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Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.

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Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.
feldes, auf die richtige Funktion dieser Hauptorgane Bedacht
nehmen, und seine Lebensprinzipien den Anforderungen der
Gesundheitslehre unterordnen. Derjenige, der viel und anhaltend
steigt, hat sich insbesondere vor Herzhypertrophie und Lungen-
emphysem zu hüten. Daher richte man seine Bewegungen so ein,
dass weder ein übermässig starker Herzschlag, noch ein hörbares
Athmen eintreten können. Das beste Mittel, die Leistungsfähigkeit
dieser Organe, wie überhaupt des Körpers, zu erhöhen, sind
ausser Bergsteigen: Turnen, Rudern, Schlittschuhlaufen und ähnliche
Leibesübungen.

Den Magen erzieht man nicht, indem man ihn mit Gans-
leberpastete, zartem Hühnerfleisch und Bisquits traktiert, sondern
indem man ihn vor Allem an Einfachheit und Mässigkeit gewöhnt.
Die Ansprüche gehen in diesem Punkte je nach Gewohnheit, Er-
ziehung und Aufwand sehr weit auseinander, sie sind meist umso
grösser, je geringer es mit unserer Leistungsfähigkeit bestellt ist.
Frei ist nur, wer entbehren kann. Dies gilt für den Bergsteiger
ebenso, wie für den Afrika-Reisenden.

Sehr verschieden sind die Ansichten über die Bergkrankheit.
Viele leugnen sie ganz, andere wollen sie schon in geringeren
Höhen verspürt haben. Sicher ist es, dass bei abnormen Höhen
krankhafte Zustände, die sich insbesondere durch Athmungs-
beschwerden und Mangel an Muskelenergie äussern, eintreten
können, dass aber diese Höhe bei den verschiedenen Individuen
sehr ungleich ist. Mr. W. W. Graham fühlte bei der Ersteigung des
Kabru im Himalaya, den er wenig unter 7300 m Seehöhe schätzt,
keinerlei Unbequemlichkeit, Dr. Paul Güssfeldt empfand dagegen
die Bergkrankheit deutlich genug auf dem Aconcagua, ebenso
Mr. Edward Whymper auf dem Chimborasso.

Bei der ersten Ersteigung des Kilimandscharo (6130 m) litt
der Verfasser - vielleicht deshalb, weil das Stufenschlagen in der
Mittagshitze auf dem glasharten Eise sehr anstrengend war -
etwas an der Bergkrankheit, bei der zweiten und dritten Ersteigung
nicht mehr. Auf dem Elbruz (5638 m ) stellten bei Herrn Merz-
bacher, den Führern und dem Verfasser keinerlei Symptome
von Unwohlsein sich ein. Ein gewaltiger Unterschied liegt eben
darin, ob der Uebergang von der niederen zur höheren
Region langsam oder unvermittelt vor sich geht, und ob der
Körper kräftig und gut genährt ist. Unzweifelhaft kann der
Mensch bei allmählicher Gewöhnung in sehr bedeutenden Höhen

Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.
feldes, auf die richtige Funktion dieser Hauptorgane Bedacht
nehmen, und seine Lebensprinzipien den Anforderungen der
Gesundheitslehre unterordnen. Derjenige, der viel und anhaltend
steigt, hat sich insbesondere vor Herzhypertrophie und Lungen-
emphysem zu hüten. Daher richte man seine Bewegungen so ein,
dass weder ein übermässig starker Herzschlag, noch ein hörbares
Athmen eintreten können. Das beste Mittel, die Leistungsfähigkeit
dieser Organe, wie überhaupt des Körpers, zu erhöhen, sind
ausser Bergsteigen: Turnen, Rudern, Schlittschuhlaufen und ähnliche
Leibesübungen.

Den Magen erzieht man nicht, indem man ihn mit Gans-
leberpastete, zartem Hühnerfleisch und Bisquits traktiert, sondern
indem man ihn vor Allem an Einfachheit und Mässigkeit gewöhnt.
Die Ansprüche gehen in diesem Punkte je nach Gewohnheit, Er-
ziehung und Aufwand sehr weit auseinander, sie sind meist umso
grösser, je geringer es mit unserer Leistungsfähigkeit bestellt ist.
Frei ist nur, wer entbehren kann. Dies gilt für den Bergsteiger
ebenso, wie für den Afrika-Reisenden.

Sehr verschieden sind die Ansichten über die Bergkrankheit.
Viele leugnen sie ganz, andere wollen sie schon in geringeren
Höhen verspürt haben. Sicher ist es, dass bei abnormen Höhen
krankhafte Zustände, die sich insbesondere durch Athmungs-
beschwerden und Mangel an Muskelenergie äussern, eintreten
können, dass aber diese Höhe bei den verschiedenen Individuen
sehr ungleich ist. Mr. W. W. Graham fühlte bei der Ersteigung des
Kabru im Himalaya, den er wenig unter 7300 m Seehöhe schätzt,
keinerlei Unbequemlichkeit, Dr. Paul Güssfeldt empfand dagegen
die Bergkrankheit deutlich genug auf dem Aconcagua, ebenso
Mr. Edward Whymper auf dem Chimborasso.

Bei der ersten Ersteigung des Kilimandscharo (6130 m) litt
der Verfasser – vielleicht deshalb, weil das Stufenschlagen in der
Mittagshitze auf dem glasharten Eise sehr anstrengend war -
etwas an der Bergkrankheit, bei der zweiten und dritten Ersteigung
nicht mehr. Auf dem Elbruz (5638 m ) stellten bei Herrn Merz-
bacher, den Führern und dem Verfasser keinerlei Symptome
von Unwohlsein sich ein. Ein gewaltiger Unterschied liegt eben
darin, ob der Uebergang von der niederen zur höheren
Region langsam oder unvermittelt vor sich geht, und ob der
Körper kräftig und gut genährt ist. Unzweifelhaft kann der
Mensch bei allmählicher Gewöhnung in sehr bedeutenden Höhen

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[121/0027] Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus. feldes, auf die richtige Funktion dieser Hauptorgane Bedacht nehmen, und seine Lebensprinzipien den Anforderungen der Gesundheitslehre unterordnen. Derjenige, der viel und anhaltend steigt, hat sich insbesondere vor Herzhypertrophie und Lungen- emphysem zu hüten. Daher richte man seine Bewegungen so ein, dass weder ein übermässig starker Herzschlag, noch ein hörbares Athmen eintreten können. Das beste Mittel, die Leistungsfähigkeit dieser Organe, wie überhaupt des Körpers, zu erhöhen, sind ausser Bergsteigen: Turnen, Rudern, Schlittschuhlaufen und ähnliche Leibesübungen. Den Magen erzieht man nicht, indem man ihn mit Gans- leberpastete, zartem Hühnerfleisch und Bisquits traktiert, sondern indem man ihn vor Allem an Einfachheit und Mässigkeit gewöhnt. Die Ansprüche gehen in diesem Punkte je nach Gewohnheit, Er- ziehung und Aufwand sehr weit auseinander, sie sind meist umso grösser, je geringer es mit unserer Leistungsfähigkeit bestellt ist. Frei ist nur, wer entbehren kann. Dies gilt für den Bergsteiger ebenso, wie für den Afrika-Reisenden. Sehr verschieden sind die Ansichten über die Bergkrankheit. Viele leugnen sie ganz, andere wollen sie schon in geringeren Höhen verspürt haben. Sicher ist es, dass bei abnormen Höhen krankhafte Zustände, die sich insbesondere durch Athmungs- beschwerden und Mangel an Muskelenergie äussern, eintreten können, dass aber diese Höhe bei den verschiedenen Individuen sehr ungleich ist. Mr. W. W. Graham fühlte bei der Ersteigung des Kabru im Himalaya, den er wenig unter 7300 m Seehöhe schätzt, keinerlei Unbequemlichkeit, Dr. Paul Güssfeldt empfand dagegen die Bergkrankheit deutlich genug auf dem Aconcagua, ebenso Mr. Edward Whymper auf dem Chimborasso. Bei der ersten Ersteigung des Kilimandscharo (6130 m) litt der Verfasser – vielleicht deshalb, weil das Stufenschlagen in der Mittagshitze auf dem glasharten Eise sehr anstrengend war - etwas an der Bergkrankheit, bei der zweiten und dritten Ersteigung nicht mehr. Auf dem Elbruz (5638 m ) stellten bei Herrn Merz- bacher, den Führern und dem Verfasser keinerlei Symptome von Unwohlsein sich ein. Ein gewaltiger Unterschied liegt eben darin, ob der Uebergang von der niederen zur höheren Region langsam oder unvermittelt vor sich geht, und ob der Körper kräftig und gut genährt ist. Unzweifelhaft kann der Mensch bei allmählicher Gewöhnung in sehr bedeutenden Höhen

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Zitationshilfe: Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176, hier S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/27>, abgerufen am 21.11.2024.