schönes Wetter und Deine angenehme Welt, wenn Keiner was damit anzufangen weiß?" -- und die einzige auch jetzt dem Vogelsang vollkommen Ge¬ wachsene, "unsere Amalie", seine Mutter, Nachbar Hartlebens Frau Doktern -- die Frau Doktorin Amalie Andres! --
Im Grunde ist sie doch die Einzige von Allen, vor der auch mein Vater Respekt hat und auf die er hört, wenn er das Wort genommen hat, und sie es nach ihm nimmt, trotzdem er als "Familienfreund" auch ihr gegenüber das Wort: "Unzurechnungsfähiges Frauenzimmervolk" oft genug hinter den Zähnen brummt. Und sie sagt jetzt, "ihr" Kind -- nicht ihren "dummen Jungen", sondern die "arme Kleine von drüben überm Weg und überm Weltmeer" zu sich heranziehend:
"Lieber Nachbar Krumhardt, ich bitte! -- Aber ihr Leutchen, was seid ihr für ein Volk! Wie soll sich denn Unsereins hier durchfinden, wenn Jeder rundum Recht hat von seinem Standpunkt aus? Beste Agathe, was hätte ich wohl und der arme Velten diese letzten, langen, traurigen Jahre ohne den ver¬ ständigen treuen Freund unserer Familie, ohne unsern Familienfreund anfangen sollen? Und wie undank¬ bar sind wir oft gewesen! Wie oft haben wir es besser verstehen wollen als er! Ja, Nachbar Krum¬
ſchönes Wetter und Deine angenehme Welt, wenn Keiner was damit anzufangen weiß?“ — und die einzige auch jetzt dem Vogelſang vollkommen Ge¬ wachſene, „unſere Amalie“, ſeine Mutter, Nachbar Hartlebens Frau Doktern — die Frau Doktorin Amalie Andres! —
Im Grunde iſt ſie doch die Einzige von Allen, vor der auch mein Vater Reſpekt hat und auf die er hört, wenn er das Wort genommen hat, und ſie es nach ihm nimmt, trotzdem er als „Familienfreund“ auch ihr gegenüber das Wort: „Unzurechnungsfähiges Frauenzimmervolk“ oft genug hinter den Zähnen brummt. Und ſie ſagt jetzt, „ihr“ Kind — nicht ihren „dummen Jungen“, ſondern die „arme Kleine von drüben überm Weg und überm Weltmeer“ zu ſich heranziehend:
„Lieber Nachbar Krumhardt, ich bitte! — Aber ihr Leutchen, was ſeid ihr für ein Volk! Wie ſoll ſich denn Unſereins hier durchfinden, wenn Jeder rundum Recht hat von ſeinem Standpunkt aus? Beſte Agathe, was hätte ich wohl und der arme Velten dieſe letzten, langen, traurigen Jahre ohne den ver¬ ſtändigen treuen Freund unſerer Familie, ohne unſern Familienfreund anfangen ſollen? Und wie undank¬ bar ſind wir oft geweſen! Wie oft haben wir es beſſer verſtehen wollen als er! Ja, Nachbar Krum¬
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ſchönes Wetter und Deine angenehme Welt, wenn
Keiner was damit anzufangen weiß?“ — und die
einzige auch jetzt dem Vogelſang vollkommen Ge¬
wachſene, „unſere Amalie“, ſeine Mutter, Nachbar
Hartlebens Frau Doktern — die Frau Doktorin
Amalie Andres! —
Im Grunde iſt ſie doch die Einzige von Allen,
vor der auch mein Vater Reſpekt hat und auf die
er hört, wenn er das Wort genommen hat, und ſie
es nach ihm nimmt, trotzdem er als „Familienfreund“
auch ihr gegenüber das Wort: „Unzurechnungsfähiges
Frauenzimmervolk“ oft genug hinter den Zähnen
brummt. Und ſie ſagt jetzt, „ihr“ Kind — nicht
ihren „dummen Jungen“, ſondern die „arme Kleine
von drüben überm Weg und überm Weltmeer“ zu
ſich heranziehend:
„Lieber Nachbar Krumhardt, ich bitte! — Aber
ihr Leutchen, was ſeid ihr für ein Volk! Wie ſoll
ſich denn Unſereins hier durchfinden, wenn Jeder
rundum Recht hat von ſeinem Standpunkt aus? Beſte
Agathe, was hätte ich wohl und der arme Velten
dieſe letzten, langen, traurigen Jahre ohne den ver¬
ſtändigen treuen Freund unſerer Familie, ohne unſern
Familienfreund anfangen ſollen? Und wie undank¬
bar ſind wir oft geweſen! Wie oft haben wir es
beſſer verſtehen wollen als er! Ja, Nachbar Krum¬
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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/72>, abgerufen am 28.11.2024.
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