Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Staate gesetzten Vormund oder "Familienfreund",
dem alten Obergerichtssekretär Krumhardt auch die
letzte, Ehre zu erweisen, ist ja noch nicht vorüber in
diesen Blättern. Die Dämmerung zieht sich in jener
Jahreszeit weit in die Nacht hinein, und wie gesagt,
er kam erst in der Dämmerung, der Freund, und ein
neuer Morgen leuchtete über dem Osterberge auf,
ehe er wieder ging und beim Abschiednehmen lächelte:

"Nun, hab' ich die Scheherezade oder den
Märchenerzähler im Karawanserai zu Bagdad ver¬
gnüglich gespielt? Seht nur --

Der Tag im bräunlich rothen Mantel
Betritt im Osten dort die thauige Höhe!

Aber, ihr habt es so gewollt, Kinderchen: und Eines
ist sicher: in meinem Leben wißt ihr jetzt fast
ebenso gut Bescheid wie ich selber. Was meint die
gnädige -- die junge Frau? Nicht wahr, sie faßt
nachher ihr Stück bestes Eigenthum fester und etwas
ängstlich in die Arme: ,O Gott, Karl, und mit
diesem entsetzlichen Menschen bist Du aufgewachsen
in eurem Vogelsang und hast mir von ihm so gut
gesprochen, wenn einmal wieder in den letzten Jahren
die Rede auf ihn gekommen ist? O, wie dankbar
müssen wir dem lieben Gott Beide sein, daß er noch
früh genug ein Einsehen gehabt und ihn auf alle
vier Straßen der Welt verwiesen und ihm nur Gras

Staate geſetzten Vormund oder „Familienfreund“,
dem alten Obergerichtsſekretär Krumhardt auch die
letzte, Ehre zu erweiſen, iſt ja noch nicht vorüber in
dieſen Blättern. Die Dämmerung zieht ſich in jener
Jahreszeit weit in die Nacht hinein, und wie geſagt,
er kam erſt in der Dämmerung, der Freund, und ein
neuer Morgen leuchtete über dem Oſterberge auf,
ehe er wieder ging und beim Abſchiednehmen lächelte:

„Nun, hab' ich die Scheherezade oder den
Märchenerzähler im Karawanſerai zu Bagdad ver¬
gnüglich geſpielt? Seht nur —

Der Tag im bräunlich rothen Mantel
Betritt im Oſten dort die thauige Höhe!

Aber, ihr habt es ſo gewollt, Kinderchen: und Eines
iſt ſicher: in meinem Leben wißt ihr jetzt faſt
ebenſo gut Beſcheid wie ich ſelber. Was meint die
gnädige — die junge Frau? Nicht wahr, ſie faßt
nachher ihr Stück beſtes Eigenthum feſter und etwas
ängſtlich in die Arme: ‚O Gott, Karl, und mit
dieſem entſetzlichen Menſchen biſt Du aufgewachſen
in eurem Vogelſang und haſt mir von ihm ſo gut
geſprochen, wenn einmal wieder in den letzten Jahren
die Rede auf ihn gekommen iſt? O, wie dankbar
müſſen wir dem lieben Gott Beide ſein, daß er noch
früh genug ein Einſehen gehabt und ihn auf alle
vier Straßen der Welt verwieſen und ihm nur Gras

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0228" n="218"/>
Staate ge&#x017F;etzten Vormund oder &#x201E;Familienfreund&#x201C;,<lb/>
dem alten Obergerichts&#x017F;ekretär Krumhardt auch die<lb/>
letzte, Ehre zu erwei&#x017F;en, i&#x017F;t ja noch nicht vorüber in<lb/>
die&#x017F;en Blättern. Die Dämmerung zieht &#x017F;ich in jener<lb/>
Jahreszeit weit in die Nacht hinein, und wie ge&#x017F;agt,<lb/>
er kam er&#x017F;t in der Dämmerung, der Freund, und ein<lb/>
neuer Morgen leuchtete über dem O&#x017F;terberge auf,<lb/>
ehe er wieder ging und beim Ab&#x017F;chiednehmen lächelte:</p><lb/>
      <p xml:id="p-0228a" next="p-0228b">&#x201E;Nun, hab' ich die Scheherezade oder den<lb/>
Märchenerzähler im Karawan&#x017F;erai zu Bagdad ver¬<lb/>
gnüglich ge&#x017F;pielt? Seht nur &#x2014;</p><lb/>
      <lg>
        <l rendition="#et">Der Tag im bräunlich rothen Mantel</l><lb/>
        <l rendition="#et">Betritt im O&#x017F;ten dort die thauige Höhe!</l>
      </lg><lb/>
      <p xml:id="p-0228b" prev="p-0228a">Aber, ihr habt es &#x017F;o gewollt, Kinderchen: und Eines<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;icher: in meinem Leben wißt ihr jetzt fa&#x017F;t<lb/>
eben&#x017F;o gut Be&#x017F;cheid wie ich &#x017F;elber. Was meint die<lb/>
gnädige &#x2014; die junge Frau? Nicht wahr, &#x017F;ie faßt<lb/>
nachher ihr Stück be&#x017F;tes Eigenthum fe&#x017F;ter und etwas<lb/>
äng&#x017F;tlich in die Arme: &#x201A;O Gott, Karl, und mit<lb/>
die&#x017F;em ent&#x017F;etzlichen Men&#x017F;chen bi&#x017F;t Du aufgewach&#x017F;en<lb/>
in eurem Vogel&#x017F;ang und ha&#x017F;t mir von ihm &#x017F;o gut<lb/>
ge&#x017F;prochen, wenn einmal wieder in den letzten Jahren<lb/>
die Rede auf ihn gekommen i&#x017F;t? O, wie dankbar<lb/>&#x017F;&#x017F;en wir dem lieben Gott Beide &#x017F;ein, daß er noch<lb/>
früh genug ein Ein&#x017F;ehen gehabt und ihn auf alle<lb/>
vier Straßen der Welt verwie&#x017F;en und ihm nur Gras<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0228] Staate geſetzten Vormund oder „Familienfreund“, dem alten Obergerichtsſekretär Krumhardt auch die letzte, Ehre zu erweiſen, iſt ja noch nicht vorüber in dieſen Blättern. Die Dämmerung zieht ſich in jener Jahreszeit weit in die Nacht hinein, und wie geſagt, er kam erſt in der Dämmerung, der Freund, und ein neuer Morgen leuchtete über dem Oſterberge auf, ehe er wieder ging und beim Abſchiednehmen lächelte: „Nun, hab' ich die Scheherezade oder den Märchenerzähler im Karawanſerai zu Bagdad ver¬ gnüglich geſpielt? Seht nur — Der Tag im bräunlich rothen Mantel Betritt im Oſten dort die thauige Höhe! Aber, ihr habt es ſo gewollt, Kinderchen: und Eines iſt ſicher: in meinem Leben wißt ihr jetzt faſt ebenſo gut Beſcheid wie ich ſelber. Was meint die gnädige — die junge Frau? Nicht wahr, ſie faßt nachher ihr Stück beſtes Eigenthum feſter und etwas ängſtlich in die Arme: ‚O Gott, Karl, und mit dieſem entſetzlichen Menſchen biſt Du aufgewachſen in eurem Vogelſang und haſt mir von ihm ſo gut geſprochen, wenn einmal wieder in den letzten Jahren die Rede auf ihn gekommen iſt? O, wie dankbar müſſen wir dem lieben Gott Beide ſein, daß er noch früh genug ein Einſehen gehabt und ihn auf alle vier Straßen der Welt verwieſen und ihm nur Gras

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/228
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/228>, abgerufen am 23.11.2024.