, schreibe (denn Du weißt, unter jedes Bild
kömmt ein Commentar) was nur ein armer Kranker
thun kann, um sich die Zeit zu vertreiben, und sehe
jetzt schon im Geiste 20 Folio-Bände des classischen
Werks in unserer Bibliothek stehen, und uns selbst,
alt und gebückt geworden, davor sitzen, ein wenig
radottiren, aber doch triumphirend uns der alten
Zeiten freuen. Junges, neuaufgeschossenes Volk lacht
uns hinter unserm Rücken verstohlen aus, fliegt aus
und ein, und wenn einer draußen fragt: "Was ma-
chen denn die Alten?" so lautet die Antwort: "Ach,
die sitzen und studieren über ihrer Bilderbibel, und
hören und sehen nicht mehr." Das möchte ich nun
gar zu gern erleben, und es ist mir immer, als wenn
es auch so noch kommen müßte! -- Was aber Alles
noch dazwischen liegen wird -- das freilich weiß Gott
allein!

In den Zeitungen spielen jetzt die Blasebälge eine
große Rolle. Einen mit Upasgift als Experiment ge-
tödteten Esel hat man nach einer Stunde seines To-
des durch fortwährendes Einblasen in die Lunge wie-
der neues Leben gegeben, das Parlament soll eben-

ſicht, als ich Deinen Brief öffnete. Willſt Du mir
denn auch Sand in die Augen ſtreuen, liebe Julie,
und hat Dir Jeremias vielleicht eine neufromme Streu-
büchſe aus B … dazu mitgebracht?

Ich bin ſehr fleißig, und benutze meine Muße,
mehrere Bände meines Lebensatlaſſes in Ordnung
zu bringen. Den ganzen Tag über hefte ich ein,
beſchneide, ſchreibe (denn Du weißt, unter jedes Bild
kömmt ein Commentar) was nur ein armer Kranker
thun kann, um ſich die Zeit zu vertreiben, und ſehe
jetzt ſchon im Geiſte 20 Folio-Bände des claſſiſchen
Werks in unſerer Bibliothek ſtehen, und uns ſelbſt,
alt und gebückt geworden, davor ſitzen, ein wenig
radottiren, aber doch triumphirend uns der alten
Zeiten freuen. Junges, neuaufgeſchoſſenes Volk lacht
uns hinter unſerm Rücken verſtohlen aus, fliegt aus
und ein, und wenn einer draußen fragt: „Was ma-
chen denn die Alten?“ ſo lautet die Antwort: „Ach,
die ſitzen und ſtudieren über ihrer Bilderbibel, und
hören und ſehen nicht mehr.“ Das möchte ich nun
gar zu gern erleben, und es iſt mir immer, als wenn
es auch ſo noch kommen müßte! — Was aber Alles
noch dazwiſchen liegen wird — das freilich weiß Gott
allein!

In den Zeitungen ſpielen jetzt die Blaſebälge eine
große Rolle. Einen mit Upasgift als Experiment ge-
tödteten Eſel hat man nach einer Stunde ſeines To-
des durch fortwährendes Einblaſen in die Lunge wie-
der neues Leben gegeben, das Parlament ſoll eben-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0331" n="313"/>
&#x017F;icht, als ich Deinen Brief öffnete. Will&#x017F;t Du mir<lb/>
denn <hi rendition="#g">auch</hi> Sand in die Augen &#x017F;treuen, liebe Julie,<lb/>
und hat Dir Jeremias vielleicht eine neufromme Streu-<lb/>
büch&#x017F;e aus B &#x2026; dazu mitgebracht?</p><lb/>
          <p>Ich bin &#x017F;ehr fleißig, und benutze meine Muße,<lb/>
mehrere Bände meines Lebensatla&#x017F;&#x017F;es in Ordnung<lb/>
zu bringen. Den ganzen Tag über hefte ich ein,<lb/>
be&#x017F;chneide, &#x017F;chreibe (denn Du weißt, unter jedes Bild<lb/>
kömmt ein Commentar) was nur ein armer Kranker<lb/>
thun kann, um &#x017F;ich die Zeit zu vertreiben, und &#x017F;ehe<lb/>
jetzt &#x017F;chon im Gei&#x017F;te 20 Folio-Bände des cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Werks in un&#x017F;erer Bibliothek &#x017F;tehen, und uns &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
alt und gebückt geworden, davor &#x017F;itzen, ein wenig<lb/>
radottiren, aber doch triumphirend uns der alten<lb/>
Zeiten freuen. Junges, neuaufge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;enes Volk lacht<lb/>
uns hinter un&#x017F;erm Rücken ver&#x017F;tohlen aus, fliegt aus<lb/>
und ein, und wenn einer draußen fragt: &#x201E;Was ma-<lb/>
chen denn die Alten?&#x201C; &#x017F;o lautet die Antwort: &#x201E;Ach,<lb/>
die &#x017F;itzen und &#x017F;tudieren über ihrer Bilderbibel, und<lb/>
hören und &#x017F;ehen nicht mehr.&#x201C; Das möchte ich nun<lb/>
gar zu gern erleben, und es i&#x017F;t mir immer, als wenn<lb/>
es auch &#x017F;o noch kommen müßte! &#x2014; Was aber Alles<lb/>
noch dazwi&#x017F;chen liegen wird &#x2014; das freilich weiß Gott<lb/>
allein!</p><lb/>
          <p>In den Zeitungen &#x017F;pielen jetzt die Bla&#x017F;ebälge eine<lb/>
große Rolle. Einen mit Upasgift als Experiment ge-<lb/>
tödteten E&#x017F;el hat man nach einer Stunde &#x017F;eines To-<lb/>
des durch fortwährendes Einbla&#x017F;en in die Lunge wie-<lb/>
der neues Leben gegeben, das Parlament &#x017F;oll eben-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[313/0331] ſicht, als ich Deinen Brief öffnete. Willſt Du mir denn auch Sand in die Augen ſtreuen, liebe Julie, und hat Dir Jeremias vielleicht eine neufromme Streu- büchſe aus B … dazu mitgebracht? Ich bin ſehr fleißig, und benutze meine Muße, mehrere Bände meines Lebensatlaſſes in Ordnung zu bringen. Den ganzen Tag über hefte ich ein, beſchneide, ſchreibe (denn Du weißt, unter jedes Bild kömmt ein Commentar) was nur ein armer Kranker thun kann, um ſich die Zeit zu vertreiben, und ſehe jetzt ſchon im Geiſte 20 Folio-Bände des claſſiſchen Werks in unſerer Bibliothek ſtehen, und uns ſelbſt, alt und gebückt geworden, davor ſitzen, ein wenig radottiren, aber doch triumphirend uns der alten Zeiten freuen. Junges, neuaufgeſchoſſenes Volk lacht uns hinter unſerm Rücken verſtohlen aus, fliegt aus und ein, und wenn einer draußen fragt: „Was ma- chen denn die Alten?“ ſo lautet die Antwort: „Ach, die ſitzen und ſtudieren über ihrer Bilderbibel, und hören und ſehen nicht mehr.“ Das möchte ich nun gar zu gern erleben, und es iſt mir immer, als wenn es auch ſo noch kommen müßte! — Was aber Alles noch dazwiſchen liegen wird — das freilich weiß Gott allein! In den Zeitungen ſpielen jetzt die Blaſebälge eine große Rolle. Einen mit Upasgift als Experiment ge- tödteten Eſel hat man nach einer Stunde ſeines To- des durch fortwährendes Einblaſen in die Lunge wie- der neues Leben gegeben, das Parlament ſoll eben-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/331
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/331>, abgerufen am 23.12.2024.