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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

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V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558.
gleich in der Proposition darauf antragen: Weil
die Clausel des letztern Reichsschlusses vom Jahre
1526.: "wie ein jeder es bey Gott zu verantwor-
ten gedenke," vielen Mißbrauch veranlaßt habe;
so möchte man diesen Reichsschluß wieder aufhe-
ben, und der Religion halber eine andere neue
Verfügung machen. Darauf wurde erst von einer
Reichsdeputation, hernach von der gesammten
Reichsversammlung, jedoch nur durch Mehrheit
der Stimmen, der Schluß gefasset: "Wo bisher
das Wormser Edict gehalten worden, da sollte fer-
ner niemand Luthers Lehre annehmen. (Wie war
es möglich, der innern Ueberzeugung durch ein
Reichsgesetz Schranken zu setzen?) Wo aber Lu-
thers Lehre schon eingeführt sey, und ohne Aufruhr
nicht abgewandt werden möchte; sollte man sich
doch hinfüro aller weiteren Neuerungen enthalten,
und insonderheit die Messe nicht abstellen." (Wie
ließ sich das mit der Freyheit eines jeden Staats,
wo Obrigkeit und Unterthanen über eine nur sie
betreffende neue Einrichtung einig sind, dergleichen
Einrichtungen nach ihrer Convenienz zu treffen,
vereinbaren?)


V.

Dieser Reichsschluß gab zuerst natürlichen An-
laß, daß von Seiten der evangelischen Stände die
Frage aufgeworfen wurde: ob in Sachen, die
ihrer und ihrer Unterthanen Seelen Heil beträfen,
ihnen zugemuthet werden könne, sich der Mehr-
heit der Stimmen
einer Reichsdeputation oder
auch des ganzen Reichstages zu unterwerfen?
(Mich dünkt, keine höchste Gewalt in der Welt
ist berechtiget, das Recht über ihre Unterthanen
auch auf das, was sie von Religionslehren anneh-

men

V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558.
gleich in der Propoſition darauf antragen: Weil
die Clauſel des letztern Reichsſchluſſes vom Jahre
1526.: ”wie ein jeder es bey Gott zu verantwor-
ten gedenke,” vielen Mißbrauch veranlaßt habe;
ſo moͤchte man dieſen Reichsſchluß wieder aufhe-
ben, und der Religion halber eine andere neue
Verfuͤgung machen. Darauf wurde erſt von einer
Reichsdeputation, hernach von der geſammten
Reichsverſammlung, jedoch nur durch Mehrheit
der Stimmen, der Schluß gefaſſet: ”Wo bisher
das Wormſer Edict gehalten worden, da ſollte fer-
ner niemand Luthers Lehre annehmen. (Wie war
es moͤglich, der innern Ueberzeugung durch ein
Reichsgeſetz Schranken zu ſetzen?) Wo aber Lu-
thers Lehre ſchon eingefuͤhrt ſey, und ohne Aufruhr
nicht abgewandt werden moͤchte; ſollte man ſich
doch hinfuͤro aller weiteren Neuerungen enthalten,
und inſonderheit die Meſſe nicht abſtellen.” (Wie
ließ ſich das mit der Freyheit eines jeden Staats,
wo Obrigkeit und Unterthanen uͤber eine nur ſie
betreffende neue Einrichtung einig ſind, dergleichen
Einrichtungen nach ihrer Convenienz zu treffen,
vereinbaren?)


V.

Dieſer Reichsſchluß gab zuerſt natuͤrlichen An-
laß, daß von Seiten der evangeliſchen Staͤnde die
Frage aufgeworfen wurde: ob in Sachen, die
ihrer und ihrer Unterthanen Seelen Heil betraͤfen,
ihnen zugemuthet werden koͤnne, ſich der Mehr-
heit der Stimmen
einer Reichsdeputation oder
auch des ganzen Reichstages zu unterwerfen?
(Mich duͤnkt, keine hoͤchſte Gewalt in der Welt
iſt berechtiget, das Recht uͤber ihre Unterthanen
auch auf das, was ſie von Religionslehren anneh-

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[388/0422] V. Neuere Zeit. Carl V. 1519-1558. gleich in der Propoſition darauf antragen: Weil die Clauſel des letztern Reichsſchluſſes vom Jahre 1526.: ”wie ein jeder es bey Gott zu verantwor- ten gedenke,” vielen Mißbrauch veranlaßt habe; ſo moͤchte man dieſen Reichsſchluß wieder aufhe- ben, und der Religion halber eine andere neue Verfuͤgung machen. Darauf wurde erſt von einer Reichsdeputation, hernach von der geſammten Reichsverſammlung, jedoch nur durch Mehrheit der Stimmen, der Schluß gefaſſet: ”Wo bisher das Wormſer Edict gehalten worden, da ſollte fer- ner niemand Luthers Lehre annehmen. (Wie war es moͤglich, der innern Ueberzeugung durch ein Reichsgeſetz Schranken zu ſetzen?) Wo aber Lu- thers Lehre ſchon eingefuͤhrt ſey, und ohne Aufruhr nicht abgewandt werden moͤchte; ſollte man ſich doch hinfuͤro aller weiteren Neuerungen enthalten, und inſonderheit die Meſſe nicht abſtellen.” (Wie ließ ſich das mit der Freyheit eines jeden Staats, wo Obrigkeit und Unterthanen uͤber eine nur ſie betreffende neue Einrichtung einig ſind, dergleichen Einrichtungen nach ihrer Convenienz zu treffen, vereinbaren?) Dieſer Reichsſchluß gab zuerſt natuͤrlichen An- laß, daß von Seiten der evangeliſchen Staͤnde die Frage aufgeworfen wurde: ob in Sachen, die ihrer und ihrer Unterthanen Seelen Heil betraͤfen, ihnen zugemuthet werden koͤnne, ſich der Mehr- heit der Stimmen einer Reichsdeputation oder auch des ganzen Reichstages zu unterwerfen? (Mich duͤnkt, keine hoͤchſte Gewalt in der Welt iſt berechtiget, das Recht uͤber ihre Unterthanen auch auf das, was ſie von Religionslehren anneh- men

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/422>, abgerufen am 22.11.2024.