Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Sprünge machen, da stellte man nächtlicher Weile Musikanten mit Zinken, Flöten, Geigen und Dulcinen, oder sich selbst mit der Laute auf, das Lob der Schönen durch die holdselige Frau Musica zu verkünden und das Herz der holden Verborgenen durch selbiger Göttin mächtige Hülfe zu gewinnen.

Wer mochte aber sagen, ob der Schatten, der hinter den altersdunkeln Scheiben bemerkt sein sollte, eins sei mit dem lieblich gepriesenen Kinde? Nimmer öffneten sich die blinden Fenster; nur selten, selten überschritt, in dichte, dunkle Schleier gehüllt, die Heyligerin ihres Vaters Schwelle, um zur Kirche zu gehen. Die übrigen hübschen und häßlichen Jungfern der Stadt haßten die Verborgene fast eben so sehr, wie die Väter den Zinsmeister einst haßten. Da sie nichts Uebles von der Armen wissen konnten, so erfanden sie Mancherlei. In halben Worten und Andeutungen waren sie groß, und von Neuem ward das alte Wort wahr, daß die tiefste Abgeschlossenheit Dem keinen Schutz geben kann, der keinen haben soll. Wie aber das Gute, welches die Welt zu bieten vermag, nicht zu Laurentia Heyligerin Einlaß fand, so drang auch das Böse nicht zu ihr, und darum mochten die kaiserlich freien Gevatterinnen, Klatschbasen und Neider reden, was und wieviel sie wollten.

Die halb blinde und ganz taube Magd, welche den Verkehr der Silberburg mit der Außenwelt vermittelte, beschränkte diesen Verkehr auf den Einkauf von Lebensmitteln und dergleichen Geschäfte, ohne den Fragen, Aus-

Sprünge machen, da stellte man nächtlicher Weile Musikanten mit Zinken, Flöten, Geigen und Dulcinen, oder sich selbst mit der Laute auf, das Lob der Schönen durch die holdselige Frau Musica zu verkünden und das Herz der holden Verborgenen durch selbiger Göttin mächtige Hülfe zu gewinnen.

Wer mochte aber sagen, ob der Schatten, der hinter den altersdunkeln Scheiben bemerkt sein sollte, eins sei mit dem lieblich gepriesenen Kinde? Nimmer öffneten sich die blinden Fenster; nur selten, selten überschritt, in dichte, dunkle Schleier gehüllt, die Heyligerin ihres Vaters Schwelle, um zur Kirche zu gehen. Die übrigen hübschen und häßlichen Jungfern der Stadt haßten die Verborgene fast eben so sehr, wie die Väter den Zinsmeister einst haßten. Da sie nichts Uebles von der Armen wissen konnten, so erfanden sie Mancherlei. In halben Worten und Andeutungen waren sie groß, und von Neuem ward das alte Wort wahr, daß die tiefste Abgeschlossenheit Dem keinen Schutz geben kann, der keinen haben soll. Wie aber das Gute, welches die Welt zu bieten vermag, nicht zu Laurentia Heyligerin Einlaß fand, so drang auch das Böse nicht zu ihr, und darum mochten die kaiserlich freien Gevatterinnen, Klatschbasen und Neider reden, was und wieviel sie wollten.

Die halb blinde und ganz taube Magd, welche den Verkehr der Silberburg mit der Außenwelt vermittelte, beschränkte diesen Verkehr auf den Einkauf von Lebensmitteln und dergleichen Geschäfte, ohne den Fragen, Aus-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0023"/>
Sprünge machen, da stellte man      nächtlicher Weile Musikanten mit Zinken, Flöten, Geigen und Dulcinen, oder sich selbst mit der      Laute auf, das Lob der Schönen durch die holdselige Frau Musica zu verkünden und das Herz der      holden Verborgenen durch selbiger Göttin mächtige Hülfe zu gewinnen.</p><lb/>
        <p>Wer mochte aber sagen, ob der Schatten, der hinter den altersdunkeln Scheiben bemerkt sein      sollte, eins sei mit dem lieblich gepriesenen Kinde? Nimmer öffneten sich die blinden Fenster;      nur selten, selten überschritt, in dichte, dunkle Schleier gehüllt, die Heyligerin ihres Vaters      Schwelle, um zur Kirche zu gehen. Die übrigen hübschen und häßlichen Jungfern der Stadt haßten      die Verborgene fast eben so sehr, wie die Väter den Zinsmeister einst haßten. Da sie nichts      Uebles von der Armen wissen konnten, so erfanden sie Mancherlei. In halben Worten und      Andeutungen waren sie groß, und von Neuem ward das alte Wort wahr, daß die tiefste      Abgeschlossenheit Dem keinen Schutz geben kann, der keinen haben soll. Wie aber das Gute,      welches die Welt zu bieten vermag, nicht zu Laurentia Heyligerin Einlaß fand, so drang auch das      Böse nicht zu ihr, und darum mochten die kaiserlich freien Gevatterinnen, Klatschbasen und      Neider reden, was und wieviel sie wollten.</p><lb/>
        <p>Die halb blinde und ganz taube Magd, welche den Verkehr der Silberburg mit der Außenwelt      vermittelte, beschränkte diesen Verkehr auf den Einkauf von Lebensmitteln und dergleichen      Geschäfte, ohne den Fragen, Aus-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0023] Sprünge machen, da stellte man nächtlicher Weile Musikanten mit Zinken, Flöten, Geigen und Dulcinen, oder sich selbst mit der Laute auf, das Lob der Schönen durch die holdselige Frau Musica zu verkünden und das Herz der holden Verborgenen durch selbiger Göttin mächtige Hülfe zu gewinnen. Wer mochte aber sagen, ob der Schatten, der hinter den altersdunkeln Scheiben bemerkt sein sollte, eins sei mit dem lieblich gepriesenen Kinde? Nimmer öffneten sich die blinden Fenster; nur selten, selten überschritt, in dichte, dunkle Schleier gehüllt, die Heyligerin ihres Vaters Schwelle, um zur Kirche zu gehen. Die übrigen hübschen und häßlichen Jungfern der Stadt haßten die Verborgene fast eben so sehr, wie die Väter den Zinsmeister einst haßten. Da sie nichts Uebles von der Armen wissen konnten, so erfanden sie Mancherlei. In halben Worten und Andeutungen waren sie groß, und von Neuem ward das alte Wort wahr, daß die tiefste Abgeschlossenheit Dem keinen Schutz geben kann, der keinen haben soll. Wie aber das Gute, welches die Welt zu bieten vermag, nicht zu Laurentia Heyligerin Einlaß fand, so drang auch das Böse nicht zu ihr, und darum mochten die kaiserlich freien Gevatterinnen, Klatschbasen und Neider reden, was und wieviel sie wollten. Die halb blinde und ganz taube Magd, welche den Verkehr der Silberburg mit der Außenwelt vermittelte, beschränkte diesen Verkehr auf den Einkauf von Lebensmitteln und dergleichen Geschäfte, ohne den Fragen, Aus-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/23
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/23>, abgerufen am 21.11.2024.