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Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Laurentia Heyligerin. Wie eine Pflanze, die in der feuchten, kalten Wohnung des Armen sich windet und ihre Ranken streckt, bis sie die Stelle erreicht, die der einzige eindringende Sonnenstrahl trifft, so rang diese junge entschlossene Seele zum Licht, und als sie es gefunden hatte, entfaltete sie sich zu einer Blüte, welche der harte Kampf mit der Finsterniß und der Verlorenheit um so köstlicher, duftender, strahlender machte.

Ein jüngeres Geschlecht, welches geboren wurde um die Zeit, als das Erkenntniß des Reichskammergerichts in Sachen contra Kindler von Regensburg kam, nahm die verfallende, täglich mehr zur Ruin werdende Silberburg und den finstern alten Mann, der in ihr haus'te, als etwas Gegebenes, an welches sich irgend eine seltsame Geschichte hing. Dieser Geschichte in alle dunkeln Gänge nachzugehen, war das Leben viel zu kurz und köstlich; so hielt sich denn das junge Geschlecht weniger an den menschenfeindlichen Greis, als an die Wunderblume, die hinter den grauen Mauern in so tiefer Verborgenheit blühte. Bald kam die Zeit, wo die jungen Gesellen von Rothenburg, die müßigen Söhne der Geschlechter alles Mögliche aufwandten, sich der verzauberten Schönheit zur Silberburg zu nähern, die Zeit, wo Viele sich rühmten, die verwünschte Prinzessin geschaut und gesprochen zu haben, ohne es im Geringsten glaubwürdig beweisen zu können. Da stolzierte man im besten Putz unter den Fenstern des alten Hauses einher, da ließ man die muthigen Rößlein traben und lustige

Laurentia Heyligerin. Wie eine Pflanze, die in der feuchten, kalten Wohnung des Armen sich windet und ihre Ranken streckt, bis sie die Stelle erreicht, die der einzige eindringende Sonnenstrahl trifft, so rang diese junge entschlossene Seele zum Licht, und als sie es gefunden hatte, entfaltete sie sich zu einer Blüte, welche der harte Kampf mit der Finsterniß und der Verlorenheit um so köstlicher, duftender, strahlender machte.

Ein jüngeres Geschlecht, welches geboren wurde um die Zeit, als das Erkenntniß des Reichskammergerichts in Sachen contra Kindler von Regensburg kam, nahm die verfallende, täglich mehr zur Ruin werdende Silberburg und den finstern alten Mann, der in ihr haus'te, als etwas Gegebenes, an welches sich irgend eine seltsame Geschichte hing. Dieser Geschichte in alle dunkeln Gänge nachzugehen, war das Leben viel zu kurz und köstlich; so hielt sich denn das junge Geschlecht weniger an den menschenfeindlichen Greis, als an die Wunderblume, die hinter den grauen Mauern in so tiefer Verborgenheit blühte. Bald kam die Zeit, wo die jungen Gesellen von Rothenburg, die müßigen Söhne der Geschlechter alles Mögliche aufwandten, sich der verzauberten Schönheit zur Silberburg zu nähern, die Zeit, wo Viele sich rühmten, die verwünschte Prinzessin geschaut und gesprochen zu haben, ohne es im Geringsten glaubwürdig beweisen zu können. Da stolzierte man im besten Putz unter den Fenstern des alten Hauses einher, da ließ man die muthigen Rößlein traben und lustige

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[0022] Laurentia Heyligerin. Wie eine Pflanze, die in der feuchten, kalten Wohnung des Armen sich windet und ihre Ranken streckt, bis sie die Stelle erreicht, die der einzige eindringende Sonnenstrahl trifft, so rang diese junge entschlossene Seele zum Licht, und als sie es gefunden hatte, entfaltete sie sich zu einer Blüte, welche der harte Kampf mit der Finsterniß und der Verlorenheit um so köstlicher, duftender, strahlender machte. Ein jüngeres Geschlecht, welches geboren wurde um die Zeit, als das Erkenntniß des Reichskammergerichts in Sachen contra Kindler von Regensburg kam, nahm die verfallende, täglich mehr zur Ruin werdende Silberburg und den finstern alten Mann, der in ihr haus'te, als etwas Gegebenes, an welches sich irgend eine seltsame Geschichte hing. Dieser Geschichte in alle dunkeln Gänge nachzugehen, war das Leben viel zu kurz und köstlich; so hielt sich denn das junge Geschlecht weniger an den menschenfeindlichen Greis, als an die Wunderblume, die hinter den grauen Mauern in so tiefer Verborgenheit blühte. Bald kam die Zeit, wo die jungen Gesellen von Rothenburg, die müßigen Söhne der Geschlechter alles Mögliche aufwandten, sich der verzauberten Schönheit zur Silberburg zu nähern, die Zeit, wo Viele sich rühmten, die verwünschte Prinzessin geschaut und gesprochen zu haben, ohne es im Geringsten glaubwürdig beweisen zu können. Da stolzierte man im besten Putz unter den Fenstern des alten Hauses einher, da ließ man die muthigen Rößlein traben und lustige

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/22>, abgerufen am 27.04.2024.