Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.seiner Wohnung und in seinem Amt eingerichtet. In der Dämmerung oder in dunkler Nacht erhielt er die gewöhnlichen Besuche von Leuten, die bei Krankheiten von Mensch und Vieh, Liebes- und anderen Sachen die Geheimmittel nöthig hatten, welche seit undenklichen Zeiten der Volksglaube in die Hand des Herrn vom Schwert gelegt. Der "neue Mann" erlangte bald die größte Kundschaft in dieser Hinsicht und wußte den geheimnißvollen Schrecken, der ihn umgab, viel besser zu benutzen, als sein seliger Vorgänger, welcher Alles in Allem genommen, doch ein Tölpel und Einfaltspinsel war, und welcher mit den Menschen anders als auf dem Schaffot durchaus nicht umzugehen wußte. Wolf Scheffer, den öffentlich natürlich Niemand kennen und grüßen wollte, hatte im Geheimen eine so große Bekanntschaft und ehrfurchtsvolle Freundschaft, wie kein Anderer im ganzen Gemeinwesen, der regierende Bürgermeister nicht ausgenommen. Er hielt aber auch die Augen offen bei Tag und Nacht, und was er vermochte, das zeigte sich an dem Tage recht, an welchem er in seinem rothen Mantel das blanke Schwert über der Schulter durch die Hauptstraße von Rothenburg schritt, um sein Messer in den Thürpfosten des Rathsbäckermeisters Gretzler, eines sehr wohlhabenden, feisten und angesehenen Mannes zu stoßen. Die Ehefrau des Unglücklichen, ein wahrer Geizdrache, hatte eine gefallene Ziege für den eigenen Hausstand zum Seifekochen benutzt, und der Mann vom Herren- seiner Wohnung und in seinem Amt eingerichtet. In der Dämmerung oder in dunkler Nacht erhielt er die gewöhnlichen Besuche von Leuten, die bei Krankheiten von Mensch und Vieh, Liebes- und anderen Sachen die Geheimmittel nöthig hatten, welche seit undenklichen Zeiten der Volksglaube in die Hand des Herrn vom Schwert gelegt. Der “neue Mann“ erlangte bald die größte Kundschaft in dieser Hinsicht und wußte den geheimnißvollen Schrecken, der ihn umgab, viel besser zu benutzen, als sein seliger Vorgänger, welcher Alles in Allem genommen, doch ein Tölpel und Einfaltspinsel war, und welcher mit den Menschen anders als auf dem Schaffot durchaus nicht umzugehen wußte. Wolf Scheffer, den öffentlich natürlich Niemand kennen und grüßen wollte, hatte im Geheimen eine so große Bekanntschaft und ehrfurchtsvolle Freundschaft, wie kein Anderer im ganzen Gemeinwesen, der regierende Bürgermeister nicht ausgenommen. Er hielt aber auch die Augen offen bei Tag und Nacht, und was er vermochte, das zeigte sich an dem Tage recht, an welchem er in seinem rothen Mantel das blanke Schwert über der Schulter durch die Hauptstraße von Rothenburg schritt, um sein Messer in den Thürpfosten des Rathsbäckermeisters Gretzler, eines sehr wohlhabenden, feisten und angesehenen Mannes zu stoßen. Die Ehefrau des Unglücklichen, ein wahrer Geizdrache, hatte eine gefallene Ziege für den eigenen Hausstand zum Seifekochen benutzt, und der Mann vom Herren- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0017"/> seiner Wohnung und in seinem Amt eingerichtet. In der Dämmerung oder in dunkler Nacht erhielt er die gewöhnlichen Besuche von Leuten, die bei Krankheiten von Mensch und Vieh, Liebes- und anderen Sachen die Geheimmittel nöthig hatten, welche seit undenklichen Zeiten der Volksglaube in die Hand des Herrn vom Schwert gelegt. Der “neue Mann“ erlangte bald die größte Kundschaft in dieser Hinsicht und wußte den geheimnißvollen Schrecken, der ihn umgab, viel besser zu benutzen, als sein seliger Vorgänger, welcher Alles in Allem genommen, doch ein Tölpel und Einfaltspinsel war, und welcher mit den Menschen anders als auf dem Schaffot durchaus nicht umzugehen wußte. Wolf Scheffer, den öffentlich natürlich Niemand kennen und grüßen wollte, hatte im Geheimen eine so große Bekanntschaft und ehrfurchtsvolle Freundschaft, wie kein Anderer im ganzen Gemeinwesen, der regierende Bürgermeister nicht ausgenommen.</p><lb/> <p>Er hielt aber auch die Augen offen bei Tag und Nacht, und was er vermochte, das zeigte sich an dem Tage recht, an welchem er in seinem rothen Mantel das blanke Schwert über der Schulter durch die Hauptstraße von Rothenburg schritt, um sein Messer in den Thürpfosten des Rathsbäckermeisters Gretzler, eines sehr wohlhabenden, feisten und angesehenen Mannes zu stoßen. Die Ehefrau des Unglücklichen, ein wahrer Geizdrache, hatte eine gefallene Ziege für den eigenen Hausstand zum Seifekochen benutzt, und der Mann vom Herren-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
seiner Wohnung und in seinem Amt eingerichtet. In der Dämmerung oder in dunkler Nacht erhielt er die gewöhnlichen Besuche von Leuten, die bei Krankheiten von Mensch und Vieh, Liebes- und anderen Sachen die Geheimmittel nöthig hatten, welche seit undenklichen Zeiten der Volksglaube in die Hand des Herrn vom Schwert gelegt. Der “neue Mann“ erlangte bald die größte Kundschaft in dieser Hinsicht und wußte den geheimnißvollen Schrecken, der ihn umgab, viel besser zu benutzen, als sein seliger Vorgänger, welcher Alles in Allem genommen, doch ein Tölpel und Einfaltspinsel war, und welcher mit den Menschen anders als auf dem Schaffot durchaus nicht umzugehen wußte. Wolf Scheffer, den öffentlich natürlich Niemand kennen und grüßen wollte, hatte im Geheimen eine so große Bekanntschaft und ehrfurchtsvolle Freundschaft, wie kein Anderer im ganzen Gemeinwesen, der regierende Bürgermeister nicht ausgenommen.
Er hielt aber auch die Augen offen bei Tag und Nacht, und was er vermochte, das zeigte sich an dem Tage recht, an welchem er in seinem rothen Mantel das blanke Schwert über der Schulter durch die Hauptstraße von Rothenburg schritt, um sein Messer in den Thürpfosten des Rathsbäckermeisters Gretzler, eines sehr wohlhabenden, feisten und angesehenen Mannes zu stoßen. Die Ehefrau des Unglücklichen, ein wahrer Geizdrache, hatte eine gefallene Ziege für den eigenen Hausstand zum Seifekochen benutzt, und der Mann vom Herren-
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