Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.das unschuldigste, süßeste Bild, -- von da drunten blickte bittend und klagend Laurentia Heyligerin zur Römerhöhe hinauf, und gezwungen wurde durch ihr thränenvolles Auge der schwarze Georg, alles Andere zu vergessen und zu vergeben. Georg, sagte der Alte von seinem Lehnstuhle her, du gibst nicht Acht, Georg! Und was der Autor allhier von Interusurio saget, muß Jedermann doch sehr wichtig sein. Und wie er den Carpzov'schen und Leibnitzischen Calculus widerleget, hat Hand und Fuß und lässet sich wohl hören. Knöpf auf die Ohren, Jürgen, auf daß du klüger werdest als dein alter Vater; hier fahren wir fort Pagina -- Ach, Vater, gebet mir Urlaub, sprach der Sohn mit einem tiefen Seufzer; mein Kopf schmerzet mehr als es zu sagen ist, und mein Herz ist so bedrängt, daß ich mit dem besten Willen den Worten Eures gelehrten Buches nicht folgen kann. Betrübt das Haupt schüttelnd sah der Alte den Jungen an; dann murmelte er: Ist's mir nicht immer grad' so gegangen?! O, ein grausam gelehrtes Buch, oh, oh, oh! Aber ich krieg's doch noch klein, und Georg soll's auch. Daß dich das Mäusle, laßt's mich nur gefaßt haben, dann soll's bald zu End' sein mit dem Hocken hier auf dem Thurm. Aus dem Nachdenken über die Schwierigkeiten seines Buches erlös'te den guten Greis bald ein tiefer Schlaf, und dieser Schlaf war der eigentliche Verderber Friedrich das unschuldigste, süßeste Bild, — von da drunten blickte bittend und klagend Laurentia Heyligerin zur Römerhöhe hinauf, und gezwungen wurde durch ihr thränenvolles Auge der schwarze Georg, alles Andere zu vergessen und zu vergeben. Georg, sagte der Alte von seinem Lehnstuhle her, du gibst nicht Acht, Georg! Und was der Autor allhier von Interusurio saget, muß Jedermann doch sehr wichtig sein. Und wie er den Carpzov'schen und Leibnitzischen Calculus widerleget, hat Hand und Fuß und lässet sich wohl hören. Knöpf auf die Ohren, Jürgen, auf daß du klüger werdest als dein alter Vater; hier fahren wir fort Pagina — Ach, Vater, gebet mir Urlaub, sprach der Sohn mit einem tiefen Seufzer; mein Kopf schmerzet mehr als es zu sagen ist, und mein Herz ist so bedrängt, daß ich mit dem besten Willen den Worten Eures gelehrten Buches nicht folgen kann. Betrübt das Haupt schüttelnd sah der Alte den Jungen an; dann murmelte er: Ist's mir nicht immer grad' so gegangen?! O, ein grausam gelehrtes Buch, oh, oh, oh! Aber ich krieg's doch noch klein, und Georg soll's auch. Daß dich das Mäusle, laßt's mich nur gefaßt haben, dann soll's bald zu End' sein mit dem Hocken hier auf dem Thurm. Aus dem Nachdenken über die Schwierigkeiten seines Buches erlös'te den guten Greis bald ein tiefer Schlaf, und dieser Schlaf war der eigentliche Verderber Friedrich <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0028"/> das unschuldigste, süßeste Bild, — von da drunten blickte bittend und klagend Laurentia Heyligerin zur Römerhöhe hinauf, und gezwungen wurde durch ihr thränenvolles Auge der schwarze Georg, alles Andere zu vergessen und zu vergeben.</p><lb/> <p>Georg, sagte der Alte von seinem Lehnstuhle her, du gibst nicht Acht, Georg! Und was der Autor allhier von Interusurio saget, muß Jedermann doch sehr wichtig sein. Und wie er den Carpzov'schen und Leibnitzischen Calculus widerleget, hat Hand und Fuß und lässet sich wohl hören. Knöpf auf die Ohren, Jürgen, auf daß du klüger werdest als dein alter Vater; hier fahren wir fort Pagina —</p><lb/> <p>Ach, Vater, gebet mir Urlaub, sprach der Sohn mit einem tiefen Seufzer; mein Kopf schmerzet mehr als es zu sagen ist, und mein Herz ist so bedrängt, daß ich mit dem besten Willen den Worten Eures gelehrten Buches nicht folgen kann.</p><lb/> <p>Betrübt das Haupt schüttelnd sah der Alte den Jungen an; dann murmelte er:</p><lb/> <p>Ist's mir nicht immer grad' so gegangen?! O, ein grausam gelehrtes Buch, oh, oh, oh! Aber ich krieg's doch noch klein, und Georg soll's auch. Daß dich das Mäusle, laßt's mich nur gefaßt haben, dann soll's bald zu End' sein mit dem Hocken hier auf dem Thurm.</p><lb/> <p>Aus dem Nachdenken über die Schwierigkeiten seines Buches erlös'te den guten Greis bald ein tiefer Schlaf, und dieser Schlaf war der eigentliche Verderber Friedrich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
das unschuldigste, süßeste Bild, — von da drunten blickte bittend und klagend Laurentia Heyligerin zur Römerhöhe hinauf, und gezwungen wurde durch ihr thränenvolles Auge der schwarze Georg, alles Andere zu vergessen und zu vergeben.
Georg, sagte der Alte von seinem Lehnstuhle her, du gibst nicht Acht, Georg! Und was der Autor allhier von Interusurio saget, muß Jedermann doch sehr wichtig sein. Und wie er den Carpzov'schen und Leibnitzischen Calculus widerleget, hat Hand und Fuß und lässet sich wohl hören. Knöpf auf die Ohren, Jürgen, auf daß du klüger werdest als dein alter Vater; hier fahren wir fort Pagina —
Ach, Vater, gebet mir Urlaub, sprach der Sohn mit einem tiefen Seufzer; mein Kopf schmerzet mehr als es zu sagen ist, und mein Herz ist so bedrängt, daß ich mit dem besten Willen den Worten Eures gelehrten Buches nicht folgen kann.
Betrübt das Haupt schüttelnd sah der Alte den Jungen an; dann murmelte er:
Ist's mir nicht immer grad' so gegangen?! O, ein grausam gelehrtes Buch, oh, oh, oh! Aber ich krieg's doch noch klein, und Georg soll's auch. Daß dich das Mäusle, laßt's mich nur gefaßt haben, dann soll's bald zu End' sein mit dem Hocken hier auf dem Thurm.
Aus dem Nachdenken über die Schwierigkeiten seines Buches erlös'te den guten Greis bald ein tiefer Schlaf, und dieser Schlaf war der eigentliche Verderber Friedrich
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Zitationshilfe: | Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/28>, abgerufen am 16.07.2024. |