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Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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aus dem Trab, und der Stadtkämmerer hätte blutige Thränen weinen mögen.

So standen die Sachen, und im Geheimen war man bereits halb einig im Rath, dem Kerl im Thurm ein Loch zu öffnen und ihn entwischen zu lassen, um so endlich dem Elend und Aergerniß ein Ende zu machen. Da verlangte eines Abends, als der regierende Bürgermeister sich eben zu einem Nachtessen, welches lange nicht so gut war, als das des Gefangenen im Thurm, seufzend niederlassen wollte, ein Fremder, den ehrbaren Herrn zu sprechen, und ward vorgelassen. Er erschien als ein Mann von gar absonderlichem Ansehen; hager, sehnig, gelb, mit einem spanischen Bart und einem großen schwarzen Pflaster über dem linken Auge. Nicht sehr groß, war er doch mit ungemein langen Armen begabt, bewegte sich gar nicht unzierlich, verbeugte sich sehr höflich, rückte mit seinem Anliegen so strack hervor wie ein Reiterangriff und that an Seine Gnaden die Frage: hier in löblicher Stadt sei man ja wohl, dem Gerede nach, eines Scharfrichters bedürftig? -- Und ehe der Bürgermeister zur Antwort kam, fuhr der Fremdling fort:

Will ich mich in Bescheidenheit hiermit präsentiret haben zu diesem Amt und verhoff mit Rath und Bürgerschaft aufs Trefflichste auszukommen und Jedermann im Nothfall aufs Beste zu bedienen, kunstgerecht, wie man's von einem wackern gelernten Meister verlangt.

Wäre dem regierenden Bürgermeister von Rothenburg ein Engel erschienen, er hätte nicht einen größeren

aus dem Trab, und der Stadtkämmerer hätte blutige Thränen weinen mögen.

So standen die Sachen, und im Geheimen war man bereits halb einig im Rath, dem Kerl im Thurm ein Loch zu öffnen und ihn entwischen zu lassen, um so endlich dem Elend und Aergerniß ein Ende zu machen. Da verlangte eines Abends, als der regierende Bürgermeister sich eben zu einem Nachtessen, welches lange nicht so gut war, als das des Gefangenen im Thurm, seufzend niederlassen wollte, ein Fremder, den ehrbaren Herrn zu sprechen, und ward vorgelassen. Er erschien als ein Mann von gar absonderlichem Ansehen; hager, sehnig, gelb, mit einem spanischen Bart und einem großen schwarzen Pflaster über dem linken Auge. Nicht sehr groß, war er doch mit ungemein langen Armen begabt, bewegte sich gar nicht unzierlich, verbeugte sich sehr höflich, rückte mit seinem Anliegen so strack hervor wie ein Reiterangriff und that an Seine Gnaden die Frage: hier in löblicher Stadt sei man ja wohl, dem Gerede nach, eines Scharfrichters bedürftig? — Und ehe der Bürgermeister zur Antwort kam, fuhr der Fremdling fort:

Will ich mich in Bescheidenheit hiermit präsentiret haben zu diesem Amt und verhoff mit Rath und Bürgerschaft aufs Trefflichste auszukommen und Jedermann im Nothfall aufs Beste zu bedienen, kunstgerecht, wie man's von einem wackern gelernten Meister verlangt.

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[0013] aus dem Trab, und der Stadtkämmerer hätte blutige Thränen weinen mögen. So standen die Sachen, und im Geheimen war man bereits halb einig im Rath, dem Kerl im Thurm ein Loch zu öffnen und ihn entwischen zu lassen, um so endlich dem Elend und Aergerniß ein Ende zu machen. Da verlangte eines Abends, als der regierende Bürgermeister sich eben zu einem Nachtessen, welches lange nicht so gut war, als das des Gefangenen im Thurm, seufzend niederlassen wollte, ein Fremder, den ehrbaren Herrn zu sprechen, und ward vorgelassen. Er erschien als ein Mann von gar absonderlichem Ansehen; hager, sehnig, gelb, mit einem spanischen Bart und einem großen schwarzen Pflaster über dem linken Auge. Nicht sehr groß, war er doch mit ungemein langen Armen begabt, bewegte sich gar nicht unzierlich, verbeugte sich sehr höflich, rückte mit seinem Anliegen so strack hervor wie ein Reiterangriff und that an Seine Gnaden die Frage: hier in löblicher Stadt sei man ja wohl, dem Gerede nach, eines Scharfrichters bedürftig? — Und ehe der Bürgermeister zur Antwort kam, fuhr der Fremdling fort: Will ich mich in Bescheidenheit hiermit präsentiret haben zu diesem Amt und verhoff mit Rath und Bürgerschaft aufs Trefflichste auszukommen und Jedermann im Nothfall aufs Beste zu bedienen, kunstgerecht, wie man's von einem wackern gelernten Meister verlangt. Wäre dem regierenden Bürgermeister von Rothenburg ein Engel erschienen, er hätte nicht einen größeren

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/13>, abgerufen am 27.04.2024.