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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

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Er saß, an allen Gliedern zitternd, nieder auf dem
Stuhl neben dem Tische, auf dem gestern Abend Knecht
Heinrich mit seiner Kreide den Lauf der Weser und die
Stellung der kriegführenden Partheien hingemalt hatte.
Er saß hin in seinem nur durch ein Wunder unan¬
getastet verbliebenen Altentheil:

"Ist es denn die Möglichkeit? Rundum auf Meilen
und Meilen Weges Alles ruinirt und mir -- mir --
o mir allein solche Gnade und Barmherzigkeit! Herr,
womit habe ich armer unnützer Sünder diese Ausneh¬
mung und Verschonung verdient?"

Er erhob sich wieder vom Stuhl, stand inmitten
seines Gemachs und schlug die Hände zusammen wie
ein sich verwunderndes Kind. Doch nun traf im
letzten Tageslicht sein Auge auf Zeichen, daß doch
Jemand, trotz verschlossen gebliebener Thür, im Museo
anwesend gewesen sei und nicht ganz so bescheiden und
zierlich gehauset habe, wie es sich für einen höflichen
und frommen Gast gezieme. Es lag der Suppennapf
aus der Küche der Frau Klosteramtmännin in Scherben
am Boden, ebenso der Teller, auf dem der letzte Häring
aus der Speisekammer von Amelungsborn gelegen hatte.
Ein Buch lag in Fetzen zerrissen unter dem Tische und
einzelne Blätter daraus waren durch die ganze Zelle
verstreuet.

Magister Buchius bückte sich natürlich zuerst nach
dem Buche; und mit jeder Einzelnheit stand ihm
nunmehr der vergangene Abend, der Abend des

Er ſaß, an allen Gliedern zitternd, nieder auf dem
Stuhl neben dem Tiſche, auf dem geſtern Abend Knecht
Heinrich mit ſeiner Kreide den Lauf der Weſer und die
Stellung der kriegführenden Partheien hingemalt hatte.
Er ſaß hin in ſeinem nur durch ein Wunder unan¬
getaſtet verbliebenen Altentheil:

„Iſt es denn die Möglichkeit? Rundum auf Meilen
und Meilen Weges Alles ruinirt und mir — mir —
o mir allein ſolche Gnade und Barmherzigkeit! Herr,
womit habe ich armer unnützer Sünder dieſe Ausneh¬
mung und Verſchonung verdient?“

Er erhob ſich wieder vom Stuhl, ſtand inmitten
ſeines Gemachs und ſchlug die Hände zuſammen wie
ein ſich verwunderndes Kind. Doch nun traf im
letzten Tageslicht ſein Auge auf Zeichen, daß doch
Jemand, trotz verſchloſſen gebliebener Thür, im Muſeo
anweſend geweſen ſei und nicht ganz ſo beſcheiden und
zierlich gehauſet habe, wie es ſich für einen höflichen
und frommen Gaſt gezieme. Es lag der Suppennapf
aus der Küche der Frau Kloſteramtmännin in Scherben
am Boden, ebenſo der Teller, auf dem der letzte Häring
aus der Speiſekammer von Amelungsborn gelegen hatte.
Ein Buch lag in Fetzen zerriſſen unter dem Tiſche und
einzelne Blätter daraus waren durch die ganze Zelle
verſtreuet.

Magiſter Buchius bückte ſich natürlich zuerſt nach
dem Buche; und mit jeder Einzelnheit ſtand ihm
nunmehr der vergangene Abend, der Abend des

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[294/0302] Er ſaß, an allen Gliedern zitternd, nieder auf dem Stuhl neben dem Tiſche, auf dem geſtern Abend Knecht Heinrich mit ſeiner Kreide den Lauf der Weſer und die Stellung der kriegführenden Partheien hingemalt hatte. Er ſaß hin in ſeinem nur durch ein Wunder unan¬ getaſtet verbliebenen Altentheil: „Iſt es denn die Möglichkeit? Rundum auf Meilen und Meilen Weges Alles ruinirt und mir — mir — o mir allein ſolche Gnade und Barmherzigkeit! Herr, womit habe ich armer unnützer Sünder dieſe Ausneh¬ mung und Verſchonung verdient?“ Er erhob ſich wieder vom Stuhl, ſtand inmitten ſeines Gemachs und ſchlug die Hände zuſammen wie ein ſich verwunderndes Kind. Doch nun traf im letzten Tageslicht ſein Auge auf Zeichen, daß doch Jemand, trotz verſchloſſen gebliebener Thür, im Muſeo anweſend geweſen ſei und nicht ganz ſo beſcheiden und zierlich gehauſet habe, wie es ſich für einen höflichen und frommen Gaſt gezieme. Es lag der Suppennapf aus der Küche der Frau Kloſteramtmännin in Scherben am Boden, ebenſo der Teller, auf dem der letzte Häring aus der Speiſekammer von Amelungsborn gelegen hatte. Ein Buch lag in Fetzen zerriſſen unter dem Tiſche und einzelne Blätter daraus waren durch die ganze Zelle verſtreuet. Magiſter Buchius bückte ſich natürlich zuerſt nach dem Buche; und mit jeder Einzelnheit ſtand ihm nunmehr der vergangene Abend, der Abend des

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/302>, abgerufen am 21.11.2024.