Jahres verließen auch wir, die Familie Krumhardt, Vater, Mutter und Sohn, den Vogelsang. Meine Eltern fügten sich den höheren Ansprüchen, die ihrer Meinung nach meinetwegen das Leben an sie machte, und ich fügte mich meinen treubesorgten Eltern. Wer wehrt sich gegen die Liebe seines Vaters und seiner Mutter und wenn sie auch noch so sehr mit Sorglichkeiten, die man nicht mehr kennt, mit Thor¬ heiten, über die man hinaus ist, und mit mancherlei Anderem, was einem im Grunde lächerlich, ja ärger¬ lich vorkommt, verquickt ist?
Und wenn mir etwas ferne sein muß, so ist das Überhebung über die subalterneren Gefühle und Stimmungen des Menschen in seinem Dasein auf Erden gerade an dieser Stelle! In den Akten habe ich es nicht, aber tief in meinem innersten Bewußt¬ sein, daß ich die theure, altgewohnte Heimathstelle mit Allem, was mir heute mit schauernd wehmüthigen Heimwehgefühlen in dieser kalten Winternacht nahe¬ tritt, damals leichter, viel leichter und freier athmend aufgab, als die zwei armen Alten.
Auf der Bühne des Lebens hört man eben nicht vor jedem Scenenwechsel die Klingel des Regisseurs. Man findet sich zwischen den gewechselten Koulissen und vor dem veränderten Hintergrund und ver¬ wundert sich gar nicht. Ob man sie gut oder schlecht
Jahres verließen auch wir, die Familie Krumhardt, Vater, Mutter und Sohn, den Vogelſang. Meine Eltern fügten ſich den höheren Anſprüchen, die ihrer Meinung nach meinetwegen das Leben an ſie machte, und ich fügte mich meinen treubeſorgten Eltern. Wer wehrt ſich gegen die Liebe ſeines Vaters und ſeiner Mutter und wenn ſie auch noch ſo ſehr mit Sorglichkeiten, die man nicht mehr kennt, mit Thor¬ heiten, über die man hinaus iſt, und mit mancherlei Anderem, was einem im Grunde lächerlich, ja ärger¬ lich vorkommt, verquickt iſt?
Und wenn mir etwas ferne ſein muß, ſo iſt das Überhebung über die ſubalterneren Gefühle und Stimmungen des Menſchen in ſeinem Daſein auf Erden gerade an dieſer Stelle! In den Akten habe ich es nicht, aber tief in meinem innerſten Bewußt¬ ſein, daß ich die theure, altgewohnte Heimathſtelle mit Allem, was mir heute mit ſchauernd wehmüthigen Heimwehgefühlen in dieſer kalten Winternacht nahe¬ tritt, damals leichter, viel leichter und freier athmend aufgab, als die zwei armen Alten.
Auf der Bühne des Lebens hört man eben nicht vor jedem Scenenwechſel die Klingel des Regiſſeurs. Man findet ſich zwiſchen den gewechſelten Kouliſſen und vor dem veränderten Hintergrund und ver¬ wundert ſich gar nicht. Ob man ſie gut oder ſchlecht
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[198/0208]
Jahres verließen auch wir, die Familie Krumhardt,
Vater, Mutter und Sohn, den Vogelſang. Meine
Eltern fügten ſich den höheren Anſprüchen, die ihrer
Meinung nach meinetwegen das Leben an ſie machte,
und ich fügte mich meinen treubeſorgten Eltern.
Wer wehrt ſich gegen die Liebe ſeines Vaters und
ſeiner Mutter und wenn ſie auch noch ſo ſehr mit
Sorglichkeiten, die man nicht mehr kennt, mit Thor¬
heiten, über die man hinaus iſt, und mit mancherlei
Anderem, was einem im Grunde lächerlich, ja ärger¬
lich vorkommt, verquickt iſt?
Und wenn mir etwas ferne ſein muß, ſo iſt
das Überhebung über die ſubalterneren Gefühle und
Stimmungen des Menſchen in ſeinem Daſein auf
Erden gerade an dieſer Stelle! In den Akten habe
ich es nicht, aber tief in meinem innerſten Bewußt¬
ſein, daß ich die theure, altgewohnte Heimathſtelle mit
Allem, was mir heute mit ſchauernd wehmüthigen
Heimwehgefühlen in dieſer kalten Winternacht nahe¬
tritt, damals leichter, viel leichter und freier athmend
aufgab, als die zwei armen Alten.
Auf der Bühne des Lebens hört man eben nicht
vor jedem Scenenwechſel die Klingel des Regiſſeurs.
Man findet ſich zwiſchen den gewechſelten Kouliſſen
und vor dem veränderten Hintergrund und ver¬
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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/208>, abgerufen am 23.11.2024.
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