Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Eindruck hervorgebracht. Wenig fehlte, daß der würdige Herr in seinem Jubel dem Fremden um den Hals gefallen wäre. Aus seinem Lehnsessel flog er in die Höhe und jauchzte: Der Himmel sei gepriesen! Endlich! Endlich! Victoria! Noch an dem nämlichen Abend wurde eine außerordentliche Rathssitzung abgehalten, und in derselben in der Hast der freudigen Aufregung und Erleichterung das Document unterzeichnet und untersiegelt, durch welches Wolf Scheffer zum wohlbestallten Scharfrichter kaiserlich freier Reichsstadt Rothenburg im Thal mit allen Rechten und Pflichten gemacht wurde. In der Freude ging man über den Umstand, daß der fremde Mann sich durch keinerlei Papiere über sein vergangenes Leben ausweisen konnte, leicht hinweg. Auf Treu' und Glauben nahm man seine Auskunft an: seine Schriften habe er in der Gegend von Wertingen an dem Zusamfluß durch einen Trupp marodirender Franzosen von Tallard's Heer verloren. Am folgenden Morgen bereits, so früh als möglich, baumelte der Gutschmecker und Antecessor. Er starb mit kauenden Backen und vollem Magen, und die feinfühlende Leserin hat durchaus nicht nöthig, ihn zu bedauern; er hatte redlich das Seinige genossen und sein Schicksal reichlich verdient. Wolf Scheffer bezog das Haus auf dem Herrenberge und schritt einher im rothen Mantel; eine wichtige Eindruck hervorgebracht. Wenig fehlte, daß der würdige Herr in seinem Jubel dem Fremden um den Hals gefallen wäre. Aus seinem Lehnsessel flog er in die Höhe und jauchzte: Der Himmel sei gepriesen! Endlich! Endlich! Victoria! Noch an dem nämlichen Abend wurde eine außerordentliche Rathssitzung abgehalten, und in derselben in der Hast der freudigen Aufregung und Erleichterung das Document unterzeichnet und untersiegelt, durch welches Wolf Scheffer zum wohlbestallten Scharfrichter kaiserlich freier Reichsstadt Rothenburg im Thal mit allen Rechten und Pflichten gemacht wurde. In der Freude ging man über den Umstand, daß der fremde Mann sich durch keinerlei Papiere über sein vergangenes Leben ausweisen konnte, leicht hinweg. Auf Treu' und Glauben nahm man seine Auskunft an: seine Schriften habe er in der Gegend von Wertingen an dem Zusamfluß durch einen Trupp marodirender Franzosen von Tallard's Heer verloren. Am folgenden Morgen bereits, so früh als möglich, baumelte der Gutschmecker und Antecessor. Er starb mit kauenden Backen und vollem Magen, und die feinfühlende Leserin hat durchaus nicht nöthig, ihn zu bedauern; er hatte redlich das Seinige genossen und sein Schicksal reichlich verdient. Wolf Scheffer bezog das Haus auf dem Herrenberge und schritt einher im rothen Mantel; eine wichtige <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0014"/> Eindruck hervorgebracht. Wenig fehlte, daß der würdige Herr in seinem Jubel dem Fremden um den Hals gefallen wäre. Aus seinem Lehnsessel flog er in die Höhe und jauchzte:</p><lb/> <p>Der Himmel sei gepriesen! Endlich! Endlich! Victoria!</p><lb/> <p>Noch an dem nämlichen Abend wurde eine außerordentliche Rathssitzung abgehalten, und in derselben in der Hast der freudigen Aufregung und Erleichterung das Document unterzeichnet und untersiegelt, durch welches Wolf Scheffer zum wohlbestallten Scharfrichter kaiserlich freier Reichsstadt Rothenburg im Thal mit allen Rechten und Pflichten gemacht wurde. In der Freude ging man über den Umstand, daß der fremde Mann sich durch keinerlei Papiere über sein vergangenes Leben ausweisen konnte, leicht hinweg. Auf Treu' und Glauben nahm man seine Auskunft an: seine Schriften habe er in der Gegend von Wertingen an dem Zusamfluß durch einen Trupp marodirender Franzosen von Tallard's Heer verloren.</p><lb/> <p>Am folgenden Morgen bereits, so früh als möglich, baumelte der Gutschmecker und Antecessor. Er starb mit kauenden Backen und vollem Magen, und die feinfühlende Leserin hat durchaus nicht nöthig, ihn zu bedauern; er hatte redlich das Seinige genossen und sein Schicksal reichlich verdient.</p><lb/> <p>Wolf Scheffer bezog das Haus auf dem Herrenberge und schritt einher im rothen Mantel; eine wichtige<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
Eindruck hervorgebracht. Wenig fehlte, daß der würdige Herr in seinem Jubel dem Fremden um den Hals gefallen wäre. Aus seinem Lehnsessel flog er in die Höhe und jauchzte:
Der Himmel sei gepriesen! Endlich! Endlich! Victoria!
Noch an dem nämlichen Abend wurde eine außerordentliche Rathssitzung abgehalten, und in derselben in der Hast der freudigen Aufregung und Erleichterung das Document unterzeichnet und untersiegelt, durch welches Wolf Scheffer zum wohlbestallten Scharfrichter kaiserlich freier Reichsstadt Rothenburg im Thal mit allen Rechten und Pflichten gemacht wurde. In der Freude ging man über den Umstand, daß der fremde Mann sich durch keinerlei Papiere über sein vergangenes Leben ausweisen konnte, leicht hinweg. Auf Treu' und Glauben nahm man seine Auskunft an: seine Schriften habe er in der Gegend von Wertingen an dem Zusamfluß durch einen Trupp marodirender Franzosen von Tallard's Heer verloren.
Am folgenden Morgen bereits, so früh als möglich, baumelte der Gutschmecker und Antecessor. Er starb mit kauenden Backen und vollem Magen, und die feinfühlende Leserin hat durchaus nicht nöthig, ihn zu bedauern; er hatte redlich das Seinige genossen und sein Schicksal reichlich verdient.
Wolf Scheffer bezog das Haus auf dem Herrenberge und schritt einher im rothen Mantel; eine wichtige
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