Nachdem ich bei Sir L ... dem Epikuräer, gegessen, brachte ich den Abend in einer kleinen Gesellschaft bei der Herzogin von Kent sehr angenehm zu; denn die hiesigen Hofzirkel, wenn man sie so nennen will, haben gar nichts Aehnliches mit denen des Conti- nents, welche den distraiten Grafen R ... einst ver- führten, dem Könige von B . ., der ihn frug, wie er sich auf dem heutigen Balle amüsire, zu antwor- ten: O, sobald der Hof weg ist, denke ich sehr lustig zu seyn!
Ganz spät fuhr ich von hier noch zu einem Ball bei der Fürstin L . . . ., eine Dame, deren Feste ihrer Vornehmheit par excellence stets völlig angemessen sind. Das hier zusällig angesponnene Gespräch mit einem andern Diplomaten verschaffte mir einige nicht uninteressante Notizen. Er erzählte von jener diffi- cilen Mission, deren Aufgabe war, die Kaiserin der Franzosen mitten aus einer, Napoleon noch ganz er- gebenen Armee, die aus wenigstens 12,000 Mann auserlesener Truppen bestand, gutwillig zu entführen. Wider alles Vermuthen fand er aber bei Marie Luise fast gar keinen Widerstand, und sehr wenig Liebe zum Kaiser (was auch wohl die Folge bestätigt hat). Der kleine fünfjährige König von Rom allein wei- gerte sich standhaft zu folgen, und konnte nur mit Gewalt dazu gezwungen werden, so wie er sich auch, wie durch einen heldenmäßigen Instinkt geleitet, schon in Paris eben so bestimmt der püsillanimen Abreise
Den 7ten.
Ich kehre wieder zur Tages-Chronik zurück.
Nachdem ich bei Sir L … dem Epikuräer, gegeſſen, brachte ich den Abend in einer kleinen Geſellſchaft bei der Herzogin von Kent ſehr angenehm zu; denn die hieſigen Hofzirkel, wenn man ſie ſo nennen will, haben gar nichts Aehnliches mit denen des Conti- nents, welche den diſtraiten Grafen R … einſt ver- führten, dem Könige von B . ., der ihn frug, wie er ſich auf dem heutigen Balle amüſire, zu antwor- ten: O, ſobald der Hof weg iſt, denke ich ſehr luſtig zu ſeyn!
Ganz ſpät fuhr ich von hier noch zu einem Ball bei der Fürſtin L . . . ., eine Dame, deren Feſte ihrer Vornehmheit par excellence ſtets völlig angemeſſen ſind. Das hier zuſällig angeſponnene Geſpräch mit einem andern Diplomaten verſchaffte mir einige nicht unintereſſante Notizen. Er erzählte von jener diffi- cilen Miſſion, deren Aufgabe war, die Kaiſerin der Franzoſen mitten aus einer, Napoleon noch ganz er- gebenen Armee, die aus wenigſtens 12,000 Mann auserleſener Truppen beſtand, gutwillig zu entführen. Wider alles Vermuthen fand er aber bei Marie Luiſe faſt gar keinen Widerſtand, und ſehr wenig Liebe zum Kaiſer (was auch wohl die Folge beſtätigt hat). Der kleine fünfjährige König von Rom allein wei- gerte ſich ſtandhaft zu folgen, und konnte nur mit Gewalt dazu gezwungen werden, ſo wie er ſich auch, wie durch einen heldenmäßigen Inſtinkt geleitet, ſchon in Paris eben ſo beſtimmt der püſillanimen Abreiſe
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0088"n="72"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Den 7ten.</hi></dateline></opener><lb/><p>Ich kehre wieder zur Tages-Chronik zurück.</p><lb/><p>Nachdem ich bei Sir L … dem Epikuräer, gegeſſen,<lb/>
brachte ich den Abend in einer kleinen Geſellſchaft<lb/>
bei der Herzogin von Kent ſehr angenehm zu; denn<lb/>
die hieſigen Hofzirkel, wenn man ſie ſo nennen will,<lb/>
haben gar nichts Aehnliches mit denen des Conti-<lb/>
nents, welche den diſtraiten Grafen R … einſt ver-<lb/>
führten, dem Könige von B . ., der ihn frug, wie<lb/>
er ſich auf dem heutigen Balle amüſire, zu antwor-<lb/>
ten: O, ſobald der Hof weg iſt, denke ich ſehr luſtig<lb/>
zu ſeyn!</p><lb/><p>Ganz ſpät fuhr ich von hier noch zu einem Ball<lb/>
bei der Fürſtin L . . . ., eine Dame, deren Feſte ihrer<lb/>
Vornehmheit <hirendition="#aq">par excellence</hi>ſtets völlig angemeſſen<lb/>ſind. Das hier zuſällig angeſponnene Geſpräch mit<lb/>
einem andern Diplomaten verſchaffte mir einige nicht<lb/>
unintereſſante Notizen. Er erzählte von jener diffi-<lb/>
cilen Miſſion, deren Aufgabe war, die Kaiſerin der<lb/>
Franzoſen mitten aus einer, Napoleon noch ganz er-<lb/>
gebenen Armee, die aus wenigſtens 12,000 Mann<lb/>
auserleſener Truppen beſtand, gutwillig zu entführen.<lb/>
Wider alles Vermuthen fand er aber bei Marie Luiſe<lb/>
faſt gar keinen Widerſtand, und ſehr wenig Liebe<lb/>
zum Kaiſer (was auch wohl die Folge beſtätigt hat).<lb/>
Der kleine fünfjährige König von Rom allein wei-<lb/>
gerte ſich ſtandhaft zu folgen, und konnte nur mit<lb/>
Gewalt dazu gezwungen werden, ſo wie er ſich auch,<lb/>
wie durch einen heldenmäßigen Inſtinkt geleitet, ſchon<lb/>
in Paris eben ſo beſtimmt der püſillanimen Abreiſe<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[72/0088]
Den 7ten.
Ich kehre wieder zur Tages-Chronik zurück.
Nachdem ich bei Sir L … dem Epikuräer, gegeſſen,
brachte ich den Abend in einer kleinen Geſellſchaft
bei der Herzogin von Kent ſehr angenehm zu; denn
die hieſigen Hofzirkel, wenn man ſie ſo nennen will,
haben gar nichts Aehnliches mit denen des Conti-
nents, welche den diſtraiten Grafen R … einſt ver-
führten, dem Könige von B . ., der ihn frug, wie
er ſich auf dem heutigen Balle amüſire, zu antwor-
ten: O, ſobald der Hof weg iſt, denke ich ſehr luſtig
zu ſeyn!
Ganz ſpät fuhr ich von hier noch zu einem Ball
bei der Fürſtin L . . . ., eine Dame, deren Feſte ihrer
Vornehmheit par excellence ſtets völlig angemeſſen
ſind. Das hier zuſällig angeſponnene Geſpräch mit
einem andern Diplomaten verſchaffte mir einige nicht
unintereſſante Notizen. Er erzählte von jener diffi-
cilen Miſſion, deren Aufgabe war, die Kaiſerin der
Franzoſen mitten aus einer, Napoleon noch ganz er-
gebenen Armee, die aus wenigſtens 12,000 Mann
auserleſener Truppen beſtand, gutwillig zu entführen.
Wider alles Vermuthen fand er aber bei Marie Luiſe
faſt gar keinen Widerſtand, und ſehr wenig Liebe
zum Kaiſer (was auch wohl die Folge beſtätigt hat).
Der kleine fünfjährige König von Rom allein wei-
gerte ſich ſtandhaft zu folgen, und konnte nur mit
Gewalt dazu gezwungen werden, ſo wie er ſich auch,
wie durch einen heldenmäßigen Inſtinkt geleitet, ſchon
in Paris eben ſo beſtimmt der püſillanimen Abreiſe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/88>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.