Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

wie dem einheimischen Kriegsvolk die Suppen zu kochen
und die verklommenen Gliedmaßen zu wärmen. Was
von dem Durchmarsch in den früheren Schulstuben von
Kloster Amelungsborn zurückgeblieben war, das war eitel
scheußlicher Unrath, teuflischer Hohn, Stanck und Muth¬
willen -- ein Spott auf alle klösterliche und pädago¬
gische Zucht und Reinlichkeit. Magister Buchius wendete
schaudernd den Blick nach Oben und hielt trotz allem,
was er schon in seinem Leben und vor allem am heu¬
tigen Tage hatte riechen müssen, die Nase zu.

Er wäre fast umgekehrt am Fuße der letzten leiter¬
artigen Stiege, die zu seinem Winkel unter dem Dache
führte; aber sein tapfer Herz litt es denn doch nicht,
daß der schwache Leib nachgab.

"Er liegt draußen im Sumpf und Morast, der letzte
Schüler der großen Schule zu Amelungsborn. Er der
Decurio, der Erste unter Zehnen -- was sage ich: Er,
Primus e viginti -- Er der Centurio, der Oberste
unter Hunderten -- der schlimmste und der beste von
Allen. Schäme Er sich, alter überflüssiger ludimagister,
alter ungebraucht verbrauchter Schulmeister, daß Er heute,
heute -- heute noch ein Grauen und einen Ekel verspüren
kann und sich mit Kummer um Seine Impedimenta,
Sein armselig Lebensgepäck, Seine thörichten Sieben¬
sachen das Herz beschweren will! Buchius, jetzo ist
Seine Zeit. Nun gedenke Er der Stoa, nun zeige Er,
daß ihm der Titan, der hohe Prometheus aus dem bessern
Leimen das Herz knetete, zeige Er sich erlauchter Ahnen

19*

wie dem einheimiſchen Kriegsvolk die Suppen zu kochen
und die verklommenen Gliedmaßen zu wärmen. Was
von dem Durchmarſch in den früheren Schulſtuben von
Kloſter Amelungsborn zurückgeblieben war, das war eitel
ſcheußlicher Unrath, teufliſcher Hohn, Stanck und Muth¬
willen — ein Spott auf alle klöſterliche und pädago¬
giſche Zucht und Reinlichkeit. Magiſter Buchius wendete
ſchaudernd den Blick nach Oben und hielt trotz allem,
was er ſchon in ſeinem Leben und vor allem am heu¬
tigen Tage hatte riechen müſſen, die Naſe zu.

Er wäre faſt umgekehrt am Fuße der letzten leiter¬
artigen Stiege, die zu ſeinem Winkel unter dem Dache
führte; aber ſein tapfer Herz litt es denn doch nicht,
daß der ſchwache Leib nachgab.

„Er liegt draußen im Sumpf und Moraſt, der letzte
Schüler der großen Schule zu Amelungsborn. Er der
Decurio, der Erſte unter Zehnen — was ſage ich: Er,
Primus e viginti — Er der Centurio, der Oberſte
unter Hunderten — der ſchlimmſte und der beſte von
Allen. Schäme Er ſich, alter überflüſſiger ludimagister,
alter ungebraucht verbrauchter Schulmeiſter, daß Er heute,
heute — heute noch ein Grauen und einen Ekel verſpüren
kann und ſich mit Kummer um Seine Impedimenta,
Sein armſelig Lebensgepäck, Seine thörichten Sieben¬
ſachen das Herz beſchweren will! Buchius, jetzo iſt
Seine Zeit. Nun gedenke Er der Stoa, nun zeige Er,
daß ihm der Titan, der hohe Prometheus aus dem beſſern
Leimen das Herz knetete, zeige Er ſich erlauchter Ahnen

19*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0299" n="291"/>
wie dem einheimi&#x017F;chen Kriegsvolk die Suppen zu kochen<lb/>
und die verklommenen Gliedmaßen zu wärmen. Was<lb/>
von dem Durchmar&#x017F;ch in den früheren Schul&#x017F;tuben von<lb/>
Klo&#x017F;ter Amelungsborn zurückgeblieben war, das war eitel<lb/>
&#x017F;cheußlicher Unrath, teufli&#x017F;cher Hohn, Stanck und Muth¬<lb/>
willen &#x2014; ein Spott auf alle klö&#x017F;terliche und pädago¬<lb/>
gi&#x017F;che Zucht und Reinlichkeit. Magi&#x017F;ter Buchius wendete<lb/>
&#x017F;chaudernd den Blick nach Oben und hielt trotz allem,<lb/>
was er &#x017F;chon in &#x017F;einem Leben und vor allem am heu¬<lb/>
tigen Tage hatte riechen mü&#x017F;&#x017F;en, die Na&#x017F;e zu.</p><lb/>
        <p>Er wäre fa&#x017F;t umgekehrt am Fuße der letzten leiter¬<lb/>
artigen Stiege, die zu &#x017F;einem Winkel unter dem Dache<lb/>
führte; aber &#x017F;ein tapfer Herz litt es denn doch nicht,<lb/>
daß der &#x017F;chwache Leib nachgab.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er liegt draußen im Sumpf und Mora&#x017F;t, der letzte<lb/>
Schüler der großen Schule zu Amelungsborn. Er der<lb/><hi rendition="#aq">Decurio</hi>, der Er&#x017F;te unter Zehnen &#x2014; was &#x017F;age ich: Er,<lb/><hi rendition="#aq">Primus e viginti</hi> &#x2014; Er der <hi rendition="#aq">Centurio</hi>, der Ober&#x017F;te<lb/>
unter Hunderten &#x2014; der &#x017F;chlimm&#x017F;te und der be&#x017F;te von<lb/>
Allen. Schäme Er &#x017F;ich, alter überflü&#x017F;&#x017F;iger <hi rendition="#aq">ludimagister</hi>,<lb/>
alter ungebraucht verbrauchter Schulmei&#x017F;ter, daß Er heute,<lb/>
heute &#x2014; heute noch ein Grauen und einen Ekel ver&#x017F;püren<lb/>
kann und &#x017F;ich mit Kummer um Seine Impedimenta,<lb/>
Sein arm&#x017F;elig Lebensgepäck, Seine thörichten Sieben¬<lb/>
&#x017F;achen das Herz be&#x017F;chweren will! Buchius, jetzo i&#x017F;t<lb/>
Seine Zeit. Nun gedenke Er der Stoa, nun zeige Er,<lb/>
daß ihm der Titan, der hohe Prometheus aus dem be&#x017F;&#x017F;ern<lb/>
Leimen das Herz knetete, zeige Er &#x017F;ich erlauchter Ahnen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">19*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[291/0299] wie dem einheimiſchen Kriegsvolk die Suppen zu kochen und die verklommenen Gliedmaßen zu wärmen. Was von dem Durchmarſch in den früheren Schulſtuben von Kloſter Amelungsborn zurückgeblieben war, das war eitel ſcheußlicher Unrath, teufliſcher Hohn, Stanck und Muth¬ willen — ein Spott auf alle klöſterliche und pädago¬ giſche Zucht und Reinlichkeit. Magiſter Buchius wendete ſchaudernd den Blick nach Oben und hielt trotz allem, was er ſchon in ſeinem Leben und vor allem am heu¬ tigen Tage hatte riechen müſſen, die Naſe zu. Er wäre faſt umgekehrt am Fuße der letzten leiter¬ artigen Stiege, die zu ſeinem Winkel unter dem Dache führte; aber ſein tapfer Herz litt es denn doch nicht, daß der ſchwache Leib nachgab. „Er liegt draußen im Sumpf und Moraſt, der letzte Schüler der großen Schule zu Amelungsborn. Er der Decurio, der Erſte unter Zehnen — was ſage ich: Er, Primus e viginti — Er der Centurio, der Oberſte unter Hunderten — der ſchlimmſte und der beſte von Allen. Schäme Er ſich, alter überflüſſiger ludimagister, alter ungebraucht verbrauchter Schulmeiſter, daß Er heute, heute — heute noch ein Grauen und einen Ekel verſpüren kann und ſich mit Kummer um Seine Impedimenta, Sein armſelig Lebensgepäck, Seine thörichten Sieben¬ ſachen das Herz beſchweren will! Buchius, jetzo iſt Seine Zeit. Nun gedenke Er der Stoa, nun zeige Er, daß ihm der Titan, der hohe Prometheus aus dem beſſern Leimen das Herz knetete, zeige Er ſich erlauchter Ahnen 19*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/299
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/299>, abgerufen am 22.11.2024.