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Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Satz, welchen Laurentia schaudernd nicht zu Ende brachte.

Und heftiger sprach der Jüngling: Deßhalb auch gestatte mir, daß ich des Rathes Hülfe aufrufe; -- für euch Beide will ich sie! Sieh, allen Haß und Zorn habe ich ja niedergelegt zu deinen Füßen.

Die Jungfrau antwortete nicht, sie schüttelte nur das Haupt, und so stand rathlos und wortlos das junge Paar eine geraume Weile. Endlich sagte die Jungfrau:

Wie gut doch Gott ist, daß er dich so früh schon, daß er dich als Knabe schon zu mir geführet hat. O, Georg, da Solches zugelassen wurde, mein' ich, hat's der Höchste gut mit uns im Sinne. Laß uns still sein und abwarten, was über uns beschlossen ist, wir vermögen nicht einzugreifen. Als wir noch klein und Kinder waren, haben wir uns bescheiden müssen; nun sind wir zwar recht alt und klug worden, aber vermögen doch nicht mehr. O, du lieber Georg, versprich mir, daß wir warten wollen!

Georg Kindler seufzte tief und schüttelte das Haupt; aber er versprach der Geliebten doch, was sie verlangte. Eine Wolke ging über den Mond, und dunkel wurde es im Garten der Silberburg. Der Mond kam in dieser Nacht nicht wieder hervor; Wolke auf Wolke wälzte sich herauf über den Herrenberg, über des Scharfrichters Haus; wie ein gieriges Ungeheuer verschlang die Finsterniß das weiße Licht, welches das Sonnenroth besiegt hatte.

Nach einem letzten heißen Kuß nahmen die Lie-

Satz, welchen Laurentia schaudernd nicht zu Ende brachte.

Und heftiger sprach der Jüngling: Deßhalb auch gestatte mir, daß ich des Rathes Hülfe aufrufe; — für euch Beide will ich sie! Sieh, allen Haß und Zorn habe ich ja niedergelegt zu deinen Füßen.

Die Jungfrau antwortete nicht, sie schüttelte nur das Haupt, und so stand rathlos und wortlos das junge Paar eine geraume Weile. Endlich sagte die Jungfrau:

Wie gut doch Gott ist, daß er dich so früh schon, daß er dich als Knabe schon zu mir geführet hat. O, Georg, da Solches zugelassen wurde, mein’ ich, hat's der Höchste gut mit uns im Sinne. Laß uns still sein und abwarten, was über uns beschlossen ist, wir vermögen nicht einzugreifen. Als wir noch klein und Kinder waren, haben wir uns bescheiden müssen; nun sind wir zwar recht alt und klug worden, aber vermögen doch nicht mehr. O, du lieber Georg, versprich mir, daß wir warten wollen!

Georg Kindler seufzte tief und schüttelte das Haupt; aber er versprach der Geliebten doch, was sie verlangte. Eine Wolke ging über den Mond, und dunkel wurde es im Garten der Silberburg. Der Mond kam in dieser Nacht nicht wieder hervor; Wolke auf Wolke wälzte sich herauf über den Herrenberg, über des Scharfrichters Haus; wie ein gieriges Ungeheuer verschlang die Finsterniß das weiße Licht, welches das Sonnenroth besiegt hatte.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/40>, abgerufen am 28.04.2024.