Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 3: Von 1740 bis 1786. Göttingen, 1787.XIV. Heutige Verfassung. jemand nicht nur den einheimischen Mitbürgerneben des Ortes oder Landes, sondern auch fremden Unterthanen aus anderen Ländern schuldig ist, zu deren Nachtheil ein dritter Reichsstand es nicht in seiner Gewalt zu haben scheint, seinen eignen Un- terthanen Gnadenbriefe zu ertheilen. Allein der wahre Grund der Moratorien beruhet darauf, daß einem jeden, von dem ein anderer eine Ver- bindlichkeit behauptet, in seinem eignen Gerichts- stande nach den Gesetzen seines Landes belanget und beurtheilet werden muß. Daher ein klagen- der Gläubiger nicht nur die Gesetze des Landes, wo er klagt, sondern alle Vorschriften der höchsten Gewalt, welchen der beklagte Schuldner unter- worfen ist, sich gefallen laßen muß. Wenn also diese höchste Gewalt in der Wohlfahrt ihres Staats hinlängliche Gründe zu finden glaubt, den Ge- richten die Weisung zu geben, daß sie wider einen Schuldner, der vielleicht durch unveranlaßte Un- glücksfälle zurückgekommen, und mit einiger Fri- stung noch gerettet werden kann, binnen gewisser Zeit keine Hülfsvollstreckung erkennen sollen; so müßen sich das auch ausländische Gläubiger eines solchen Schuldners gefallen laßen. Freylich kann ein anderer Staat, wenn er darunter Unrecht zu leiden glaubt, in ähnlichen Fällen Retorsionsweise es auch so machen; oder, was eine noch natürli- chere Folge ist, wenn etwa mit Moratorien in ei- nem Lande Mißbrauch getrieben wird, werden überhaupt Fremde sich wohl vorsehen dessen Unter- thanen ferner Eredit zu geben. Inzwischen so- fern nur vom Rechte der höchsten Gewalt die Fra- ge ist, können jene Grundsätze nicht bezweifelt werden, nach welchen Moratorien, die ein Reichs- stand
XIV. Heutige Verfaſſung. jemand nicht nur den einheimiſchen Mitbuͤrgerneben des Ortes oder Landes, ſondern auch fremden Unterthanen aus anderen Laͤndern ſchuldig iſt, zu deren Nachtheil ein dritter Reichsſtand es nicht in ſeiner Gewalt zu haben ſcheint, ſeinen eignen Un- terthanen Gnadenbriefe zu ertheilen. Allein der wahre Grund der Moratorien beruhet darauf, daß einem jeden, von dem ein anderer eine Ver- bindlichkeit behauptet, in ſeinem eignen Gerichts- ſtande nach den Geſetzen ſeines Landes belanget und beurtheilet werden muß. Daher ein klagen- der Glaͤubiger nicht nur die Geſetze des Landes, wo er klagt, ſondern alle Vorſchriften der hoͤchſten Gewalt, welchen der beklagte Schuldner unter- worfen iſt, ſich gefallen laßen muß. Wenn alſo dieſe hoͤchſte Gewalt in der Wohlfahrt ihres Staats hinlaͤngliche Gruͤnde zu finden glaubt, den Ge- richten die Weiſung zu geben, daß ſie wider einen Schuldner, der vielleicht durch unveranlaßte Un- gluͤcksfaͤlle zuruͤckgekommen, und mit einiger Fri- ſtung noch gerettet werden kann, binnen gewiſſer Zeit keine Huͤlfsvollſtreckung erkennen ſollen; ſo muͤßen ſich das auch auslaͤndiſche Glaͤubiger eines ſolchen Schuldners gefallen laßen. Freylich kann ein anderer Staat, wenn er darunter Unrecht zu leiden glaubt, in aͤhnlichen Faͤllen Retorſionsweiſe es auch ſo machen; oder, was eine noch natuͤrli- chere Folge iſt, wenn etwa mit Moratorien in ei- nem Lande Mißbrauch getrieben wird, werden uͤberhaupt Fremde ſich wohl vorſehen deſſen Unter- thanen ferner Eredit zu geben. Inzwiſchen ſo- fern nur vom Rechte der hoͤchſten Gewalt die Fra- ge iſt, koͤnnen jene Grundſaͤtze nicht bezweifelt werden, nach welchen Moratorien, die ein Reichs- ſtand
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0304" n="270"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XIV.</hi> Heutige Verfaſſung.</fw><lb/> jemand nicht nur den einheimiſchen Mitbuͤrgern<lb/> eben des Ortes oder Landes, ſondern auch fremden<lb/> Unterthanen aus anderen Laͤndern ſchuldig iſt, zu<lb/> deren Nachtheil ein dritter Reichsſtand es nicht in<lb/> ſeiner Gewalt zu haben ſcheint, ſeinen eignen Un-<lb/> terthanen Gnadenbriefe zu ertheilen. Allein der<lb/> wahre Grund der Moratorien beruhet darauf,<lb/> daß einem jeden, von dem ein anderer eine Ver-<lb/> bindlichkeit behauptet, in ſeinem eignen Gerichts-<lb/> ſtande nach den Geſetzen ſeines Landes belanget<lb/> und beurtheilet werden muß. Daher ein klagen-<lb/> der Glaͤubiger nicht nur die Geſetze des Landes,<lb/> wo er klagt, ſondern alle Vorſchriften der hoͤchſten<lb/> Gewalt, welchen der beklagte Schuldner unter-<lb/> worfen iſt, ſich gefallen laßen muß. Wenn alſo<lb/> dieſe hoͤchſte Gewalt in der Wohlfahrt ihres Staats<lb/> hinlaͤngliche Gruͤnde zu finden glaubt, den Ge-<lb/> richten die Weiſung zu geben, daß ſie wider einen<lb/> Schuldner, der vielleicht durch unveranlaßte Un-<lb/> gluͤcksfaͤlle zuruͤckgekommen, und mit einiger Fri-<lb/> ſtung noch gerettet werden kann, binnen gewiſſer<lb/> Zeit keine Huͤlfsvollſtreckung erkennen ſollen; ſo<lb/> muͤßen ſich das auch auslaͤndiſche Glaͤubiger eines<lb/> ſolchen Schuldners gefallen laßen. Freylich kann<lb/> ein anderer Staat, wenn er darunter Unrecht zu<lb/> leiden glaubt, in aͤhnlichen Faͤllen Retorſionsweiſe<lb/> es auch ſo machen; oder, was eine noch natuͤrli-<lb/> chere Folge iſt, wenn etwa mit Moratorien in ei-<lb/> nem Lande Mißbrauch getrieben wird, werden<lb/> uͤberhaupt Fremde ſich wohl vorſehen deſſen Unter-<lb/> thanen ferner Eredit zu geben. Inzwiſchen ſo-<lb/> fern nur vom Rechte der hoͤchſten Gewalt die Fra-<lb/> ge iſt, koͤnnen jene Grundſaͤtze nicht bezweifelt<lb/> werden, nach welchen Moratorien, die ein Reichs-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſtand</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [270/0304]
XIV. Heutige Verfaſſung.
jemand nicht nur den einheimiſchen Mitbuͤrgern
eben des Ortes oder Landes, ſondern auch fremden
Unterthanen aus anderen Laͤndern ſchuldig iſt, zu
deren Nachtheil ein dritter Reichsſtand es nicht in
ſeiner Gewalt zu haben ſcheint, ſeinen eignen Un-
terthanen Gnadenbriefe zu ertheilen. Allein der
wahre Grund der Moratorien beruhet darauf,
daß einem jeden, von dem ein anderer eine Ver-
bindlichkeit behauptet, in ſeinem eignen Gerichts-
ſtande nach den Geſetzen ſeines Landes belanget
und beurtheilet werden muß. Daher ein klagen-
der Glaͤubiger nicht nur die Geſetze des Landes,
wo er klagt, ſondern alle Vorſchriften der hoͤchſten
Gewalt, welchen der beklagte Schuldner unter-
worfen iſt, ſich gefallen laßen muß. Wenn alſo
dieſe hoͤchſte Gewalt in der Wohlfahrt ihres Staats
hinlaͤngliche Gruͤnde zu finden glaubt, den Ge-
richten die Weiſung zu geben, daß ſie wider einen
Schuldner, der vielleicht durch unveranlaßte Un-
gluͤcksfaͤlle zuruͤckgekommen, und mit einiger Fri-
ſtung noch gerettet werden kann, binnen gewiſſer
Zeit keine Huͤlfsvollſtreckung erkennen ſollen; ſo
muͤßen ſich das auch auslaͤndiſche Glaͤubiger eines
ſolchen Schuldners gefallen laßen. Freylich kann
ein anderer Staat, wenn er darunter Unrecht zu
leiden glaubt, in aͤhnlichen Faͤllen Retorſionsweiſe
es auch ſo machen; oder, was eine noch natuͤrli-
chere Folge iſt, wenn etwa mit Moratorien in ei-
nem Lande Mißbrauch getrieben wird, werden
uͤberhaupt Fremde ſich wohl vorſehen deſſen Unter-
thanen ferner Eredit zu geben. Inzwiſchen ſo-
fern nur vom Rechte der hoͤchſten Gewalt die Fra-
ge iſt, koͤnnen jene Grundſaͤtze nicht bezweifelt
werden, nach welchen Moratorien, die ein Reichs-
ſtand
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |