Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.solcher Begegnungen, welche Georg so sehr fürchtete. Denn wo ist vollkommene Einsamkeit in dieser Welt des Lärms und des Durcheinanders? Immer von Neuem drängt sich das Leben dem verwundeten Gemüth auf, und selten gelingt es dem scheuen Geist, diese Einmischungen von sich zu weisen. Auf flüsternde Liebespaare, die aus anderm Grunde, als er, die Einsamkeit suchten, traf Georg. Es begegneten ihm die jungen Herren, welche das Haus und den Garten des Zinsmeister Heyliger umstrichen; diesen lächelnden und seufzenden Gesellen blickte der schwarze Jürg mit einem unbeschreiblichen Ausdruck nach, wenn er zur Seite trat, um sie vorüber zu lassen. Es begegnete dem schwarzen Jürg auch Wolf Scheffer, der Scharfrichter von Rothenburg, und da diese letztere Begegnung die wichtigste von allen war, so wollen wir hier das Nähere darüber mittheilen. Sie fand Statt an einem Tage, wo ein zwischen Regenschauern, Windstößen und grauer Stille wechselndes Wetter die Wege an den Bergen einsamer als gewöhnlich machte. Aus diesem Grunde hatte Georg seinen Thurm früher als gewöhnlich verlassen und traf auch auf Niemand zwischen den Hecken, bis er an die Ecke des Berghanges gelangte, wo der Wald begann und sich in die Ebene hinabsenkte. Unter den ersten Bäumen des Waldes sah Georg Kindler eine Gestalt im rothen Mantel emporsteigen, und da der Weg kein Ausweichen zuließ, so sahen sich die zwei Männer im Begegnen grade in die Gesichter, und solcher Begegnungen, welche Georg so sehr fürchtete. Denn wo ist vollkommene Einsamkeit in dieser Welt des Lärms und des Durcheinanders? Immer von Neuem drängt sich das Leben dem verwundeten Gemüth auf, und selten gelingt es dem scheuen Geist, diese Einmischungen von sich zu weisen. Auf flüsternde Liebespaare, die aus anderm Grunde, als er, die Einsamkeit suchten, traf Georg. Es begegneten ihm die jungen Herren, welche das Haus und den Garten des Zinsmeister Heyliger umstrichen; diesen lächelnden und seufzenden Gesellen blickte der schwarze Jürg mit einem unbeschreiblichen Ausdruck nach, wenn er zur Seite trat, um sie vorüber zu lassen. Es begegnete dem schwarzen Jürg auch Wolf Scheffer, der Scharfrichter von Rothenburg, und da diese letztere Begegnung die wichtigste von allen war, so wollen wir hier das Nähere darüber mittheilen. Sie fand Statt an einem Tage, wo ein zwischen Regenschauern, Windstößen und grauer Stille wechselndes Wetter die Wege an den Bergen einsamer als gewöhnlich machte. Aus diesem Grunde hatte Georg seinen Thurm früher als gewöhnlich verlassen und traf auch auf Niemand zwischen den Hecken, bis er an die Ecke des Berghanges gelangte, wo der Wald begann und sich in die Ebene hinabsenkte. Unter den ersten Bäumen des Waldes sah Georg Kindler eine Gestalt im rothen Mantel emporsteigen, und da der Weg kein Ausweichen zuließ, so sahen sich die zwei Männer im Begegnen grade in die Gesichter, und <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0031"/> solcher Begegnungen, welche Georg so sehr fürchtete. Denn wo ist vollkommene Einsamkeit in dieser Welt des Lärms und des Durcheinanders? Immer von Neuem drängt sich das Leben dem verwundeten Gemüth auf, und selten gelingt es dem scheuen Geist, diese Einmischungen von sich zu weisen.</p><lb/> <p>Auf flüsternde Liebespaare, die aus anderm Grunde, als er, die Einsamkeit suchten, traf Georg. Es begegneten ihm die jungen Herren, welche das Haus und den Garten des Zinsmeister Heyliger umstrichen; diesen lächelnden und seufzenden Gesellen blickte der schwarze Jürg mit einem unbeschreiblichen Ausdruck nach, wenn er zur Seite trat, um sie vorüber zu lassen.</p><lb/> <p>Es begegnete dem schwarzen Jürg auch Wolf Scheffer, der Scharfrichter von Rothenburg, und da diese letztere Begegnung die wichtigste von allen war, so wollen wir hier das Nähere darüber mittheilen. Sie fand Statt an einem Tage, wo ein zwischen Regenschauern, Windstößen und grauer Stille wechselndes Wetter die Wege an den Bergen einsamer als gewöhnlich machte. Aus diesem Grunde hatte Georg seinen Thurm früher als gewöhnlich verlassen und traf auch auf Niemand zwischen den Hecken, bis er an die Ecke des Berghanges gelangte, wo der Wald begann und sich in die Ebene hinabsenkte.</p><lb/> <p>Unter den ersten Bäumen des Waldes sah Georg Kindler eine Gestalt im rothen Mantel emporsteigen, und da der Weg kein Ausweichen zuließ, so sahen sich die zwei Männer im Begegnen grade in die Gesichter, und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0031]
solcher Begegnungen, welche Georg so sehr fürchtete. Denn wo ist vollkommene Einsamkeit in dieser Welt des Lärms und des Durcheinanders? Immer von Neuem drängt sich das Leben dem verwundeten Gemüth auf, und selten gelingt es dem scheuen Geist, diese Einmischungen von sich zu weisen.
Auf flüsternde Liebespaare, die aus anderm Grunde, als er, die Einsamkeit suchten, traf Georg. Es begegneten ihm die jungen Herren, welche das Haus und den Garten des Zinsmeister Heyliger umstrichen; diesen lächelnden und seufzenden Gesellen blickte der schwarze Jürg mit einem unbeschreiblichen Ausdruck nach, wenn er zur Seite trat, um sie vorüber zu lassen.
Es begegnete dem schwarzen Jürg auch Wolf Scheffer, der Scharfrichter von Rothenburg, und da diese letztere Begegnung die wichtigste von allen war, so wollen wir hier das Nähere darüber mittheilen. Sie fand Statt an einem Tage, wo ein zwischen Regenschauern, Windstößen und grauer Stille wechselndes Wetter die Wege an den Bergen einsamer als gewöhnlich machte. Aus diesem Grunde hatte Georg seinen Thurm früher als gewöhnlich verlassen und traf auch auf Niemand zwischen den Hecken, bis er an die Ecke des Berghanges gelangte, wo der Wald begann und sich in die Ebene hinabsenkte.
Unter den ersten Bäumen des Waldes sah Georg Kindler eine Gestalt im rothen Mantel emporsteigen, und da der Weg kein Ausweichen zuließ, so sahen sich die zwei Männer im Begegnen grade in die Gesichter, und
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Zitationshilfe: | Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/31>, abgerufen am 16.07.2024. |