Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Kuß auf Deine Stirn drücken, und dann wieder ver-
schwinden wie eine Ahnung. Gib also Acht!



Aus der großen Welt wandelte ich gestern wieder
einmal in die City, und beobachtete die mühsame
Industrie, welche jener immer die frivolen Luxus-Artikel
liefert. Täglich erfindet man hier etwas Neues. Da-
hin gehören auch die unzähligen Annoncen, und wie
sie en evidence gesetzt werden. Früher begnügte man
sich, sie anzuschlagen. Jetzt sind sie ambulant. Ei-
ner hat einen Hut von Pappe aufgesetzt, dreimal
höher als andre Hüte sind, auf welchem in großen
Buchstaben: Stiefel zu 12 Schilling das Paar re-
kommandirt werden. Ein andrer trägt eine Art
Fahne, auf der ein Waschweib abgebildet ist, und
darunter steht: Only one six pence a shirt. (Nur
einen Sixpence das Hemde). Kasten, wie die Arche
Noab, ganz mit Annoncen überklebt und von der
Größe eines kleinen Hauses, mit Menschen oder ei-
nem Pferde bespannt, durchziehen langsam die Straßen,
und tragen mehr Lügen auf ihren Rücken als Münch-
hausen je finden konnte.

Als ich bei H. R... anlangte, war ich sehr müde,
und acceptirte eine Einladung, bei ihm auf dem
Comptoir zu essen. Während dem Essen philosophir-
ten wir über Religion. R. est vraiment un tres

Kuß auf Deine Stirn drücken, und dann wieder ver-
ſchwinden wie eine Ahnung. Gib alſo Acht!



Aus der großen Welt wandelte ich geſtern wieder
einmal in die City, und beobachtete die mühſame
Induſtrie, welche jener immer die frivolen Luxus-Artikel
liefert. Täglich erfindet man hier etwas Neues. Da-
hin gehören auch die unzähligen Annoncen, und wie
ſie en evidence geſetzt werden. Früher begnügte man
ſich, ſie anzuſchlagen. Jetzt ſind ſie ambulant. Ei-
ner hat einen Hut von Pappe aufgeſetzt, dreimal
höher als andre Hüte ſind, auf welchem in großen
Buchſtaben: Stiefel zu 12 Schilling das Paar re-
kommandirt werden. Ein andrer trägt eine Art
Fahne, auf der ein Waſchweib abgebildet iſt, und
darunter ſteht: Only one six pence a shirt. (Nur
einen Sixpence das Hemde). Kaſten, wie die Arche
Noab, ganz mit Annoncen überklebt und von der
Größe eines kleinen Hauſes, mit Menſchen oder ei-
nem Pferde beſpannt, durchziehen langſam die Straßen,
und tragen mehr Lügen auf ihren Rücken als Münch-
hauſen je finden konnte.

Als ich bei H. R… anlangte, war ich ſehr müde,
und acceptirte eine Einladung, bei ihm auf dem
Comptoir zu eſſen. Während dem Eſſen philoſophir-
ten wir über Religion. R. est vraiment un très

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0059" n="43"/>
Kuß auf Deine Stirn drücken, und dann wieder ver-<lb/>
&#x017F;chwinden wie eine Ahnung. Gib al&#x017F;o Acht!</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <opener>
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 3ten Juni.</hi> </dateline>
          </opener><lb/>
          <p>Aus der großen Welt wandelte ich ge&#x017F;tern wieder<lb/>
einmal in die City, und beobachtete die müh&#x017F;ame<lb/>
Indu&#x017F;trie, welche jener immer die frivolen Luxus-Artikel<lb/>
liefert. Täglich erfindet man hier etwas Neues. Da-<lb/>
hin gehören auch die unzähligen Annoncen, und wie<lb/>
&#x017F;ie <hi rendition="#aq">en evidence</hi> ge&#x017F;etzt werden. Früher begnügte man<lb/>
&#x017F;ich, &#x017F;ie anzu&#x017F;chlagen. Jetzt &#x017F;ind &#x017F;ie ambulant. Ei-<lb/>
ner hat einen Hut von Pappe aufge&#x017F;etzt, dreimal<lb/>
höher als andre Hüte &#x017F;ind, auf welchem in großen<lb/>
Buch&#x017F;taben: Stiefel zu 12 Schilling das Paar re-<lb/>
kommandirt werden. Ein andrer trägt eine Art<lb/>
Fahne, auf der ein Wa&#x017F;chweib abgebildet i&#x017F;t, und<lb/>
darunter &#x017F;teht: <hi rendition="#aq">Only one six pence a shirt.</hi> (Nur<lb/>
einen Sixpence das Hemde). Ka&#x017F;ten, wie die Arche<lb/>
Noab, ganz mit Annoncen überklebt und von der<lb/>
Größe eines kleinen Hau&#x017F;es, mit Men&#x017F;chen oder ei-<lb/>
nem Pferde be&#x017F;pannt, durchziehen lang&#x017F;am die Straßen,<lb/>
und tragen mehr Lügen auf ihren Rücken als Münch-<lb/>
hau&#x017F;en je finden konnte.</p><lb/>
          <p>Als ich bei H. R&#x2026; anlangte, war ich &#x017F;ehr müde,<lb/>
und acceptirte eine Einladung, bei ihm auf dem<lb/>
Comptoir zu e&#x017F;&#x017F;en. Während dem E&#x017F;&#x017F;en philo&#x017F;ophir-<lb/>
ten wir über Religion. R. <hi rendition="#aq">est vraiment un très<lb/></hi></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0059] Kuß auf Deine Stirn drücken, und dann wieder ver- ſchwinden wie eine Ahnung. Gib alſo Acht! Den 3ten Juni. Aus der großen Welt wandelte ich geſtern wieder einmal in die City, und beobachtete die mühſame Induſtrie, welche jener immer die frivolen Luxus-Artikel liefert. Täglich erfindet man hier etwas Neues. Da- hin gehören auch die unzähligen Annoncen, und wie ſie en evidence geſetzt werden. Früher begnügte man ſich, ſie anzuſchlagen. Jetzt ſind ſie ambulant. Ei- ner hat einen Hut von Pappe aufgeſetzt, dreimal höher als andre Hüte ſind, auf welchem in großen Buchſtaben: Stiefel zu 12 Schilling das Paar re- kommandirt werden. Ein andrer trägt eine Art Fahne, auf der ein Waſchweib abgebildet iſt, und darunter ſteht: Only one six pence a shirt. (Nur einen Sixpence das Hemde). Kaſten, wie die Arche Noab, ganz mit Annoncen überklebt und von der Größe eines kleinen Hauſes, mit Menſchen oder ei- nem Pferde beſpannt, durchziehen langſam die Straßen, und tragen mehr Lügen auf ihren Rücken als Münch- hauſen je finden konnte. Als ich bei H. R… anlangte, war ich ſehr müde, und acceptirte eine Einladung, bei ihm auf dem Comptoir zu eſſen. Während dem Eſſen philoſophir- ten wir über Religion. R. est vraiment un très

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/59
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/59>, abgerufen am 22.12.2024.