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Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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benden Abschied von einander, und mit schwerem Herzen ließ Georg sein Mädchen aus den Armen. Als die Thüre der Silberburg knarrte, die vorfallenden Riegel kreischten und die holde Gestalt verschwunden war, überfiel den Jüngling eine so heftige Angst, daß er nur durch die allergrößte Kraft des Willens sich enthalten konnte, der Jungfrau gegen das Haus nachzueilen, gegen die Thür zu schlagen, Einlaß zu begehren und um Hülfe zu rufen für die arme Laurentia Heyligerin.

Mit klopfendem Herzen lauschte er noch lange Zeit; aber drinnen blieb Alles still. Nichts regte sich, was Anlaß zu dieser Angst hätte geben können; nur eine schwarze Katze stieg aus einem zerbrochenen Fenster, sprang auf einen Holzhaufen und schlich von dort an dem invaliden Weibel des Regiments Montecuculi vorüber, um einen schlafenden Vogel im Nest zu überfallen.

Widerstrebend, immerfort rückwärts blickend, stieg Georg zur Römerhöhe, zum Lug ins Land empor. In tiefem und sanftem Schlaf fand er den alten Vater. Das böse ökonomische Buch lag immer noch aufgeschlagen auf dem Tisch; aber im Schlaf hatten die ärgerlichen Zahlenreihen, die guten Lehren und Rathschläge nicht mehr ihre verwirrende, betäubende Macht über den Greis. Des Buches magische Kraft war mit dem Tageslicht zu Ende, und der Schlaf des armen Mannes auf der Römerhöhe war ein ganz anderer, als der des reichen Mannes in der Silberburg, Georg aber brachte die Nacht eben so unruhig zu, wie Christian Heyliger. Seltsamerweise

benden Abschied von einander, und mit schwerem Herzen ließ Georg sein Mädchen aus den Armen. Als die Thüre der Silberburg knarrte, die vorfallenden Riegel kreischten und die holde Gestalt verschwunden war, überfiel den Jüngling eine so heftige Angst, daß er nur durch die allergrößte Kraft des Willens sich enthalten konnte, der Jungfrau gegen das Haus nachzueilen, gegen die Thür zu schlagen, Einlaß zu begehren und um Hülfe zu rufen für die arme Laurentia Heyligerin.

Mit klopfendem Herzen lauschte er noch lange Zeit; aber drinnen blieb Alles still. Nichts regte sich, was Anlaß zu dieser Angst hätte geben können; nur eine schwarze Katze stieg aus einem zerbrochenen Fenster, sprang auf einen Holzhaufen und schlich von dort an dem invaliden Weibel des Regiments Montecuculi vorüber, um einen schlafenden Vogel im Nest zu überfallen.

Widerstrebend, immerfort rückwärts blickend, stieg Georg zur Römerhöhe, zum Lug ins Land empor. In tiefem und sanftem Schlaf fand er den alten Vater. Das böse ökonomische Buch lag immer noch aufgeschlagen auf dem Tisch; aber im Schlaf hatten die ärgerlichen Zahlenreihen, die guten Lehren und Rathschläge nicht mehr ihre verwirrende, betäubende Macht über den Greis. Des Buches magische Kraft war mit dem Tageslicht zu Ende, und der Schlaf des armen Mannes auf der Römerhöhe war ein ganz anderer, als der des reichen Mannes in der Silberburg, Georg aber brachte die Nacht eben so unruhig zu, wie Christian Heyliger. Seltsamerweise

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[0041] benden Abschied von einander, und mit schwerem Herzen ließ Georg sein Mädchen aus den Armen. Als die Thüre der Silberburg knarrte, die vorfallenden Riegel kreischten und die holde Gestalt verschwunden war, überfiel den Jüngling eine so heftige Angst, daß er nur durch die allergrößte Kraft des Willens sich enthalten konnte, der Jungfrau gegen das Haus nachzueilen, gegen die Thür zu schlagen, Einlaß zu begehren und um Hülfe zu rufen für die arme Laurentia Heyligerin. Mit klopfendem Herzen lauschte er noch lange Zeit; aber drinnen blieb Alles still. Nichts regte sich, was Anlaß zu dieser Angst hätte geben können; nur eine schwarze Katze stieg aus einem zerbrochenen Fenster, sprang auf einen Holzhaufen und schlich von dort an dem invaliden Weibel des Regiments Montecuculi vorüber, um einen schlafenden Vogel im Nest zu überfallen. Widerstrebend, immerfort rückwärts blickend, stieg Georg zur Römerhöhe, zum Lug ins Land empor. In tiefem und sanftem Schlaf fand er den alten Vater. Das böse ökonomische Buch lag immer noch aufgeschlagen auf dem Tisch; aber im Schlaf hatten die ärgerlichen Zahlenreihen, die guten Lehren und Rathschläge nicht mehr ihre verwirrende, betäubende Macht über den Greis. Des Buches magische Kraft war mit dem Tageslicht zu Ende, und der Schlaf des armen Mannes auf der Römerhöhe war ein ganz anderer, als der des reichen Mannes in der Silberburg, Georg aber brachte die Nacht eben so unruhig zu, wie Christian Heyliger. Seltsamerweise

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

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Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/41>, abgerufen am 28.04.2024.