Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Was für Schatten von draußen jetzt darauf
hinfallen, was für Töne auf es hineinkreischen mochten,
im Innern nichts verändert! Alles an seinem Platze
wie vor Jahren. Da des Freundes Schülerpult
neben dem Schreibtisch des Vaters. Sein Bücherbrett
mit den abgegriffenen Schulausgaben der lateinischen
und griechischen Klassiker und der Weihnachts- und
Geburtstagslitteratur von Robinson über den Steuer¬
mann Sigismund Rüstig und die Lederstrumpf¬
erzählungen bis zu den billigen Schillerausgaben der
deutschen Klassiker. An den Wänden zwischen und
neben den Familienphotographien und was sonst sich
da zu finden pflegt, die selbstgefertigten Glaskasten
mit den Käfer- und Schmetterlingssammlungen des
letzten Velten Andres. Lauter Dinge und Sachen,
die mir heute noch lebendiger sind, als der Inhalt
meines eigenen Hauses und der Stube, in welcher
ich in dieser Nacht dieses aus meinen Akten her¬
vorhole
, um es revidirt ihnen von Neuem beizu¬
fügen!

Wie hatte sich in den paar Tagen, da ich sie
nicht gehört hatte, die theure, wohlbekannte Stimme
verändert, die mir aus dem hinter der Familienstube
gelegenen Schlafzimmer entgegenklang!

"Velten! -- um Gottes willen --"

"Aber Du bist noch da, Junge? Der Zug geht

Was für Schatten von draußen jetzt darauf
hinfallen, was für Töne auf es hineinkreiſchen mochten,
im Innern nichts verändert! Alles an ſeinem Platze
wie vor Jahren. Da des Freundes Schülerpult
neben dem Schreibtiſch des Vaters. Sein Bücherbrett
mit den abgegriffenen Schulausgaben der lateiniſchen
und griechiſchen Klaſſiker und der Weihnachts- und
Geburtstagslitteratur von Robinſon über den Steuer¬
mann Sigismund Rüſtig und die Lederſtrumpf¬
erzählungen bis zu den billigen Schillerausgaben der
deutſchen Klaſſiker. An den Wänden zwiſchen und
neben den Familienphotographien und was ſonſt ſich
da zu finden pflegt, die ſelbſtgefertigten Glaskaſten
mit den Käfer- und Schmetterlingsſammlungen des
letzten Velten Andres. Lauter Dinge und Sachen,
die mir heute noch lebendiger ſind, als der Inhalt
meines eigenen Hauſes und der Stube, in welcher
ich in dieſer Nacht dieſes aus meinen Akten her¬
vorhole
, um es revidirt ihnen von Neuem beizu¬
fügen!

Wie hatte ſich in den paar Tagen, da ich ſie
nicht gehört hatte, die theure, wohlbekannte Stimme
verändert, die mir aus dem hinter der Familienſtube
gelegenen Schlafzimmer entgegenklang!

„Velten! — um Gottes willen —“

„Aber Du biſt noch da, Junge? Der Zug geht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0256" n="246"/>
      <p>Was für Schatten von draußen jetzt darauf<lb/>
hinfallen, was für Töne auf es hineinkrei&#x017F;chen mochten,<lb/>
im Innern nichts verändert! Alles an &#x017F;einem Platze<lb/>
wie vor Jahren. Da des Freundes Schülerpult<lb/>
neben dem Schreibti&#x017F;ch des Vaters. Sein Bücherbrett<lb/>
mit den abgegriffenen Schulausgaben der lateini&#x017F;chen<lb/>
und griechi&#x017F;chen Kla&#x017F;&#x017F;iker und der Weihnachts- und<lb/>
Geburtstagslitteratur von Robin&#x017F;on über den Steuer¬<lb/>
mann Sigismund Rü&#x017F;tig und die Leder&#x017F;trumpf¬<lb/>
erzählungen bis zu den billigen Schillerausgaben der<lb/>
deut&#x017F;chen Kla&#x017F;&#x017F;iker. An den Wänden zwi&#x017F;chen und<lb/>
neben den Familienphotographien und was &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;ich<lb/>
da zu finden pflegt, die &#x017F;elb&#x017F;tgefertigten Glaska&#x017F;ten<lb/>
mit den Käfer- und Schmetterlings&#x017F;ammlungen des<lb/><hi rendition="#g">letzten</hi> Velten Andres. Lauter Dinge und Sachen,<lb/>
die mir heute noch lebendiger &#x017F;ind, als der Inhalt<lb/>
meines eigenen Hau&#x017F;es und der Stube, in welcher<lb/>
ich in die&#x017F;er Nacht die&#x017F;es <hi rendition="#g">aus meinen Akten her¬<lb/>
vorhole</hi>, um es revidirt ihnen von Neuem beizu¬<lb/>
fügen!</p><lb/>
      <p>Wie hatte &#x017F;ich in den paar Tagen, da ich &#x017F;ie<lb/>
nicht gehört hatte, die theure, wohlbekannte Stimme<lb/>
verändert, die mir aus dem hinter der Familien&#x017F;tube<lb/>
gelegenen Schlafzimmer entgegenklang!</p><lb/>
      <p>&#x201E;Velten! &#x2014; um Gottes willen &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
      <p>&#x201E;Aber Du bi&#x017F;t noch da, Junge? Der Zug geht<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[246/0256] Was für Schatten von draußen jetzt darauf hinfallen, was für Töne auf es hineinkreiſchen mochten, im Innern nichts verändert! Alles an ſeinem Platze wie vor Jahren. Da des Freundes Schülerpult neben dem Schreibtiſch des Vaters. Sein Bücherbrett mit den abgegriffenen Schulausgaben der lateiniſchen und griechiſchen Klaſſiker und der Weihnachts- und Geburtstagslitteratur von Robinſon über den Steuer¬ mann Sigismund Rüſtig und die Lederſtrumpf¬ erzählungen bis zu den billigen Schillerausgaben der deutſchen Klaſſiker. An den Wänden zwiſchen und neben den Familienphotographien und was ſonſt ſich da zu finden pflegt, die ſelbſtgefertigten Glaskaſten mit den Käfer- und Schmetterlingsſammlungen des letzten Velten Andres. Lauter Dinge und Sachen, die mir heute noch lebendiger ſind, als der Inhalt meines eigenen Hauſes und der Stube, in welcher ich in dieſer Nacht dieſes aus meinen Akten her¬ vorhole, um es revidirt ihnen von Neuem beizu¬ fügen! Wie hatte ſich in den paar Tagen, da ich ſie nicht gehört hatte, die theure, wohlbekannte Stimme verändert, die mir aus dem hinter der Familienſtube gelegenen Schlafzimmer entgegenklang! „Velten! — um Gottes willen —“ „Aber Du biſt noch da, Junge? Der Zug geht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/256
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/256>, abgerufen am 22.11.2024.