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Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Person in dem winzigen Gemeinwesen. Er war ein Freimann, an Person, Haus und Hof sacrosanctus. In der Kirche hatte er seinen Platz dicht neben dem hochehrbaren Rath, wenn auch in einem eigenen und etwas niedrigeren Stuhl. Mancherlei nützliche und angenehme Accidenzien waren mit seinem Amte verbunden. Bei jeder Hochzeit einer Jungfer erhielt der Nachrichter eine Maß Wein und ein Viertel Brod. Fiel ein Pferd unter dem Reiter, so ward es Eigenthum des Meisters vom Schwert mit Sattel und Zaum. Wurde ein gefallenes Viehstück aus Eigennutz und Geiz dem Scharfrichter entzogen, und es erfuhr es der Letztere, so erschien er vor der Thür des Hehlers und stieß sein Messer in den Pfosten, zum Zeichen, daß der Bewohner des Hauses in des Henkers Recht eingegriffen und es nunmehr mit dem Henker zu thun habe. Nicht eher wurde von dem Rothmantel das Messer herausgezogen, bis Abbitte geleistet und eine Vergütung vereinbart war, und ein übler Ding gab es in der guten, ehrbaren Stadt nicht.

Noch ein anderes wichtiges Recht stand dem Scharfrichter zu; davon wird leider später bei trauriger Gelegenheit die Rede sein müssen.

Sehr romantisch lag, wie schon erzählt wurde, die ganze Reichsstadt zwischen ihren Weinbergen und Waldbergen; aber am allerromantischsten war doch die Scharfrichterei gelegen; nur der Lug ins Land mochte ihr in dieser Hinsicht den Rang streitig machen. Natürlich befand sich des Henkers Heimwesen nicht zwischen der Ehr-

Person in dem winzigen Gemeinwesen. Er war ein Freimann, an Person, Haus und Hof sacrosanctus. In der Kirche hatte er seinen Platz dicht neben dem hochehrbaren Rath, wenn auch in einem eigenen und etwas niedrigeren Stuhl. Mancherlei nützliche und angenehme Accidenzien waren mit seinem Amte verbunden. Bei jeder Hochzeit einer Jungfer erhielt der Nachrichter eine Maß Wein und ein Viertel Brod. Fiel ein Pferd unter dem Reiter, so ward es Eigenthum des Meisters vom Schwert mit Sattel und Zaum. Wurde ein gefallenes Viehstück aus Eigennutz und Geiz dem Scharfrichter entzogen, und es erfuhr es der Letztere, so erschien er vor der Thür des Hehlers und stieß sein Messer in den Pfosten, zum Zeichen, daß der Bewohner des Hauses in des Henkers Recht eingegriffen und es nunmehr mit dem Henker zu thun habe. Nicht eher wurde von dem Rothmantel das Messer herausgezogen, bis Abbitte geleistet und eine Vergütung vereinbart war, und ein übler Ding gab es in der guten, ehrbaren Stadt nicht.

Noch ein anderes wichtiges Recht stand dem Scharfrichter zu; davon wird leider später bei trauriger Gelegenheit die Rede sein müssen.

Sehr romantisch lag, wie schon erzählt wurde, die ganze Reichsstadt zwischen ihren Weinbergen und Waldbergen; aber am allerromantischsten war doch die Scharfrichterei gelegen; nur der Lug ins Land mochte ihr in dieser Hinsicht den Rang streitig machen. Natürlich befand sich des Henkers Heimwesen nicht zwischen der Ehr-

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[0015] Person in dem winzigen Gemeinwesen. Er war ein Freimann, an Person, Haus und Hof sacrosanctus. In der Kirche hatte er seinen Platz dicht neben dem hochehrbaren Rath, wenn auch in einem eigenen und etwas niedrigeren Stuhl. Mancherlei nützliche und angenehme Accidenzien waren mit seinem Amte verbunden. Bei jeder Hochzeit einer Jungfer erhielt der Nachrichter eine Maß Wein und ein Viertel Brod. Fiel ein Pferd unter dem Reiter, so ward es Eigenthum des Meisters vom Schwert mit Sattel und Zaum. Wurde ein gefallenes Viehstück aus Eigennutz und Geiz dem Scharfrichter entzogen, und es erfuhr es der Letztere, so erschien er vor der Thür des Hehlers und stieß sein Messer in den Pfosten, zum Zeichen, daß der Bewohner des Hauses in des Henkers Recht eingegriffen und es nunmehr mit dem Henker zu thun habe. Nicht eher wurde von dem Rothmantel das Messer herausgezogen, bis Abbitte geleistet und eine Vergütung vereinbart war, und ein übler Ding gab es in der guten, ehrbaren Stadt nicht. Noch ein anderes wichtiges Recht stand dem Scharfrichter zu; davon wird leider später bei trauriger Gelegenheit die Rede sein müssen. Sehr romantisch lag, wie schon erzählt wurde, die ganze Reichsstadt zwischen ihren Weinbergen und Waldbergen; aber am allerromantischsten war doch die Scharfrichterei gelegen; nur der Lug ins Land mochte ihr in dieser Hinsicht den Rang streitig machen. Natürlich befand sich des Henkers Heimwesen nicht zwischen der Ehr-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/15>, abgerufen am 28.04.2024.