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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

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II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.

II.

Was die Grafschaften anbetrifft, war es in
den Gegenden, die ehedem zum Herzogthum Ober-
und Niederlothringen gehöret hatten, schon lange
gewöhnlich, daß Flandern, Namür, Lüxenburg,
Hennegau, Holland, Friesland als erbliche Fami-
liengüter angesehen wurden, und die Geschlechter,
die in ihrem Besitze waren, darnach ihren Namen
führten. Aber in den übrigen Gegenden des Teut-
schen Reichs zwischen dem Rheine und der Elbe
gebrauchte man das Wort Grafschaft (comitia,
comitatus
) vor dem zwölften Jahrhunderte noch
nicht, wie jetzt, im geographischen Verstande für
einen gewissen Strich Landes, sondern nur zu Be-
zeichnung der gräflichen Ehrenstelle und Befehls-
habung um sie von der herzoglichen, marggräfli-
chen, pfalzgräflichen u. s. w. zu unterscheiden. Geo-
graphisch waren die Länder nur in Gaue einge-
theilt. Man sprach also nicht von Gütern, die in
dieser oder jener Grafschaft gelegen wären, son-
dern man bezeichnete sie nach dem Gaue, worin sie
lagen, und nannte allenfalls nur den persönlichen
Namen des Grafen, der demselben vorgesetzt war;
z. B. so und soviel Hufen Landes oder das Dorf
N. N. in dem und dem Gaue gelegen, zur Be-
fehlshabung dieses oder jenen Grafen gehörig.
Dann war aber keine Folge, daß, wenn dieser
Graf starb, sein Sohn sein Nachfolger seyn müße.
Dem Könige blieb es immer unbenommen, einen
jeden andern zum Grafen in eben dem Gaue zu
ernennen. So gewiß war es, daß Gaue keine
erbliche Geschlechtsgüter waren.


III.

Allein mit dem Anfange des zwölften Jahr-
hunderts ward es in ganz Teutschland merklich,

was
II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.

II.

Was die Grafſchaften anbetrifft, war es in
den Gegenden, die ehedem zum Herzogthum Ober-
und Niederlothringen gehoͤret hatten, ſchon lange
gewoͤhnlich, daß Flandern, Namuͤr, Luͤxenburg,
Hennegau, Holland, Friesland als erbliche Fami-
lienguͤter angeſehen wurden, und die Geſchlechter,
die in ihrem Beſitze waren, darnach ihren Namen
fuͤhrten. Aber in den uͤbrigen Gegenden des Teut-
ſchen Reichs zwiſchen dem Rheine und der Elbe
gebrauchte man das Wort Grafſchaft (comitia,
comitatus
) vor dem zwoͤlften Jahrhunderte noch
nicht, wie jetzt, im geographiſchen Verſtande fuͤr
einen gewiſſen Strich Landes, ſondern nur zu Be-
zeichnung der graͤflichen Ehrenſtelle und Befehls-
habung um ſie von der herzoglichen, marggraͤfli-
chen, pfalzgraͤflichen u. ſ. w. zu unterſcheiden. Geo-
graphiſch waren die Laͤnder nur in Gaue einge-
theilt. Man ſprach alſo nicht von Guͤtern, die in
dieſer oder jener Grafſchaft gelegen waͤren, ſon-
dern man bezeichnete ſie nach dem Gaue, worin ſie
lagen, und nannte allenfalls nur den perſoͤnlichen
Namen des Grafen, der demſelben vorgeſetzt war;
z. B. ſo und ſoviel Hufen Landes oder das Dorf
N. N. in dem und dem Gaue gelegen, zur Be-
fehlshabung dieſes oder jenen Grafen gehoͤrig.
Dann war aber keine Folge, daß, wenn dieſer
Graf ſtarb, ſein Sohn ſein Nachfolger ſeyn muͤße.
Dem Koͤnige blieb es immer unbenommen, einen
jeden andern zum Grafen in eben dem Gaue zu
ernennen. So gewiß war es, daß Gaue keine
erbliche Geſchlechtsguͤter waren.


III.

Allein mit dem Anfange des zwoͤlften Jahr-
hunderts ward es in ganz Teutſchland merklich,

was
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[164/0198] II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. Was die Grafſchaften anbetrifft, war es in den Gegenden, die ehedem zum Herzogthum Ober- und Niederlothringen gehoͤret hatten, ſchon lange gewoͤhnlich, daß Flandern, Namuͤr, Luͤxenburg, Hennegau, Holland, Friesland als erbliche Fami- lienguͤter angeſehen wurden, und die Geſchlechter, die in ihrem Beſitze waren, darnach ihren Namen fuͤhrten. Aber in den uͤbrigen Gegenden des Teut- ſchen Reichs zwiſchen dem Rheine und der Elbe gebrauchte man das Wort Grafſchaft (comitia, comitatus) vor dem zwoͤlften Jahrhunderte noch nicht, wie jetzt, im geographiſchen Verſtande fuͤr einen gewiſſen Strich Landes, ſondern nur zu Be- zeichnung der graͤflichen Ehrenſtelle und Befehls- habung um ſie von der herzoglichen, marggraͤfli- chen, pfalzgraͤflichen u. ſ. w. zu unterſcheiden. Geo- graphiſch waren die Laͤnder nur in Gaue einge- theilt. Man ſprach alſo nicht von Guͤtern, die in dieſer oder jener Grafſchaft gelegen waͤren, ſon- dern man bezeichnete ſie nach dem Gaue, worin ſie lagen, und nannte allenfalls nur den perſoͤnlichen Namen des Grafen, der demſelben vorgeſetzt war; z. B. ſo und ſoviel Hufen Landes oder das Dorf N. N. in dem und dem Gaue gelegen, zur Be- fehlshabung dieſes oder jenen Grafen gehoͤrig. Dann war aber keine Folge, daß, wenn dieſer Graf ſtarb, ſein Sohn ſein Nachfolger ſeyn muͤße. Dem Koͤnige blieb es immer unbenommen, einen jeden andern zum Grafen in eben dem Gaue zu ernennen. So gewiß war es, daß Gaue keine erbliche Geſchlechtsguͤter waren. Allein mit dem Anfange des zwoͤlften Jahr- hunderts ward es in ganz Teutſchland merklich, was

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/198>, abgerufen am 23.11.2024.