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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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den alten Italienern, deren Compositionen hier allein
aufgeführt werden.

Ich habe lange keinen ähnlichen Genuß gehabt.
Was ist doch das moderne Trilliliren gegen die Er-
habenheit dieser alten Kirchenmusik! Ich fühlte mich
ganz lebhaft in die Jahre meiner Kindheit zurück-
versetzt, ein Gefühl, das in der That die Seele auf
viele Tage stärkt und ihr von Neuem leichtere
Schwingen gibt. Der Gesang war durchaus vor-
züglich, und in seiner Einfachheit oft überirdisch
schön, denn es ist unglaublich, welche Gewalt Gott
in die menschliche Stimme gelegt hat, wenn sie recht
angewandt wird, und einfach und sicher aus einem
schönen Munde ertönt. Bei Händels Chören glaubte
man entsetzt die Nacht zu fühlen, die sich über Egyp-
ten ausbreitet, und den Tumult der Heere Pharaos
mit dem Gebrause des Meeres zu hören, das sie un-
ter seine Wogen begräbt.

Ich konnte mich nicht entschließen, nach so heiligen
Tönen die Ball-Fiedeln zu hören, und begab mich
daher um 12 Uhr zu Hause, Almacks und noch einen
andern Ball der fashionablen Welt gern im Stich
lassend. Ich will den Nachhall jener Sphärenmusik
mit in meine Träume hinübernehmen, und auf ih-
ren Fittigen mit Dir, meine Julie, eine verklärte
Nachtreise antreten. Are You ready? Now we
fly....


den alten Italienern, deren Compoſitionen hier allein
aufgeführt werden.

Ich habe lange keinen ähnlichen Genuß gehabt.
Was iſt doch das moderne Trilliliren gegen die Er-
habenheit dieſer alten Kirchenmuſik! Ich fühlte mich
ganz lebhaft in die Jahre meiner Kindheit zurück-
verſetzt, ein Gefühl, das in der That die Seele auf
viele Tage ſtärkt und ihr von Neuem leichtere
Schwingen gibt. Der Geſang war durchaus vor-
züglich, und in ſeiner Einfachheit oft überirdiſch
ſchön, denn es iſt unglaublich, welche Gewalt Gott
in die menſchliche Stimme gelegt hat, wenn ſie recht
angewandt wird, und einfach und ſicher aus einem
ſchönen Munde ertönt. Bei Händels Chören glaubte
man entſetzt die Nacht zu fühlen, die ſich über Egyp-
ten ausbreitet, und den Tumult der Heere Pharaos
mit dem Gebrauſe des Meeres zu hören, das ſie un-
ter ſeine Wogen begräbt.

Ich konnte mich nicht entſchließen, nach ſo heiligen
Tönen die Ball-Fiedeln zu hören, und begab mich
daher um 12 Uhr zu Hauſe, Almacks und noch einen
andern Ball der faſhionablen Welt gern im Stich
laſſend. Ich will den Nachhall jener Sphärenmuſik
mit in meine Träume hinübernehmen, und auf ih-
ren Fittigen mit Dir, meine Julie, eine verklärte
Nachtreiſe antreten. Are You ready? Now we
fly....


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[41/0057] den alten Italienern, deren Compoſitionen hier allein aufgeführt werden. Ich habe lange keinen ähnlichen Genuß gehabt. Was iſt doch das moderne Trilliliren gegen die Er- habenheit dieſer alten Kirchenmuſik! Ich fühlte mich ganz lebhaft in die Jahre meiner Kindheit zurück- verſetzt, ein Gefühl, das in der That die Seele auf viele Tage ſtärkt und ihr von Neuem leichtere Schwingen gibt. Der Geſang war durchaus vor- züglich, und in ſeiner Einfachheit oft überirdiſch ſchön, denn es iſt unglaublich, welche Gewalt Gott in die menſchliche Stimme gelegt hat, wenn ſie recht angewandt wird, und einfach und ſicher aus einem ſchönen Munde ertönt. Bei Händels Chören glaubte man entſetzt die Nacht zu fühlen, die ſich über Egyp- ten ausbreitet, und den Tumult der Heere Pharaos mit dem Gebrauſe des Meeres zu hören, das ſie un- ter ſeine Wogen begräbt. Ich konnte mich nicht entſchließen, nach ſo heiligen Tönen die Ball-Fiedeln zu hören, und begab mich daher um 12 Uhr zu Hauſe, Almacks und noch einen andern Ball der faſhionablen Welt gern im Stich laſſend. Ich will den Nachhall jener Sphärenmuſik mit in meine Träume hinübernehmen, und auf ih- ren Fittigen mit Dir, meine Julie, eine verklärte Nachtreiſe antreten. Are You ready? Now we fly....

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/57>, abgerufen am 22.12.2024.