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Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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führte ihm der Traum immerfort die Geliebte in Verbindung mit dem Henker Wolf Scheffer vor die Seele; immerfort sah er, geduckt wie einen Tiger, den Scharfrichter von Rothenburg um die Silberburg schleichen, und Wahrheit war in diesen wirren Bildern: Wolf Scheffer umschlich die Silberburg, nachdem die Liebenden sich getrennt hatten. Still lachte er in sich hinein, rieb die Hände. Sein gesundes Auge leuchtete in der Dunkelheit, wie das jener schwarzen Katze, die nun ihren Raub und Mord vollführt hatte und gegen das Haus zurückschlich.

V.

Somit haben wir eine der vielen nächtlichen Zusammenkünfte der beiden jungen Leute, zwischen denen das Schicksal eine so feste eiserne Wand aufgerichtet zu haben schien, geschildert. Viel hülfsbedürftiger und ärmer als der Sohn des armen Mannes, war die Tochter des reichen Mannes geworden; aber auch Jener war unglücklich und verlassen und darum ward wieder einmal wahr, daß zwei Unglückliche sich viel leichter zusammenfinden und viel fester sich binden, als zwei Glückliche. Wie Georg und Laurentia sich zuerst zusammengefunden hatten, darüber hätten sie kaum Rechenschaft geben können. Es waren zwei arme Kinder, und jedes saß für sich allein auf dem kalten Stein; da kam das Schicksal, diesmal gütig und lächelnd, gleich einer guten, klugen und

führte ihm der Traum immerfort die Geliebte in Verbindung mit dem Henker Wolf Scheffer vor die Seele; immerfort sah er, geduckt wie einen Tiger, den Scharfrichter von Rothenburg um die Silberburg schleichen, und Wahrheit war in diesen wirren Bildern: Wolf Scheffer umschlich die Silberburg, nachdem die Liebenden sich getrennt hatten. Still lachte er in sich hinein, rieb die Hände. Sein gesundes Auge leuchtete in der Dunkelheit, wie das jener schwarzen Katze, die nun ihren Raub und Mord vollführt hatte und gegen das Haus zurückschlich.

V.

Somit haben wir eine der vielen nächtlichen Zusammenkünfte der beiden jungen Leute, zwischen denen das Schicksal eine so feste eiserne Wand aufgerichtet zu haben schien, geschildert. Viel hülfsbedürftiger und ärmer als der Sohn des armen Mannes, war die Tochter des reichen Mannes geworden; aber auch Jener war unglücklich und verlassen und darum ward wieder einmal wahr, daß zwei Unglückliche sich viel leichter zusammenfinden und viel fester sich binden, als zwei Glückliche. Wie Georg und Laurentia sich zuerst zusammengefunden hatten, darüber hätten sie kaum Rechenschaft geben können. Es waren zwei arme Kinder, und jedes saß für sich allein auf dem kalten Stein; da kam das Schicksal, diesmal gütig und lächelnd, gleich einer guten, klugen und

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/42>, abgerufen am 27.04.2024.