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Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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leider nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit zuhörte. Mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, lehnte er neben der Fensteröffnung, aus welcher man in den verwilderten Heyliger'schen Garten hinabblicken konnte. Den verwundeten Arm trug er immer noch in der Binde, doch war die Heilung so weit vorgeschritten, daß er dieses Verbandes in nicht zu langer Zeit ledig zu sein hoffte.

Er war von einer stattlichen Gestalt, dieser schwarze Jürg; vielsagendes Feuer leuchtete aus den dunkeln Augen. Trotzdem, daß die Wunden und die lange Krankheit dem Körper eine gewisse unbeholfene Schwäche gegeben hatten, ging es aus jeder Bewegung des jungen Mannes hervor, daß die Genesung eine große Kraft und Gelenkigkeit zurückbringen würde. Verhaltener Zorn um die jetzige Thatlosigkeit lauerte zwischen den zusammengezogenen pechschwarzen Brauen, während auf der hohen Stirn etwas Anderes noch zu erkennen war, ein melancholisches Sinnen, ein träumerisches Denken, ein ruheloses Hin- und Herbewegen der verschiedenartigsten Gefühle.

Es war kein Wunder, daß der Sohn des strumpfstrickenden Stadtsoldaten von der Römerhöhe mit den gemischtesten Empfindungen auf den Garten und das Haus des Zinsmeisters Heyliger niederblickte. Da drunten lebte der Mann, welcher Schuld hatte an dem Tode der armen Mutter, der Mann, welcher das Glück des Vaters, das eigene Glück kalten Herzens zerstört hatte; -- da drunten saß aber auch die Tochter des Todfeindes,

leider nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit zuhörte. Mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, lehnte er neben der Fensteröffnung, aus welcher man in den verwilderten Heyliger'schen Garten hinabblicken konnte. Den verwundeten Arm trug er immer noch in der Binde, doch war die Heilung so weit vorgeschritten, daß er dieses Verbandes in nicht zu langer Zeit ledig zu sein hoffte.

Er war von einer stattlichen Gestalt, dieser schwarze Jürg; vielsagendes Feuer leuchtete aus den dunkeln Augen. Trotzdem, daß die Wunden und die lange Krankheit dem Körper eine gewisse unbeholfene Schwäche gegeben hatten, ging es aus jeder Bewegung des jungen Mannes hervor, daß die Genesung eine große Kraft und Gelenkigkeit zurückbringen würde. Verhaltener Zorn um die jetzige Thatlosigkeit lauerte zwischen den zusammengezogenen pechschwarzen Brauen, während auf der hohen Stirn etwas Anderes noch zu erkennen war, ein melancholisches Sinnen, ein träumerisches Denken, ein ruheloses Hin- und Herbewegen der verschiedenartigsten Gefühle.

Es war kein Wunder, daß der Sohn des strumpfstrickenden Stadtsoldaten von der Römerhöhe mit den gemischtesten Empfindungen auf den Garten und das Haus des Zinsmeisters Heyliger niederblickte. Da drunten lebte der Mann, welcher Schuld hatte an dem Tode der armen Mutter, der Mann, welcher das Glück des Vaters, das eigene Glück kalten Herzens zerstört hatte; — da drunten saß aber auch die Tochter des Todfeindes,

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

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Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/27>, abgerufen am 28.04.2024.