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Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Kindler's, denn seit frühesten Jahren kam er jedesmal, wenn irgend eine Theorie in die Praxis zu übersetzen war. So verschlief der arme Friedrich jede günstige Gelegenheit, jede Gunst, welche ihm das Glück und Geschick unter die Nase hielt.

Bald rutschte die Prudentia oeconomica von den Knieen des Greises und fiel zu Boden. Der Sohn hob das zerlesene Buch auf und beugte sich dabei einen Augenblick hindurch über das ehrliche, gutmüthige Gesicht seines Vaters.

In Liebe und Betrübniß seufzte er:

Armer, alter Mann! dann das Buch betrachtend: Du abscheulicher Plagegeist, jetzt wäre die Gelegenheit günstig, dich über die Seite zu schaffen auf Nimmerwiederfinden. Nun wieder mit einem Blick auf den schlummernden Alten: Nein, nein und abermals nein. Es wäre zu grausam! Alter Vater, steckt nicht in diesem jämmerlichen Tröster Alles, was dir das Leben noch fröhlich ausputzt? Wie er lächelt im Schlaf! Aus diesem Teufelsbuch stammt auch das Lächeln, nun baut er im Schlaf die Träume weiter, die er wachend von diesen Seiten lies't. Da liege du, ich würde dich mit meinem letzten Lebensblut vertheidigen, du leidiger Quälgeist.

Sorgsam legte der Soldat das Buch auf den Tisch, dann stieg er, nach einem letzten Blick auf den Vater, leise und vorsichtig die Leiter hinab, die zur Erde niederführte.

Schön war der Sommerabend, und lange wollte

Kindler's, denn seit frühesten Jahren kam er jedesmal, wenn irgend eine Theorie in die Praxis zu übersetzen war. So verschlief der arme Friedrich jede günstige Gelegenheit, jede Gunst, welche ihm das Glück und Geschick unter die Nase hielt.

Bald rutschte die Prudentia oeconomica von den Knieen des Greises und fiel zu Boden. Der Sohn hob das zerlesene Buch auf und beugte sich dabei einen Augenblick hindurch über das ehrliche, gutmüthige Gesicht seines Vaters.

In Liebe und Betrübniß seufzte er:

Armer, alter Mann! dann das Buch betrachtend: Du abscheulicher Plagegeist, jetzt wäre die Gelegenheit günstig, dich über die Seite zu schaffen auf Nimmerwiederfinden. Nun wieder mit einem Blick auf den schlummernden Alten: Nein, nein und abermals nein. Es wäre zu grausam! Alter Vater, steckt nicht in diesem jämmerlichen Tröster Alles, was dir das Leben noch fröhlich ausputzt? Wie er lächelt im Schlaf! Aus diesem Teufelsbuch stammt auch das Lächeln, nun baut er im Schlaf die Träume weiter, die er wachend von diesen Seiten lies't. Da liege du, ich würde dich mit meinem letzten Lebensblut vertheidigen, du leidiger Quälgeist.

Sorgsam legte der Soldat das Buch auf den Tisch, dann stieg er, nach einem letzten Blick auf den Vater, leise und vorsichtig die Leiter hinab, die zur Erde niederführte.

Schön war der Sommerabend, und lange wollte

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[0029] Kindler's, denn seit frühesten Jahren kam er jedesmal, wenn irgend eine Theorie in die Praxis zu übersetzen war. So verschlief der arme Friedrich jede günstige Gelegenheit, jede Gunst, welche ihm das Glück und Geschick unter die Nase hielt. Bald rutschte die Prudentia oeconomica von den Knieen des Greises und fiel zu Boden. Der Sohn hob das zerlesene Buch auf und beugte sich dabei einen Augenblick hindurch über das ehrliche, gutmüthige Gesicht seines Vaters. In Liebe und Betrübniß seufzte er: Armer, alter Mann! dann das Buch betrachtend: Du abscheulicher Plagegeist, jetzt wäre die Gelegenheit günstig, dich über die Seite zu schaffen auf Nimmerwiederfinden. Nun wieder mit einem Blick auf den schlummernden Alten: Nein, nein und abermals nein. Es wäre zu grausam! Alter Vater, steckt nicht in diesem jämmerlichen Tröster Alles, was dir das Leben noch fröhlich ausputzt? Wie er lächelt im Schlaf! Aus diesem Teufelsbuch stammt auch das Lächeln, nun baut er im Schlaf die Träume weiter, die er wachend von diesen Seiten lies't. Da liege du, ich würde dich mit meinem letzten Lebensblut vertheidigen, du leidiger Quälgeist. Sorgsam legte der Soldat das Buch auf den Tisch, dann stieg er, nach einem letzten Blick auf den Vater, leise und vorsichtig die Leiter hinab, die zur Erde niederführte. Schön war der Sommerabend, und lange wollte

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/29>, abgerufen am 28.04.2024.