"Nach mir?" rief der gute alte Herr, die magern Hände zusammenschlagend. "O Theodorice, Theodorice, Er wird wohl noch auf Seinem Sterbebette Seinen Jokus treiben wollen! Ist denn dies eine Zeit zum Scherzen? So nehme Er jetzo doch für eine Viertel¬ stunde Vernunft an und rede Er verständig, Monsieur. Er siehet doch meinen Kummer um Ihn, und -- wir sind hier nicht mehr auf der großen Schule zu Kloster Amelungsborn -- sondern nur in der Kammer des alten, verbrauchten unnützen Buchius, und -- morgen früh ruft weder Ihn noch mich die Glocke zu den Lectionen, und Er hat an mir keine Materia mehr, sich zu präpariren zu einem neuen Spaß, mit dem er die Herren Commilitonen über den närrischen Magister Buchius zum Lachen bringen möchte!"
Dies kam nun in einer Weise zum Vorschein, die den jungen Menschen vollständig duckte. Es war keine Dumme-Jungen-Komödie in dem Ausdruck der Be¬ troffenheit, der Reue, mit dem er sich auf die Hände des alten, vor Erregung zitternden Schulmeisters nieder¬ beugte, sie ergriff und zwischen Verlegenheit und -- ja auch zwischen Thränen stotterte:
"Der Herr Magister haben Recht, Sie haben Recht! Wir haben es alle, Convent und Cötus, nicht um den Herrn Magister verdient, daß Sie einen einzigen freund¬ lichen Gedanken für uns haben. Da; gleich und wie ein Lamm gutwillig, lege ich mich da vor dem Herrn über den Stuhl -- holen der Herr Magister Buchius Ihr
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„Nach mir?“ rief der gute alte Herr, die magern Hände zuſammenſchlagend. „O Theodorice, Theodorice, Er wird wohl noch auf Seinem Sterbebette Seinen Jokus treiben wollen! Iſt denn dies eine Zeit zum Scherzen? So nehme Er jetzo doch für eine Viertel¬ ſtunde Vernunft an und rede Er verſtändig, Monſieur. Er ſiehet doch meinen Kummer um Ihn, und — wir ſind hier nicht mehr auf der großen Schule zu Kloſter Amelungsborn — ſondern nur in der Kammer des alten, verbrauchten unnützen Buchius, und — morgen früh ruft weder Ihn noch mich die Glocke zu den Lectionen, und Er hat an mir keine Materia mehr, ſich zu präpariren zu einem neuen Spaß, mit dem er die Herren Commilitonen über den närriſchen Magiſter Buchius zum Lachen bringen möchte!“
Dies kam nun in einer Weiſe zum Vorſchein, die den jungen Menſchen vollſtändig duckte. Es war keine Dumme-Jungen-Komödie in dem Ausdruck der Be¬ troffenheit, der Reue, mit dem er ſich auf die Hände des alten, vor Erregung zitternden Schulmeiſters nieder¬ beugte, ſie ergriff und zwiſchen Verlegenheit und — ja auch zwiſchen Thränen ſtotterte:
„Der Herr Magiſter haben Recht, Sie haben Recht! Wir haben es alle, Convent und Cötus, nicht um den Herrn Magiſter verdient, daß Sie einen einzigen freund¬ lichen Gedanken für uns haben. Da; gleich und wie ein Lamm gutwillig, lege ich mich da vor dem Herrn über den Stuhl — holen der Herr Magiſter Buchius Ihr
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„Nach mir?“ rief der gute alte Herr, die magern
Hände zuſammenſchlagend. „O Theodorice, Theodorice,
Er wird wohl noch auf Seinem Sterbebette Seinen
Jokus treiben wollen! Iſt denn dies eine Zeit zum
Scherzen? So nehme Er jetzo doch für eine Viertel¬
ſtunde Vernunft an und rede Er verſtändig, Monſieur.
Er ſiehet doch meinen Kummer um Ihn, und — wir
ſind hier nicht mehr auf der großen Schule zu Kloſter
Amelungsborn — ſondern nur in der Kammer des
alten, verbrauchten unnützen Buchius, und — morgen
früh ruft weder Ihn noch mich die Glocke zu den
Lectionen, und Er hat an mir keine Materia mehr, ſich
zu präpariren zu einem neuen Spaß, mit dem er die
Herren Commilitonen über den närriſchen Magiſter
Buchius zum Lachen bringen möchte!“
Dies kam nun in einer Weiſe zum Vorſchein, die
den jungen Menſchen vollſtändig duckte. Es war keine
Dumme-Jungen-Komödie in dem Ausdruck der Be¬
troffenheit, der Reue, mit dem er ſich auf die Hände
des alten, vor Erregung zitternden Schulmeiſters nieder¬
beugte, ſie ergriff und zwiſchen Verlegenheit und — ja
auch zwiſchen Thränen ſtotterte:
„Der Herr Magiſter haben Recht, Sie haben Recht!
Wir haben es alle, Convent und Cötus, nicht um den
Herrn Magiſter verdient, daß Sie einen einzigen freund¬
lichen Gedanken für uns haben. Da; gleich und wie
ein Lamm gutwillig, lege ich mich da vor dem Herrn über
den Stuhl — holen der Herr Magiſter Buchius Ihr
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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/107>, abgerufen am 21.11.2024.
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