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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

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bloß unter den heute gefallenen Kämpfern von Deutsch¬
land, England und Frankreich standen.

"Praesagium -- prodigium -- portentum," mur¬
melte der Magister, und nun dachte er zum erstenmal
seit dem Morgen auch wieder an den Gast, den er in
seiner Verwirrung bei Tagesanbruch in seiner Zelle ein¬
geschlossen zurückgelassen hatte.

Und, wieder wunderlicherweise, kam ihm jetzo zum
erstenmal in ihrer ganzen Grimmigkeit die Vorstellung
vor die Seele, zu welchem Greuel der Verwüstung er
auch innerhalb seiner armen vier Wände nach Kloster
Amelungsborn heimkehren werde.

Es bedurfte aller Schrecken, die der Tag geboten
hatte, um ihn umzurufen auf dem Wege in die Des¬
peration, und ihm wenigstens ein Stück seiner aus
Christen- und Heidenthum gezogenen Philosophia, seines
pädagogischen Stoizismus, dem persönlichen Elend gegen¬
über zurückzugeben. Ja, er faßte sich auch jetzt. Es
gelang ihm, mit dem Handbuch der stoischen Moral des
Epiktetos, mit dem Lucius Annäus Seneca und mit
den Büchern des alten und des neuen Testaments den
todten Raben aus der Rabenschlacht der Mamsell Fege¬
banck, dem zitternden Wieschen und dem kopfschüttelnden
Heinrich Schelze aus dem Wege zu schieben:

"Unser Herrgott treibet nimmer Narrenspossen. Wir
wollen auch über diese seine Zeichen wieder ruhig nach
Hause gehen. Und wir wollen uns mehr denn je vor¬
halten, daß wir uns immerdar in seinen heiligen Willen

bloß unter den heute gefallenen Kämpfern von Deutſch¬
land, England und Frankreich ſtanden.

Praesagiumprodigiumportentum,“ mur¬
melte der Magiſter, und nun dachte er zum erſtenmal
ſeit dem Morgen auch wieder an den Gaſt, den er in
ſeiner Verwirrung bei Tagesanbruch in ſeiner Zelle ein¬
geſchloſſen zurückgelaſſen hatte.

Und, wieder wunderlicherweiſe, kam ihm jetzo zum
erſtenmal in ihrer ganzen Grimmigkeit die Vorſtellung
vor die Seele, zu welchem Greuel der Verwüſtung er
auch innerhalb ſeiner armen vier Wände nach Kloſter
Amelungsborn heimkehren werde.

Es bedurfte aller Schrecken, die der Tag geboten
hatte, um ihn umzurufen auf dem Wege in die Des¬
peration, und ihm wenigſtens ein Stück ſeiner aus
Chriſten- und Heidenthum gezogenen Philoſophia, ſeines
pädagogiſchen Stoizismus, dem perſönlichen Elend gegen¬
über zurückzugeben. Ja, er faßte ſich auch jetzt. Es
gelang ihm, mit dem Handbuch der ſtoiſchen Moral des
Epiktetos, mit dem Lucius Annäus Seneca und mit
den Büchern des alten und des neuen Teſtaments den
todten Raben aus der Rabenſchlacht der Mamſell Fege¬
banck, dem zitternden Wieſchen und dem kopfſchüttelnden
Heinrich Schelze aus dem Wege zu ſchieben:

„Unſer Herrgott treibet nimmer Narrenſpoſſen. Wir
wollen auch über dieſe ſeine Zeichen wieder ruhig nach
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[274/0282] bloß unter den heute gefallenen Kämpfern von Deutſch¬ land, England und Frankreich ſtanden. „Praesagium — prodigium — portentum,“ mur¬ melte der Magiſter, und nun dachte er zum erſtenmal ſeit dem Morgen auch wieder an den Gaſt, den er in ſeiner Verwirrung bei Tagesanbruch in ſeiner Zelle ein¬ geſchloſſen zurückgelaſſen hatte. Und, wieder wunderlicherweiſe, kam ihm jetzo zum erſtenmal in ihrer ganzen Grimmigkeit die Vorſtellung vor die Seele, zu welchem Greuel der Verwüſtung er auch innerhalb ſeiner armen vier Wände nach Kloſter Amelungsborn heimkehren werde. Es bedurfte aller Schrecken, die der Tag geboten hatte, um ihn umzurufen auf dem Wege in die Des¬ peration, und ihm wenigſtens ein Stück ſeiner aus Chriſten- und Heidenthum gezogenen Philoſophia, ſeines pädagogiſchen Stoizismus, dem perſönlichen Elend gegen¬ über zurückzugeben. Ja, er faßte ſich auch jetzt. Es gelang ihm, mit dem Handbuch der ſtoiſchen Moral des Epiktetos, mit dem Lucius Annäus Seneca und mit den Büchern des alten und des neuen Teſtaments den todten Raben aus der Rabenſchlacht der Mamſell Fege¬ banck, dem zitternden Wieſchen und dem kopfſchüttelnden Heinrich Schelze aus dem Wege zu ſchieben: „Unſer Herrgott treibet nimmer Narrenſpoſſen. Wir wollen auch über dieſe ſeine Zeichen wieder ruhig nach Hauſe gehen. Und wir wollen uns mehr denn je vor¬ halten, daß wir uns immerdar in ſeinen heiligen Willen

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/282>, abgerufen am 24.11.2024.