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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

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7) Carolinger im Verfall 814-888.
blieben die Söhne erster Ehe zur Thronfolge berech-
tiget, und dann konnte Carl der Einfältige nie dar-
auf Anspruch machen, weil seine Mutter bey Leb-
zeiten der ersten Gemahlinn nicht in gültiger Ehe
mit Ludewig dem Stammler leben konnte. Bei-
der Ehen Söhnen konnte die Thronfolge unmöglich
zugestanden werden; wenn der eine Theil succes-
sionsfähig war, so war es der andere nicht. (Die
Sache ist selbst für die Teutsche Geschichte erheb-
lich, weil davon die Frage abhängt, ob Carl der
Einfältige, der zuletzt alle übrige Carolinger über-
lebt hat, auch auf die Teutsche Krone allenfalls
habe Anspruch machen können? wie noch in ganz
neueren Zeiten manche Schriftsteller ein vermeyntes
Recht der Krone Frankreich an Teutschland daraus
herleiten wollen.)

Die Französische Nation entschied damals selbstXXV.
gänzlich gegen Carl den Einfältigen zum Vortheile
der beiden Söhne erster Ehe, Ludewigs und Carl-
manns, die mit Ausschließung Carls des Einfälti-
gen, der eben damit für unächt erklärt wurde,
ganz allein zur Thronfolge gelangten. Ja auch
nach dieser Herren baldigem unbeerbten Tode unter-
warf sich Frankreich doch nicht Carl dem Einfäl-
tigen, sondern vielmehr Carl dem Dicken, der auf
solche Art seit 882. ganz Teutschland und Lothrin-882
gen, und nunmehr seit 884. auch Frankreich, nebst884
Italien und der Kaiserwürde, in seiner Person ver-
einigte; beynahe in eben dem Umfange, wie Carl
der Große die ganze Monarchie besessen hatte,
außer daß die Spanische Mark und die Inseln des
Mittelländischen Meers inzwischen davon abgekom-
men waren.


Von
G

7) Carolinger im Verfall 814-888.
blieben die Soͤhne erſter Ehe zur Thronfolge berech-
tiget, und dann konnte Carl der Einfaͤltige nie dar-
auf Anſpruch machen, weil ſeine Mutter bey Leb-
zeiten der erſten Gemahlinn nicht in guͤltiger Ehe
mit Ludewig dem Stammler leben konnte. Bei-
der Ehen Soͤhnen konnte die Thronfolge unmoͤglich
zugeſtanden werden; wenn der eine Theil ſucceſ-
ſionsfaͤhig war, ſo war es der andere nicht. (Die
Sache iſt ſelbſt fuͤr die Teutſche Geſchichte erheb-
lich, weil davon die Frage abhaͤngt, ob Carl der
Einfaͤltige, der zuletzt alle uͤbrige Carolinger uͤber-
lebt hat, auch auf die Teutſche Krone allenfalls
habe Anſpruch machen koͤnnen? wie noch in ganz
neueren Zeiten manche Schriftſteller ein vermeyntes
Recht der Krone Frankreich an Teutſchland daraus
herleiten wollen.)

Die Franzoͤſiſche Nation entſchied damals ſelbſtXXV.
gaͤnzlich gegen Carl den Einfaͤltigen zum Vortheile
der beiden Soͤhne erſter Ehe, Ludewigs und Carl-
manns, die mit Ausſchließung Carls des Einfaͤlti-
gen, der eben damit fuͤr unaͤcht erklaͤrt wurde,
ganz allein zur Thronfolge gelangten. Ja auch
nach dieſer Herren baldigem unbeerbten Tode unter-
warf ſich Frankreich doch nicht Carl dem Einfaͤl-
tigen, ſondern vielmehr Carl dem Dicken, der auf
ſolche Art ſeit 882. ganz Teutſchland und Lothrin-882
gen, und nunmehr ſeit 884. auch Frankreich, nebſt884
Italien und der Kaiſerwuͤrde, in ſeiner Perſon ver-
einigte; beynahe in eben dem Umfange, wie Carl
der Große die ganze Monarchie beſeſſen hatte,
außer daß die Spaniſche Mark und die Inſeln des
Mittellaͤndiſchen Meers inzwiſchen davon abgekom-
men waren.


Von
G
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[97/0131] 7) Carolinger im Verfall 814-888. blieben die Soͤhne erſter Ehe zur Thronfolge berech- tiget, und dann konnte Carl der Einfaͤltige nie dar- auf Anſpruch machen, weil ſeine Mutter bey Leb- zeiten der erſten Gemahlinn nicht in guͤltiger Ehe mit Ludewig dem Stammler leben konnte. Bei- der Ehen Soͤhnen konnte die Thronfolge unmoͤglich zugeſtanden werden; wenn der eine Theil ſucceſ- ſionsfaͤhig war, ſo war es der andere nicht. (Die Sache iſt ſelbſt fuͤr die Teutſche Geſchichte erheb- lich, weil davon die Frage abhaͤngt, ob Carl der Einfaͤltige, der zuletzt alle uͤbrige Carolinger uͤber- lebt hat, auch auf die Teutſche Krone allenfalls habe Anſpruch machen koͤnnen? wie noch in ganz neueren Zeiten manche Schriftſteller ein vermeyntes Recht der Krone Frankreich an Teutſchland daraus herleiten wollen.) Die Franzoͤſiſche Nation entſchied damals ſelbſt gaͤnzlich gegen Carl den Einfaͤltigen zum Vortheile der beiden Soͤhne erſter Ehe, Ludewigs und Carl- manns, die mit Ausſchließung Carls des Einfaͤlti- gen, der eben damit fuͤr unaͤcht erklaͤrt wurde, ganz allein zur Thronfolge gelangten. Ja auch nach dieſer Herren baldigem unbeerbten Tode unter- warf ſich Frankreich doch nicht Carl dem Einfaͤl- tigen, ſondern vielmehr Carl dem Dicken, der auf ſolche Art ſeit 882. ganz Teutſchland und Lothrin- gen, und nunmehr ſeit 884. auch Frankreich, nebſt Italien und der Kaiſerwuͤrde, in ſeiner Perſon ver- einigte; beynahe in eben dem Umfange, wie Carl der Große die ganze Monarchie beſeſſen hatte, außer daß die Spaniſche Mark und die Inſeln des Mittellaͤndiſchen Meers inzwiſchen davon abgekom- men waren. XXV. 882 884 Von G

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/131>, abgerufen am 27.11.2024.