Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

hardt, das ist nun eben Ihr Schicksal, daß Sie in
eine solche Gesellschaft von Phantasiemenschen gesetzt
worden sind und Geduld haben müssen. Wie oft
habe ich mir in schlaflosen Nächten vorgehalten: im
Grunde bist Du die Allerschlimmste, Amalie! Selbst
Agathe Trotzendorff fährt nicht so närrisch wie Du auf
den Wolken und ihren Hirngespinsten über dem Vogel¬
sang im blauen Himmel umher. Da habe ich denn
wohl nach Entschuldigungen gesucht, und die beste nur
auf unserm Kirchhofe gefunden: Hätte der Liebe da,
der dort unter seinem grünen Hügel liegt, Dich nicht
so sehr verzogen und mit sich in die Höhe gezogen,
so möchtest Du ja auch wohl vernünftiger und ver¬
ständiger in den tagtäglichen Dingen und Angelegen¬
heiten sein und Deinen Velten besser erziehen und
dem Herrn Oberregierungssekretär weniger Verdruß
machen können. Sehen Sie, bester Nachbar, und
diese Entschuldigung hat dann gerade das Gegentheil
von meiner und Veltens Besserung bewirkt. Ich
habe mir verhältnißmäßig glückliche Thränen abge¬
trocknet und bin doch mit besserem Gewissen auf
meinem Kopfkissen eingeschlafen als ich mich drauf
hingelegt hatte. Und weil mir denn hier plötzlich
so in eine allgemeine Beichte hineingerathen sind, so
kann ich nur sagen, daß ich am anderen Tage nach
jeder solchen Gewissensbißnacht stets die allermög¬

hardt, das iſt nun eben Ihr Schickſal, daß Sie in
eine ſolche Geſellſchaft von Phantaſiemenſchen geſetzt
worden ſind und Geduld haben müſſen. Wie oft
habe ich mir in ſchlafloſen Nächten vorgehalten: im
Grunde biſt Du die Allerſchlimmſte, Amalie! Selbſt
Agathe Trotzendorff fährt nicht ſo närriſch wie Du auf
den Wolken und ihren Hirngeſpinſten über dem Vogel¬
ſang im blauen Himmel umher. Da habe ich denn
wohl nach Entſchuldigungen geſucht, und die beſte nur
auf unſerm Kirchhofe gefunden: Hätte der Liebe da,
der dort unter ſeinem grünen Hügel liegt, Dich nicht
ſo ſehr verzogen und mit ſich in die Höhe gezogen,
ſo möchteſt Du ja auch wohl vernünftiger und ver¬
ſtändiger in den tagtäglichen Dingen und Angelegen¬
heiten ſein und Deinen Velten beſſer erziehen und
dem Herrn Oberregierungsſekretär weniger Verdruß
machen können. Sehen Sie, beſter Nachbar, und
dieſe Entſchuldigung hat dann gerade das Gegentheil
von meiner und Veltens Beſſerung bewirkt. Ich
habe mir verhältnißmäßig glückliche Thränen abge¬
trocknet und bin doch mit beſſerem Gewiſſen auf
meinem Kopfkiſſen eingeſchlafen als ich mich drauf
hingelegt hatte. Und weil mir denn hier plötzlich
ſo in eine allgemeine Beichte hineingerathen ſind, ſo
kann ich nur ſagen, daß ich am anderen Tage nach
jeder ſolchen Gewiſſensbißnacht ſtets die allermög¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0073" n="63"/>
hardt, das i&#x017F;t nun eben Ihr Schick&#x017F;al, daß Sie in<lb/>
eine &#x017F;olche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von Phanta&#x017F;iemen&#x017F;chen ge&#x017F;etzt<lb/>
worden &#x017F;ind und Geduld haben mü&#x017F;&#x017F;en. Wie oft<lb/>
habe ich mir in &#x017F;chlaflo&#x017F;en Nächten vorgehalten: im<lb/>
Grunde bi&#x017F;t Du die Aller&#x017F;chlimm&#x017F;te, Amalie! Selb&#x017F;t<lb/>
Agathe Trotzendorff fährt nicht &#x017F;o närri&#x017F;ch wie Du auf<lb/>
den Wolken und ihren Hirnge&#x017F;pin&#x017F;ten über dem Vogel¬<lb/>
&#x017F;ang im blauen Himmel umher. Da habe ich denn<lb/>
wohl nach Ent&#x017F;chuldigungen ge&#x017F;ucht, und die be&#x017F;te nur<lb/>
auf un&#x017F;erm Kirchhofe gefunden: Hätte der Liebe da,<lb/>
der dort unter &#x017F;einem grünen Hügel liegt, Dich nicht<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr verzogen und mit &#x017F;ich in die Höhe gezogen,<lb/>
&#x017F;o möchte&#x017F;t Du ja auch wohl vernünftiger und ver¬<lb/>
&#x017F;tändiger in den tagtäglichen Dingen und Angelegen¬<lb/>
heiten &#x017F;ein und Deinen Velten be&#x017F;&#x017F;er erziehen und<lb/>
dem Herrn Oberregierungs&#x017F;ekretär weniger Verdruß<lb/>
machen können. Sehen Sie, be&#x017F;ter Nachbar, und<lb/>
die&#x017F;e Ent&#x017F;chuldigung hat dann gerade das Gegentheil<lb/>
von meiner und Veltens Be&#x017F;&#x017F;erung bewirkt. Ich<lb/>
habe mir verhältnißmäßig glückliche Thränen abge¬<lb/>
trocknet und bin doch mit be&#x017F;&#x017F;erem Gewi&#x017F;&#x017F;en auf<lb/>
meinem Kopfki&#x017F;&#x017F;en einge&#x017F;chlafen als ich mich drauf<lb/>
hingelegt hatte. Und weil mir denn hier plötzlich<lb/>
&#x017F;o in eine allgemeine Beichte hineingerathen &#x017F;ind, &#x017F;o<lb/>
kann ich nur &#x017F;agen, daß ich am anderen Tage nach<lb/>
jeder &#x017F;olchen Gewi&#x017F;&#x017F;ensbißnacht &#x017F;tets die allermög¬<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0073] hardt, das iſt nun eben Ihr Schickſal, daß Sie in eine ſolche Geſellſchaft von Phantaſiemenſchen geſetzt worden ſind und Geduld haben müſſen. Wie oft habe ich mir in ſchlafloſen Nächten vorgehalten: im Grunde biſt Du die Allerſchlimmſte, Amalie! Selbſt Agathe Trotzendorff fährt nicht ſo närriſch wie Du auf den Wolken und ihren Hirngeſpinſten über dem Vogel¬ ſang im blauen Himmel umher. Da habe ich denn wohl nach Entſchuldigungen geſucht, und die beſte nur auf unſerm Kirchhofe gefunden: Hätte der Liebe da, der dort unter ſeinem grünen Hügel liegt, Dich nicht ſo ſehr verzogen und mit ſich in die Höhe gezogen, ſo möchteſt Du ja auch wohl vernünftiger und ver¬ ſtändiger in den tagtäglichen Dingen und Angelegen¬ heiten ſein und Deinen Velten beſſer erziehen und dem Herrn Oberregierungsſekretär weniger Verdruß machen können. Sehen Sie, beſter Nachbar, und dieſe Entſchuldigung hat dann gerade das Gegentheil von meiner und Veltens Beſſerung bewirkt. Ich habe mir verhältnißmäßig glückliche Thränen abge¬ trocknet und bin doch mit beſſerem Gewiſſen auf meinem Kopfkiſſen eingeſchlafen als ich mich drauf hingelegt hatte. Und weil mir denn hier plötzlich ſo in eine allgemeine Beichte hineingerathen ſind, ſo kann ich nur ſagen, daß ich am anderen Tage nach jeder ſolchen Gewiſſensbißnacht ſtets die allermög¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/73
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/73>, abgerufen am 28.11.2024.