Niedergleiten mit so wunderlichen Gedankenspielen begleiteten.
Aktenmäßig kann ich es leider bezeugen, daß er, Velten Andres, wirklich beim Maturitätsexamen durchfiel und dem Vogelsang wieder mal eine der Enttäuschungen und Genugthuungen bereitete, die er dem guten Ort, so lange er sich dort aufhielt, immer von Neuem schuldig zu sein glaubte.
"Man kann seiner armen Mutter nicht einmal rathen, ihn gleich ganz hier zu behalten und einen Schuster aus ihm zu machen," sagte mein Vater, mein "Zeugniß der Reife" in der Hand. "Unter den Komödianten wäre er vielleicht noch am besten aufgehoben, der Windsack! Da hast Du es, mein Sohn, wie es kommen mußte. Nun geh' hin und höre Dir an, wie nebenan die Klagelieder Jeremiä lauten. O, ich hatte dort Vormund und nicht bloß Familienfreund sein müssen!"
"Dann hättest Du doch wohl nur noch mehr Ärger davon gehabt, bester Krumhardt," sagte meine Mutter, mit wohlberechtigter Genugthuung über unsern eigenen Familienstolz mich in den Armen haltend. Für mich selbst lag an diesem Tage die Sache so, daß ich mich des glücklichen Anlangens an diesem Ziel natürlich sehr freute, jedoch des Behagens darob durchaus nicht vollkommen froh
W. Raabe. Die Akten des Vogelsangs. 6
Niedergleiten mit ſo wunderlichen Gedankenſpielen begleiteten.
Aktenmäßig kann ich es leider bezeugen, daß er, Velten Andres, wirklich beim Maturitätsexamen durchfiel und dem Vogelſang wieder mal eine der Enttäuſchungen und Genugthuungen bereitete, die er dem guten Ort, ſo lange er ſich dort aufhielt, immer von Neuem ſchuldig zu ſein glaubte.
„Man kann ſeiner armen Mutter nicht einmal rathen, ihn gleich ganz hier zu behalten und einen Schuſter aus ihm zu machen,“ ſagte mein Vater, mein „Zeugniß der Reife“ in der Hand. „Unter den Komödianten wäre er vielleicht noch am beſten aufgehoben, der Windſack! Da haſt Du es, mein Sohn, wie es kommen mußte. Nun geh' hin und höre Dir an, wie nebenan die Klagelieder Jeremiä lauten. O, ich hatte dort Vormund und nicht bloß Familienfreund ſein müſſen!“
„Dann hätteſt Du doch wohl nur noch mehr Ärger davon gehabt, beſter Krumhardt,“ ſagte meine Mutter, mit wohlberechtigter Genugthuung über unſern eigenen Familienſtolz mich in den Armen haltend. Für mich ſelbſt lag an dieſem Tage die Sache ſo, daß ich mich des glücklichen Anlangens an dieſem Ziel natürlich ſehr freute, jedoch des Behagens darob durchaus nicht vollkommen froh
W. Raabe. Die Akten des Vogelſangs. 6
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0091"n="81"/>
Niedergleiten mit ſo wunderlichen Gedankenſpielen<lb/>
begleiteten.</p><lb/><p>Aktenmäßig kann ich es leider bezeugen, daß<lb/>
er, Velten Andres, wirklich beim Maturitätsexamen<lb/>
durchfiel und dem Vogelſang wieder mal eine der<lb/>
Enttäuſchungen und Genugthuungen bereitete, die er<lb/>
dem guten Ort, ſo lange er ſich dort aufhielt, immer<lb/>
von Neuem ſchuldig zu ſein glaubte.</p><lb/><p>„Man kann ſeiner armen Mutter nicht einmal<lb/>
rathen, ihn gleich ganz hier zu behalten und einen<lb/>
Schuſter aus ihm zu machen,“ſagte mein Vater,<lb/>
mein „Zeugniß der Reife“ in der Hand. „Unter<lb/>
den Komödianten wäre er vielleicht noch am beſten<lb/>
aufgehoben, der Windſack! Da haſt Du es, mein<lb/>
Sohn, wie es kommen mußte. Nun geh' hin und<lb/>
höre Dir an, wie nebenan die Klagelieder Jeremiä<lb/>
lauten. O, ich hatte dort Vormund und nicht bloß<lb/>
Familienfreund ſein müſſen!“</p><lb/><p>„Dann hätteſt Du doch wohl nur noch mehr<lb/>
Ärger davon gehabt, beſter Krumhardt,“ſagte meine<lb/>
Mutter, mit wohlberechtigter Genugthuung über<lb/>
unſern eigenen Familienſtolz mich in den Armen<lb/>
haltend. Für mich ſelbſt lag an dieſem Tage die<lb/>
Sache ſo, daß ich mich des glücklichen Anlangens<lb/>
an dieſem Ziel natürlich ſehr freute, jedoch des<lb/>
Behagens darob durchaus nicht vollkommen froh<lb/><fwplace="bottom"type="sig">W. Raabe. Die Akten des Vogelſangs. 6<lb/></fw></p></body></text></TEI>
[81/0091]
Niedergleiten mit ſo wunderlichen Gedankenſpielen
begleiteten.
Aktenmäßig kann ich es leider bezeugen, daß
er, Velten Andres, wirklich beim Maturitätsexamen
durchfiel und dem Vogelſang wieder mal eine der
Enttäuſchungen und Genugthuungen bereitete, die er
dem guten Ort, ſo lange er ſich dort aufhielt, immer
von Neuem ſchuldig zu ſein glaubte.
„Man kann ſeiner armen Mutter nicht einmal
rathen, ihn gleich ganz hier zu behalten und einen
Schuſter aus ihm zu machen,“ ſagte mein Vater,
mein „Zeugniß der Reife“ in der Hand. „Unter
den Komödianten wäre er vielleicht noch am beſten
aufgehoben, der Windſack! Da haſt Du es, mein
Sohn, wie es kommen mußte. Nun geh' hin und
höre Dir an, wie nebenan die Klagelieder Jeremiä
lauten. O, ich hatte dort Vormund und nicht bloß
Familienfreund ſein müſſen!“
„Dann hätteſt Du doch wohl nur noch mehr
Ärger davon gehabt, beſter Krumhardt,“ ſagte meine
Mutter, mit wohlberechtigter Genugthuung über
unſern eigenen Familienſtolz mich in den Armen
haltend. Für mich ſelbſt lag an dieſem Tage die
Sache ſo, daß ich mich des glücklichen Anlangens
an dieſem Ziel natürlich ſehr freute, jedoch des
Behagens darob durchaus nicht vollkommen froh
W. Raabe. Die Akten des Vogelſangs. 6
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/91>, abgerufen am 30.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.